Nicht selten wird Deutschland für sein Stromnetz kritisiert – erneuerbarer Strom im Norden im Überfluss, im Süden zu wenig. Mit der geplanten Stromtrasse soll das geändert werden.
Dass es aktuell teilweise zu lokalen Erzeugungsüberschüssen von Strom aus erneuerbaren Energien komme, liege an dem unzureichenden Stromnetz, das die Weiterleitung des alternativ erzeugten Stroms zum Verbraucher verhindere, sagte kürzlich ein Ingenieur aus der Energietechnik der Berliner Zeitung.
Auch Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia kritisierte die angebliche Schwäche des deutschen Stromnetzes. Durch den fehlenden Anschluss ans Stromnetz konnte der Konzern, der in Deutschland, Schweden und Österreich über eine halbe Million Wohnungen besitzt, rund 70 installierte Wärmepumpen noch nicht in Betrieb nehmen. Da kommt die Strompassage vom Norden in den Süden der Übertragungsnetzbetreiber ja ganz recht, oder?
Wirtschaftsminister Robert Habeck: „Ein wichtiger Schritt nach vorn“
Der sogenannte Suedostlink soll Strom in Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) vom Nordosten in den Süden Deutschlands transportieren. Ab 2027 könnte dann die erste Stromautobahn, mit einer Länge von 540 Kilometer, große Mengen Strom aus den Windparks in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sowie der Nord- und Ostsee zuverlässig in den Süden leiten, heißt es seitens der Bundesregierung. „Das ist ein wichtiger und großer Schritt nach vorn“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Habeck zum Baustart im März.
Der Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Verbrauch lag im Jahr 2022 laut Angaben der Bundesnetzagentur schon bei 48,3 Prozent, was einen Anstieg von nahezu sechs Prozent zum Vorjahr bedeutet. Um Klimaneutralität im Stromsektor zu erreichen, müssten aber in den nächsten zwei Jahrzehnten viele Kilometer zusätzlicher Stromnetze gebaut werden, so die Bundesregierung. Das scheint nicht jedem zu gefallen.
Strom: „Zuverlässig im Land verteilt“
Das deutsche Übertragungsnetz ist in vier Regelzonen unterteilt. So ist der Netzbetreiber 50Hertz für die Übertragung des Spannungsfeldes im Norden und Osten Deutschlands zuständig. Die Stromtrasse soll 540 Kilometer lang sein und betreffe zu gleichen Teilen Nord und Süd, sagt eine 50Hertz-Sprecherin der Berliner Zeitung.
„Deutschland habe sich vorgenommen, klimaneutral zu werden; man müsse deshalb dafür sorgen, dass der grüne Strom zuverlässig im Land verteilt werde“, sagt sie.
Kritik: Übertragungsnetze ertüchtigen nur den Stromhandel
Dennoch sorgen Gleichstromtrassen auch für Kritik. So hat sich der Bundesverband der Bürgerinitiativen gegen Suedlink gegründet. Der sogenannte SuedLink betrifft einen geplanten Korridor zum Bau von HGÜ-Leitungen. Diese sollen über eine Strecke von rund 700 km vorrangig die im Norden der Bundesrepublik aus Windkraft gewonnene elektrische Energie nach Süddeutschland transportieren.
Mit seiner bundesweiten Vernetzung spricht sich der Verband für eine dezentrale und bürgerfreundliche Energiepolitik als tragfähige Alternative zu den geplanten Stromautobahnen aus. Aber was ist laut den Bürgerinitiativen dermaßen verkehrt an der Trasse, dass sie sogar den Stopp des Planungsverfahrens fordern?
Es bestehen Zweifel, ob die Trasse überhaupt gebraucht werde. Die Versorgungssicherheit in Deutschland sei derzeit nicht gefährdet, denn das bestehende Stromnetz sei eines der sichersten der Welt, heißt es beim Bundesverband. Außerdem kritisiert er, dass die Übertragungsnetze ausschließlich den Stromhandel stärken und damit auch Kohle- und Atomstrom aus den Nachbarländern weiter im Markt gehalten werden würden.
„Der Ausbau der Übertragungsnetze dient einem zentralistischen Energiesystem und konterkariert die Umsetzung regionaler bzw. dezentraler Energiewendekonzepte“, so der Verband auf seiner Seite. Die entstehenden Kosten würden sich derzeit auf circa 95 Milliarden Euro belaufen – und dies trage die Allgemeinheit. Außerdem spricht sich der Verband der Bürgerinitiativen für eine stärkere Bürgerbeteiligung aus. Wie reagieren Betreiber und Bundesnetzagentur darauf?
Bürgerbeteiligung: Ziehen Betreiber und Behörde die Menschen vor Ort mit ein?
„Als Übertragungsnetzbetreiber nehmen wir das Thema Bürgerbeteiligung sehr ernst“, schätzt unsere Gesprächspartnerin von 50Hertz ein. Es werde so gut wie möglich darauf geachtet, die Menschen vor Ort in die Planung mit einzubeziehen. Es gebe Ansprechpartner, die über geplante und laufende Maßnahmen informieren. Im Dialog mit den Menschen würden sich die Vorhaben überprüfen und nicht selten auch verbessern lassen.
Auch Aspekte des Natur- und Landschaftsschutzes würden von vornherein mit einem hohen Stellenwert in die Planungen eingehen. Das europäische und deutsche Umweltrecht würden hier klare und weitgehende Vorgaben machen. „Dies garantiert, dass die Eingriffe so gering wie möglich bleiben“, sagt sie. Und wo Eingriffe nicht zu vermeiden seien, werde mit passenden Maßnahmen wirksam ausgeglichen und ersetzt.
Als die Berliner Zeitung die Bundesnetzagentur mit der Kritik zur Stromtrasse konfrontiert, teilt deren Sprecherin mit, dass die Beantwortung dieser Frage nicht möglich sei. Die Behörde will zu der Kritik der Initiativen keine explizite Stellungnahme abgeben.




