Serie: Bezirke in Berlin, Teil 2

Neukölln: Einzigartige Architektur und Sichtachsen, die sprachlos machen

Vergessen Sie Clan-Kriminalität und Schauergeschichten. In unserer Wochenend-Serie nehmen wir Sie mit in ein Neukölln, das Sie so noch nicht kannten.

Blick von der tollen Rooftop-Bar Klunkerkranich über das abendliche Neukölln. 
Blick von der tollen Rooftop-Bar Klunkerkranich über das abendliche Neukölln. Berliner Zeitung/Markus Wächter

Berlin ist ein Dorf. Sagt man so, und stimmt auch, wenn man genauer hinguckt. Aber wer tut das schon? Wer fährt einfach mal in einen anderen Kiez, um zu gucken, was da so los ist? Das wollen wir ändern. In der Bezirke-Serie stellen wir alle 12 Berliner Bezirke vor, lassen Einheimische zu Wort kommen, verraten Geheimtipps, tauchen ein in die Vielfalt der Möglichkeiten. Heute: Neukölln.

Erst 1920 wurde die Ortschaft Neukölln eingemeindet und gehört seither zu Berlin. Die meisten Menschen kennen nur Nordneukölln, waren noch nie in den anderen Ortsteilen Buckow, Britz, Rudow oder Gropiusstadt, wo im Übrigen Christiane F., Berlins berühmteste Drogensüchtige, als Jugendliche lebte.

Heute wohnen knapp 330.000 Menschen aus mehr als 150 Nationen im Bezirk, der nicht nur kulinarisch, sondern auch architektonisch viel zu bieten hat. Auch wenn es eine wunderschöne Altbausubstanz gibt und gefühlt an jeder Ecke frische, selbst gemachte Falafel – Neukölln hat deutlich mehr in petto.

Lange war der Bezirk stadtweit verschrien, zu viel Kriminalität, alles so abgerockt, nicht cool – bis irgendwann die Studierenden und Kunstschaffenden kamen. Seither spricht man ganz lässig von Kreuzkölln und, augenrollend, von Gentrifizierung. Dabei ist Neukölln nur das, was Berlin schon immer war: Umbruch, Aufbruch, Veränderung.

Haben Sie Lust, auch die anderen Bezirke kennen zu lernen? Dann folgen Sie uns doch nach Pankow, Lichtenberg, Mitte, Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinickendorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf, Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf.

Was ist so besonders an Neukölln?

Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD): „Der Bezirk ist längst mehr als nur ein Insidertipp. Hier gibt es immer wieder Neues zu entdecken – für Kiez-Einsteiger ebenso wie für Urgesteine. Berliner Historie trifft auf internationales und kulturelles Flair, quirliges Großstadtleben auf grüne Erholungsoasen. Als Neuköllner schätze ich diese Vielfalt.“

Und der Lieblingsort? „Wo soll man da anfangen? Gern laufe ich in der Hasenheide oder radle den Mauerradweg entlang. Ausstellungen und das Jazzfest auf dem Schloss & Gutshof Britz zählen für mich auch zu den Kulturhighlights. Und abends geht es mal zur Show in den Heimathafen Neukölln.“

Freizeit-Tipps in Neukölln: essen, ausgehen, genießen

Der Heimathafen Neukölln (Karl-Marx-Straße 141) ist eine Perle der Berliner Kulturszene. Hier gibt es nicht nur Theater und Konzerte, sondern auch Lesungen und Science oder Poetry Slams, aber auch – legendär! – regelmäßig die Reihe ‚Sing dela Sing‘, wo man gemeinsam drauf los trällert. Und das ist das Schöne am Heimathafen: Hier darf jede sein wie sie will, jeder kommen, der mag. Hautfarbe, Muttersprache, Bildungsstand – all das spielt im Heimathafen keine Rolle.

Wer es gediegener mag, geht ein paar Häuser weiter in die Neuköllner Oper (Karl-Marx-Str. 131), die viel zu oft vergessen wird angesichts des großen Berliner Opern-Trios aus Deutscher, Komischer und Staatsoper. Dabei ist das Konzept einzigartig: „Für uns bedeutet ‚Oper machen‘: Geschichten über das erzählen, was (…) sonst nicht auf die Bühne kommt. Neues hinzufügen statt Bekanntes wieder aufwärmen“, lautet die Selbstbeschreibung der Neuköllner Oper, die im gleichen Gebäudeensemble, der Neuköllner Passage, residiert wie das wirklich tolle Passage Kino.

Das denkmalgeschützte Passage Kino (Karl-Marx-Str. 131) gehört zur Yorckgruppe und hat sich seinen Charme erhalten: rote Samtsitze, Kronleuchter, schwere Vorhänge vor der Leinwand. Das Programm ist (wie bei allen Berliner Arthouse-Kinos) wohl kuratiert, viele Filme laufen in Originalsprache, die Atmosphäre ist Neukölln-typisch sehr kumpelig.

