Energiewende

„Missstand deutscher Energiewende“ – Führen die Norweger uns an der Nase herum?

Die Norweger selbst verbrauchen grünen Strom, das „unnötige“ Gas und bald auch Wasserstoff wird nach Deutschland exportiert. Was stimmt hier nicht? Ingenieure kritisieren.

In Zukunft sollen Offshore-Windparks die Förderung grünen Wasserstoffs ermöglichen und schrittweise den blauen Wasserstoff ablösen.
In Zukunft sollen Offshore-Windparks die Förderung grünen Wasserstoffs ermöglichen und schrittweise den blauen Wasserstoff ablösen.Christian Charisius/dpa

Die Suche nach erneuerbaren Energien nimmt jetzt so richtig Fahrt auf. Immerhin soll Deutschland laut Klimaschutzgesetz der Bundesregierung bis 2045 klima- bzw. treibhausgasneutral sein. Da kommt die deutsch-norwegische Energiepartnerschaft ganz recht, oder?

Anfang des Jahres schlossen nach dem Gazprom-Abgang nun Europas größter Gaslieferant Equinor und der Essener Energiekonzern RWE einen Deal, der den Bau einer Wasserstoff-Pipeline zwischen den Ländern bis 2030 vorsieht. Schon bis 2030 könnte Equinor demnach 50 Terawattstunden und bis 2040 150 Terawattstunden Wasserstoff nach Deutschland liefern. Damit gilt der Energieträger Wasserstoff als Hoffnungsträger für deutsche Klimaziele. Wird er aber auch grün sein?

Zum Vergleich: Fast 100 Prozent des norwegischen Stroms werden aus erneuerbaren Energien produziert, nämlich in Wasserkraftwerken, also ist der norwegische Strom komplett grün. Die Norweger selbst verbrauchen überwiegend Strom auch beim Heizen, der Eigenverbrauch vom Wasserstoff ist dagegen sehr gering. Schont man hier die eigene CO2-Bilanz, indem man die Emissionen nach Deutschland und Co. exportiert?

Wasserstoff-Pipeline mit Norwegen: Gleich dauerhafte Erdgasnutzung?

Ein deutscher Energieingenieur sieht es kritisch. „Norwegen ist offenkundig an einer möglichst langfristigen Sicherung seiner Einnahmen durch die Gewinnung und den Verkauf von Erdgas interessiert, wie auch Katar und andere arabische Staaten“, sagt der Mann im Gespräch mit der Berliner Zeitung und betont, die Erdgas-Abhängigkeit Deutschlands werde mit der besagten Pipeline kaum abgebaut. Der Ingenieur ist seit über 20 Jahren im Bereich der Energietechnik tätig, möchte aus Gründen aber namentlich nicht genannt werden.

Er betont zwar, dass er nicht gegen eine Wasserstoff-Pipeline von Norwegen nach Deutschland sei, jedoch mache sie vor allem eine Sache deutlich: „Da dieses Pipeline-Projekt über sehr lange Laufzeiten (20 Jahre und mehr) angelegt ist, kommt es faktisch einer dauerhaften zukünftigen Erdgasnutzung gleich.“ Auch RWE teilt in seiner Pressemitteilung mit, dass vorerst blauer Wasserstoff erzeugt werden würde, man langfristig aber auch Projekte für die Herstellung grünen Wasserstoffs anpeile.

CCS-Technik für Wasserstoff: In Deutschland umstrittenes Verfahren

Norwegen soll mit den Wasserstofflieferungen die deutsche Energieversorgung stützen, heißt es vom Wirtschaftsministerium. Man könnte meinen, ein großer Fortschritt auf dem Weg zur Klimaneutralität. Schaut man sich den aktuellen Prozess genauer an, stellt man fest, dass auch der norwegische Wasserstoff einen Fußabdruck hinterlässt, weil er aus Gas erzeugt wird.

Für den norwegischen Wasserstoff werden Techniken eingesetzt, die in Deutschland hoch umstritten sind. Bei dem Pipeline-Projekt soll Erdgas in Wasserstoff umgewandelt werden, was CO2 freisetzt. Hier ist noch von grauem Wasserstoff die Rede. Das CO2 soll aber mittels der CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) unterirdisch deponiert werden. Dadurch entsteht der sogenannte blaue Wasserstoff, dennoch birgt das Verfahren Risiken, auf die auch das Umweltbundesamt aufmerksam macht, zum Beispiel Risiken für das Grundwasser und für den Boden durch Leckagen von CO2.

