Die Wiener Linien – in denen es übrigens nie stinkt und alten Damen immer ein Sitzplatz angeboten wird – werben in diesem Sommer mit einem coolen Bikergirl und dem Slogan „Immer als Erste im Zweiten“. Für Berlinerinnen und Berliner: Mit Letzterem ist der zweite Bezirk gemeint, hier-ist-die-Welt-noch-in-Ordnung-mäßig zwischen Donaukanal und Augarten eingeklemmt.
Es ist natürlich toll, wenn man dort als Erstes ist, man muss halt damit klarkommen, dass aktuell alles zu hat. In den Sommermonaten kommt Wien nämlich komplett zum Erliegen. Letztes Jahr fiel mir das schon auf, ebenso allen Menschen, die mich besuchen kamen. Lauter leere U-Bahn-Sitzplätze, nicht nur für alte Damen, verrammelte Läden und leere Straßen, über die, würde die Wiener Müllabfuhr nicht so tadellos ihre Arbeit erledigen, sicherlich Heuballen rollten. Mein kurdischer Schneider verabschiedete sich schon Mitte Juli mit dem Versprechen, mir Feigen aus seinem Heimatdorf mitzubringen, und Bernhard, mein FM4-Fanshirt tragender Osteopath, hat sich sage und schreibe eineinhalb Monate freigenommen.

Hundstage in Österreich
Wo fahren bloß alle hin? Es gibt in Österreich doch gar kein 9-Euro-Ticket. Manche vielleicht, im Geist von Schnitzler, Freud & Co., auf die sogenannte Sommerfrische („Erholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Sommerzeit“), auf den Wiener Hausberg Semmering, nach Bad Gastein oder zu den Großeltern nach Kärnten. Andere verpulvern ihren kompletten Jahresurlaub in Jesolo. Trotzdem müssen doch viele Menschen arbeiten, und zwar nicht vom Homeoffice aus? Ich kapiere es nicht. Der einzige Ort, an dem im Wiener August Einheimische anzutreffen sind, ist der Heurige, eine Weinschenke mit Gastgarten und einfacher Küche, wo Mineralwasser Mitarbeitersekt heißt.
Manche meiner Bekannten mögen das, diese Hundstage, an denen die Stadt wie ausgestorben ist, abgesehen von den Touristen, denn die kommen natürlich trotzdem. „Hundstage“ heißt übrigens auch ein Film des österreichischen Regiegotts Ulrich Seidl, der an einem der heißesten Tage des Jahres mehrere Vorstadtexistenzen aufeinanderprallen lässt, einen Alarmanlagenvertreter auf eine Anhalterin mit Tourette-Syndrom auf einen Rentner, der Lebensmittel abwiegt und dann reklamiert.
Die Dachterrasse des Weekend
Dass man der Stadt im Sommer entflieht, kannte ich so nicht. Ganz im Gegenteil gilt der Berliner Sommer als die beste Zeit des Jahres, mit Pistazieneismarathon und Hasenheide-Open-Airs und Oberkörperfreiliegen im Prinzenbad (wobei in absehbarer Zeit wahrscheinlich auch Frauen in diesen Genuss kommen). Früher mochte ich auch die Dachterrasse des Weekend recht gerne. Freunde mit Kindern sind vielleicht mal übers Wochenende im Havelland, Freunde ohne Kinder auf Technofestivals, aber abgesehen davon ist es überall so voll wie immer. Keine „Betriebsferien“-Schilder, nirgends.
Ganz im Gegenteil zum zweiten Wiener Bezirk. Samstags gehe ich gerne auf den dort gelegenen, im August um die Hälfte einreduzierten Karmelitermarkt (dabei ist doch Marillensaison!) und anschließend zu Super Mari, einem winzigen italienischen Hipster-Feinkostladen mit Fuchslogo und Oatly-Cappuccino. Aktuell hängt an dessen Tür ein Schild, chiuso, geschlossen, bis Anfang September. Wobei sich das einem Freund von mir zufolge mit der Tradition des ferragosto erklären lässt, der rund um den 15. August gelegenen Urlaubshochsaison, die kaum eine Italienerin zu Hause verbringt.
Vielleicht liegt hier die Erklärung: Obwohl es in Wien nicht ferragosto, sondern Sommerferien heißt, ist das Prinzip dasselbe, raus aus der brütend heißen Stadt (einem Bumbledate zufolge hat Wien mehr als doppelt so viele Tropennächte wie Berlin), rauf auf die Berge oder an den See oder auf die Großelternterrasse, und jeden Tag mindestens ein Eis essen, besser zwei. Ein Stück italienische Lebensart in meiner Wahlheimat. Das beste Eis gibt es übrigens bei Gelato Carlo am Hamerlingplatz, derzeit praktisch ohne Wartezeit.