Essen für den Bauch und fürs Wohlbefinden gibt’s im „Drei Elefanten“ (Donaustraße 104), das mit frischem ukrainischen Soulfood für sich wirbt. Essen wie bei Babuschka, quasi direkt aus Omas Küche, versprechen die Restaurantbetreiber. Dementsprechend wird alles selbst von Hand zubereitet. Tipp: Probieren Sie mal zum Frühstück eine grüne Shakshuka, gesünder (und leckerer) kann man kaum in den Tag starten. Spiegeleier auf Spinat, Zucchini, Feta und Minze (11,50 Euro).

Möchten Sie mal außerhalb Nordneukölln essen gehen? Sollten Sie! Das Restaurant „Zum Alten Krug“ (Alt-Rudow 59) wirkt im besten Sinne wie eine Dorf-Gaststätte, es ist rustikal-gemütlich, nicht ete-petete. Locals nennen den Laden auch einfach Dorfkrug – und das schon seit Ewigkeiten. Der Dorfkrug soll einstmals Teil des Ortskerns gewesen sein, so genau weiß das keiner mehr.

Im Jahr 1372 wurde die Lokalität erstmals in einem Landbuch erwähnt, brannte 1799 ab und wurde dann für 2263,23 Taler wieder aufgebaut. Seither wurde das Haus wurde nicht großartig verändert; die Speisen sind gutbürgerlich und deftig (z.B. Kalbsschnitzel mit Kartoffelsalat 17,50 Euro).

Geheimtipps in Neukölln

Nicht ganz so alt wie der Dorfkrug, aber ebenso fast unverändert zeigt sich die denkmalgeschützte Britzer Mühle. 1865 kaufte der Mühlenmeister Johann Wilhelm Gottlob Dörfer ein Stück Land unweit des Dorfes Britz und baute darauf eine 20 Meter hohe Galerie-Holländermühle mit englisch- amerikanischer Technik. Bis heute mahlt sie Mehl – und das kann man sich angucken.

„Von März bis Oktober führen die Hobbymüller*innen vom Verein Britzer-Müllerei jeden Sonntag und an Feiertagen kostenlos durch die historische Mühle. Auf mehreren Etagen kann die faszinierende Technik bestaunt werden. Wer Glück hat, erwischt einen der windigen Tage und erlebt die Mühle live in Aktion. Wie in alten Zeiten wird dann Mehl rein mechanisch ohne Strom gemahlen und nebenan im Steinofen zu frischem Brot verbacken“, schreibt das Bezirksamt Neukölln.

Schön spazieren gehen kann man in Neukölln beispielsweise am Maybach- und Weigandufer, wo man erst rüber nach Kreuzberg und (nachdem man am Dreiländereck vorbei ist) nach Alt-Treptow gucken kann, sich anfangs über den Landwehrkanal freut und dann am Neuköllner Schiffahrtskanal entlang läuft, bis man zur Wildenbruchbrücke kommt. Und staunt: Kunst im Klo! Das alte Toilettenhäuschen wurde 2021 sozusagen umgewidmet. Seither beherbergt das Örtchen in seinen vier Räumen eine Kunstgalerie, in der junge Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten – Bilder, Performances, Installationen – zeigen können.

Sport in Neukölln

Das schöne am weniger dicht besiedelten Süden Neuköllns ist: Man kann (vergleichsweise) in Ruhe Radfahren. Besonders gut geht das im Landschaftspark Rudow-Altglienicke, wo es nicht nur landschaftlich reizvoll ist (Achtung! Hier grasen Wasserbüffel!), sondern auch historisch spannend. Früher teilte die Berliner Mauer hier nämlich Ost (Altglienicke) und West (Rudow).

Beim Radeln durch die dörfliche Großstadt passiert man einen Milchhof mit urigem Hofladen ebenso wie die untertunnelte Autobahn und umrundet schließlich die Rudower Höhe, einen 70 Meter hohen Trümmerberg. Der Rundweg ist sechs Kilometer lang und auch für Kinder gut zu bewältigen.

Wem das zu seicht ist, kann sich am Bouldern versuchen. Die Trendsportart ist sowohl für den Körper als auch für den Kopf herausfordernd, nach dem Verständnis der Betreiber des Bouldergartens (Thiemannstraße 1, Tor 4/2, Hinterhaus) ist diese Form des Kletterns ein urbanes Ganzkörpertraining mit akrobatischen Zügen. Willkommen sind alle, die Lust haben – und älter als zehn Jahre sind.

Weniger intensiv, aber auch fordernd geht’s direkt ums Eck zu, im Berlin Shuffle Board Club (Thiemannstraße 11). Shuffle Board kennen Sie vielleicht aus dem Urlaub: Man muss mit einem Schieber runde Scheiben anstoßen, die am hinteren Ende einer rechteckigen Fläche auf möglichst hohen Ziffern liegen bleiben sollen. Macht echt Spaß, fordert viel Konzentration und Feingefühl. In der Spielhalle des Shuffle Board Clubs gibt es außerdem Airhockey, Flipper und Tischtennis.

Neukölln für Familien: Was kann man mit Kindern unternehmen?

