Indien profitiert enorm von den westlichen Sanktionen gegen Russland. Weil russisches Öl nicht direkt nach Europa eingeführt werden darf, springt Indien als Käufer ein. Dort wird das Rohöl aufbereitet und als raffinierter Kraftstoff wiederum in die EU eingeführt.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich deshalb zuletzt empört. Durch die indisch-russische Kooperation würde die Wirksamkeit der von der EU verhängten Strafmaßnahmen untergraben, schreibt Borrell auf einem offiziellen Blog der EU-Kommission.
Indien habe seine Ölimporte aus Russland von 1,7 Millionen Barrel (ein Barrel entspricht 159 Litern) pro Monat Anfang 2022 auf mittlerweile mehr als 63 Millionen Barrel pro Monat gesteigert. Die Exporte von Erzeugnissen wie Flugzeugtreibstoff oder Diesel aus Indien in die EU hätten von 1,1 Millionen Barrel im Januar 2022 auf 7,4 Millionen Barrel im April 2023 zugenommen.
Dilemma für die EU: Indien verstößt nicht gegen Russland-Sanktionen
Dem Treiben einen Riegel vorzuschieben, scheint allerdings nicht einfach. Borrell räumte ein, dass indische Unternehmen nicht europäischen Gesetzen unterlägen. Bislang greifen die Sanktionen der EU nicht. Doch das ist für die EU auf Dauer nicht tragbar: „Wenn Diesel oder Benzin aus Indien nach Europa kommt und mit russischem Öl hergestellt wird, ist das sicherlich eine Umgehung der Sanktionen, und die Mitgliedstaaten müssen Maßnahmen ergreifen“, sagte Borrell der Financial Times.
Indien reagierte umgehend: Außenminister Subrahmanyam Jaishankar riet den politischen Entscheidungsträgern der EU, ihre eigenen Gesetze zu prüfen. Er verwies auf die Verordnung 833/2014 des EU-Rates, in der festgehalten ist, dass „russisches Rohöl im Drittland erheblich umgewandelt und nicht mehr als russisch behandelt wird“.
Borrell sagte, dass jeder Mechanismus zur Eindämmung des Flusses von russischem Öl „von den nationalen Behörden“ umgesetzt werden müsse, und schlug vor, dass die EU Käufer von raffinierten indischen Kraftstoffen ins Visier nehmen könnte, von denen sie glaube, dass sie aus russischem Rohöl gewonnen werden. „Wenn sie verkaufen, dann deshalb, weil jemand kauft. Und wir müssen darauf achten, wer kauft“, sagte er.
Experte: EU-Pläne sind Affront gegenüber Indien
Für den Indien-Experten Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ist Borrells Vorstoß ein „Affront gegenüber Indien“. Borrell habe seinen Standpunkt verdeutlicht, indem er ihn unmittelbar vor dem Treffen des EU-India Trade and Technology Council getätigt hatte – ein europäisch-indischer Wirtschaftsrat, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Indien 2022 kurz nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs angeboten hatte, um die Zusammenarbeit zu intensivieren.
Formal habe die EU gegen die indische Regierung nichts in der Hand, denn diese halte sich an das EU-Sanktionsregime, erläutert Wagner im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Der Ölhandel werde nur über private Firmen und nicht über staatliche Strukturen abgewickelt. Allerdings hätten diese Firmen, und zwar vor allem die Reliance Group der Ambani-Familie, eine große Nähe zur indischen Politik, erläutert Wagner. Laut einem Bericht des britischen Wirtschaftsmagazins The Economist ist die Reliance Group der größte Nutznießer des rapiden Anstiegs des indischen Ölhandels. Demnach erzielt Reliance eine Bruttogewinnmarge von fünf US-Dollar für jedes Barrel aufbereiteten Öls aus Russland. Der Inhaber des Firmengeflechts, Mukesh Ambani, ist der reichste Mann Asiens.
Der EU bleibe nur der Schritt, sich auf Ölabnehmer in Europa zu konzentrieren, erklärt Wagner. Falls es europäischen Unternehmen untersagt werde, Ölprodukte aus Indien zu importieren, wäre Indien gezwungen, sich neue Abnehmer zu suchen, erläutert Wagner. Neue Geschäftspartner dürfte Indien aber im Globalen Süden schnell finden. Ökonomischen Schaden dürften die neuen Sanktionen für Indien deshalb wohl kaum anrichten.