Blauer Wasserstoff: Klimabilanz wie beim Verbrennen von Erdgas?

Auch Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesystem an der HTW Berlin, verweist darauf, dass der norwegische Wasserstoff, der künftig nach Deutschland importiert werden sollte, alles andere als klimaneutral sei. „Reiner Wasserstoff verbrennt völlig sauber, aber er kommt in der Natur nicht vor“, sagt der Professor in einem Video auf LinkedIn. Werde Wasserstoff aus Erdgas gewonnen, müsse der Kohlenstoff vom Erdgas abgetrennt werden, um reinen Wasserstoff zu erhalten.

Das Problem? Dabei entsteht laut Quaschning viel mehr CO2, als würde man Erdgas direkt verbrennen. Mit dem Plan der Regierung, das entstandene CO2 in der Erde einzulagern, gelange immer noch eine Restmenge mit einem kleinen Teil Methan in die Atmosphäre. „Methan verursacht in 20 Jahren 84-mal so große Klimaschäden wie Kohlendioxid“, so Quaschning. Damit wäre im schlimmsten Fall die Klimabilanz auch mit blauem Wasserstoff nicht besser, als schlichtweg Erdgas zu verbrennen.

Erfolgreicher Deal für Deutschland und Norwegen?

Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck äußerte sich zu dem ausgestoßenen CO2 während seiner Norwegenreise im Januar: „Kohlendioxid im Boden ist allemal besser als in der Atmosphäre.“ Genauso zufrieden dürften die Norweger mit dem Deal sein. Warum?

Er sichere auf Jahrzehnte hinaus wichtige Devisen, ohne die heimischen Energie- oder Strompreise in die Höhe zu treiben, schätzt unser Gesprächspartner ein. Noch dazu könne man durch den Bau mehrerer entsprechender Anlagen in Norwegen vergleichsweise schnell ein Wasserstoffnetz in Deutschland versorgen und damit zumindest Großverbraucher in der Industrie bedienen, so der Energietechnik-Ingenieur.

Robert Habeck besuchte das Wasserstoffunternehmen NEL in Norwegen im Januar 2023
Robert Habeck besuchte das Wasserstoffunternehmen NEL in Norwegen im Januar 2023Ole Berg-Rusten/imago

Wasserstoff-Pipeline: Aus blau soll grün werden

Laut der Absichtserklärung mit RWE will Equinor zuerst also blauen Wasserstoff herzustellen und mehr als 95 Prozent des anfallenden CO2 dauerhaft unter dem Meeresboden vor der norwegischen Küste speichern. Die Offshore-Windparks sollten dann schrittweise die Produktion grünen Wasserstoffs fördern. Entlang der Pipeline müssten zudem Wasserstoff-Elektrolyse-Anlagen errichtet werden, heißt es.

Bei der Elektrolyse wird Wasser mittels Strom aus erneuerbaren Energien in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten – grüner Wasserstoff, der CO2-frei ist. „Das Problem bei der Elektrolyse ist die extrem gute Bindung zwischen dem Wasserstoff und dem Sauerstoff, die man aufbrechen muss“, schätzt der Ingenieur ein. Die Bindung sei viel höher als die zwischen Wasserstoff und Kohlenstoff. Deshalb brauche man für die Elektrolyse etwa fünfmal so viel Energie wie beispielsweise bei der Methanpyrolyse, wo man etwa zehn Kilowattstunden Strom für ein Kilogramm Wasserstoff benötige. Diesen überflüssigen grünen Strom für die Elektrolyse hat Deutschland bisher nicht.

„Eines der Hauptprobleme der Energiewende in Deutschland“

Dass es aktuell teilweise zu lokalen Erzeugungsüberschüssen von Strom aus erneuerbaren Energien komme, liege an dem unzureichenden Stromnetz, das die Weiterleitung des alternativ erzeugten Stroms zum Verbraucher verhindere. „Dieser Missstand ist eines der Hauptprobleme der Energiewende in Deutschland, an dem aber zum Glück seit einiger Zeit gearbeitet wird“, so der Ingenieur.

Dennoch ist die internationale Zusammenarbeit auf dem Weg zur Klimaneutralität für unseren Gesprächspartner wichtig und sollte deshalb nicht pauschal verurteilt werden. Das Pipeline-Projekt zeige aber auch: Es fordere komplexe Lösungen, wenn man einerseits auf die risikoreiche Einlagerung von CO2 verweise und die Produktion von Wasserstoff deswegen lieber den Norwegern überlasse, andererseits aber unbedingt Vorzeigeland in Sachen grüner Energie sein möchte. 

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