Der Britzer Garten (Sangerhauser Weg 1) ist eines der Top-Ausflugsziele für Familien, die nach Neukölln kommen. Und für die, die hier leben, sowieso. Der Garten mit Wasserspielplatz, Modellbootfahrten, Parkeisenbahn und Freilandlabor („Umweltbildungszentrum“) bietet so viel Spaß, dass ein Tag fast nicht ausreicht, um sich mit all den tollen Erlebnissen vollzusaugen.

Einen der größten und tollsten Spielplätze der Stadt finden Sie am Buschkrugpark: Der Europaspielplatz wurde 2009 auf 80.000 Quadratmetern für 3,5 Millionen Euro errichtet und hat neben den üblichen Spieleräten auch einen Motorikpfad.

Bei schlechtem Wetter – und eigentlich auch sonst – sollten Sie dem Kinderkünstezentrum (Ganghoferstraße 3) einen Besuch abstatten. Hier dreht sich alles um frühkindliche Bildung. Es gibt verschiedene Mitmach-Angebote für Kinder zwischen zwei und acht Jahren: Vom Puppenbau-Workshop über Familienkonzerte bis hin zu Kunstausstellungen, bei denen Werke von Kindern gezeigt werden. Ganz bezaubernd anzusehen, rührende Geschichten.

Architektur-Highlights in Neukölln

Kennen Sie die High-Deck-Siedlung? Müssen Sie gesehen haben. Das 32 Hektar große Wohnviertel am unteren Ende der Sonnenallee, kurz bevor diese in den Osten Berlins führt, beherbergt rund 6000 Menschen in etwa 2400 Wohnungen. Die Häuser, allesamt Fünf- oder Sechsgeschosser, sind durch meterhohe Wege – die Decks – miteinander verbunden. Es wirkt futuristisch, fast surreal. Unter den High Decks sind die Straßen und Garagen untergebracht.

Als das Quartier in den 1970ern gebaut wurde, waren die Wohnungen heiß begehrt: Erstens, weil sie gut geschnitten waren, und zweitens, weil es so nah an der Mauer sehr ruhig und grün war. Seit Ende 2020 steht die High-Deck-Siedlung unter Denkmalschutz. Zu übersehen ist das Viertel nicht, denn ein Gebäuderiegel überspannt die Sonnenallee und verbindet so die beiderseits gelegenen Quartiershälften.

Wenn Ihnen das Selbsterkunden nicht so liegt, testen Sie doch mal den Audio-Walk, der Sie durch die Hufeisensiedlung (Unesco-Welterbe) in Britz leitet. Der Rundgang dauert 40 Minuten und führt an 15 Stationen vorbei. Hören können Sie die Dateien entweder über die bezirkseigene Tourismuswebseite oder über die App Hearonymus, wo Sie „Hufeisensiedlung“ eingeben müssen.

Sightseeing in Neukölln: Einmal das Rathaus besteigen

Seit 14 Jahren bietet Reinhold Steinle Orts-Führungen in Neukölln an, hat acht verschiedene Touren im Repertoire. Kreuzkölln, Richardplatz, Rollbergviertel, Schillerkiez – keine Ecke, die der studierte Sozialpädagoge nicht kennen würde und erklären könnte. Sein Sightseeing ist gespickt mit Anekdoten von früher und heute. „Und ich kombiniere den Spaziergang mit meinen Gästen immer mit einem kleinen Quiz, da kommt der Lehrer in mir durch“, so Reinhold Steinle.

Das eigentliche Highlight seiner Touren: Der Gang rauf aufs Rathaus Neukölln. Niemand sonst darf das anbieten; der 68 Meter hohe Turm des Rathauses ist nicht öffentlich zugänglich. Die Tour in dem alten Sandsteinbau dauert etwa eine Stunde und kostet fünf Euro pro Person. „Nach oben sind es etwa 200 Stufen über eine Stahltreppe, aber zwischendrin machen wir Pausen. Und es gibt eine Etage mit einer Ausstellung zur Baugeschichte Neuköllns“, erzählt der Stadtführer.

Während des Aufstiegs gibt Reinhold Steinle sein Wissen preis: „Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe hat mal hier gearbeitet, im Hochbauamt. Und Stadtplaner Bruno Taut auch, zusammen mit seinem Bruder Max.“ Oben angekommen wird man mit einem ungeahnten Weitblick belohnt: „Bei gutem Wetter sieht man den Müggelturm hinterm Estrel und kann bis zum Teufelsberg gucken, das ist toll“, schwärmt der Neukölln-Experte.

„Zum Schluss kann man noch in der öffentlichen Kantine des Rathauses essen, das wissen viele nicht“, sagt er. „Und am Ende der Führung verteile ich immer ein Infoblatt zur Erinnerung.“ Die Besichtigungen des Rathaus-Turms finden einmal im Monat, mittwochs um 11 Uhr statt. Zusätzlich bietet Reinhold Steinle Sonderführungen, beispielsweise für Schulklassen, an, ebenso Einzelführungen oder für Gruppen bis zu sechs Personen (Termine nach Absprache).