Es galt als Teil der „nuklearen Option“: Als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine hatte die EU Vermögenswerte der russischen Zentralbank in Höhe von rund 200 Milliarden Euro eingefroren. Die EU will das Geld der Ukraine zum Wiederaufbau des Landes zukommen lassen – doch Deutschland stellt sich quer.
Die Financial Times (FT) stützt sich in einem ausführlichen Bericht auf Aussagen von ranghohen deutschen Beamten. Einer von ihnen habe gewarnt, wenn die EU Geld von der russischen Zentralbank nehmen oder die Erlöse aus der Anlage des Geldes behalte, könnte ein Präzedenzfall für andere Länder geschaffen werden. Demnach gebe es Befürchtungen in der Ministerialbürokratie, dass Polen erfolgreich Reparationsforderungen gegen Berlin wegen der Folgen des Überfalls im Zweiten Weltkrieg einklagen könnte. Ein weiterer Beamter habe erklärt, Justizminister Marco Buschmann (FDP) habe die EU-Vorschläge zur Beschlagnahmung der Vermögenswerte der russischen Zentralbank geprüft und sei zu dem Schluss gekommen, dass sie rechtlich nicht umsetzbar seien. Ein Sprecher von Buschmann habe gegenüber der FT keine Stellungnahme abgegeben.
Westen besorgt: China und Russland könnten zusammenrücken
Leon Wansleben, Experte für Zentralbanken am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, erläuterte im Gespräch mit der Berliner Zeitung die Motive des Westens. „Es besteht ein Interesse, die Kriegskosten für die Ukraine zu finanzieren“, sagte Wansleben. Hierbei auf das russische Zentralbankvermögen zurückzugreifen, würde den Bund entlasten. Derzeit steige der Druck in vielen Ländern, dass die Bereitschaft zur Finanzierung des Krieges nachlasse.
Dagegen spreche allerdings, dass das Versprechen des Westens, freien Kapitalverkehr und ein funktionierendes Zahlungssystem zu managen, gebrochen würde. „Wenn man die Zentralbank-Assets nicht nur einfriert, sondern auch konfisziert, unterminiert man die Legitimation des globalen Finanzsystems.“ Der Westen befürchte neben dem rechtlichen auch den politisch-ökonomischen Aspekt. So könne sich ein Block rund um China und Russland bilden, der eigene Zahlungs- und Finanzstrukturen aufbaut, erklärte Wansleben. Zudem gebe die EU einen Trumpf aus der Hand, wenn es zu Friedensverhandlungen komme. Die 200 Milliarden Euro könnten ein wichtiges Druckmittel sein, um Russland zu Zugeständnissen zu bewegen.
In Brüssel wird bereits über alternative Wege diskutiert. Statt die Vermögenswerte vollständig zu beschlagnahmen, könnten Teile der Erlöse für Kiew einbehalten werden. Verwahrer von Wertpapieren könnten verpflichtet werden, sogenannte Zufallsgewinne abzuführen. Das russische Zentralbankgeld wird von den Zentralverwahrern Euroclear in Belgien und Clearstream in Luxemburg gemanagt. Euroclear hat im ersten Quartal 734 Millionen Euro Zinsgewinne gemeldet.
Kiew will Renditen aus investiertem russischem Vermögen
Ein ranghoher ukrainischer Beamter sagte der Financial Times, Kiew gehe davon aus, dass die EU aus den Beständen russischer Zentralbankvermögen jährlich drei Milliarden Euro aufbringen könne. Die Weltbank kalkuliert mit Kriegsfolgekosten in Höhe von 380 Milliarden Euro für das Land. Der Beamte sagte, die Ukraine prüfe auch einen alternativen Plan, bei dem die Kommission beschlagnahmte russische Vermögenswerte als Sicherheit verwenden könnte, gegen die sie Kredite aufnehmen könne, um sie mit einer Rendite zu investieren, die für Kiew bestimmt wäre. „Die Herausforderung besteht darin, herauszufinden, was rechtlich einwandfrei und vertretbar ist“, erklärte ein EU-Diplomat, der an den Diskussionen beteiligt war, der FT. „Es ist komplexer, als irgendjemand zu Beginn dachte.“
Die EU-Kommission teilte mit, das weitere Verfahren werde am Donnerstag auf dem Treffen der EU-Staats- und -Regierungschefs in Brüssel erörtert.
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