Food-Tipp

Das Restaurant Merold in Neukölln feiert die Erzeugnisse der Äcker Brandenburgs

Brandenburg gilt als Sandkiste. Und doch wachsen hier auch wunderbare Grundzutaten für die Gastronomie. Das Merold in Neukölln bringt sie auf den Tisch.

So reduziert, wie es jetzt überall in Berlin trendig ist: das Restaurant Merold in der Pannierstraße in Berlin-Neukölln
So reduziert, wie es jetzt überall in Berlin trendig ist: das Restaurant Merold in der Pannierstraße in Berlin-NeuköllnMerold

Mit der deutschen Küche ist es so eine Sache. Nördlich des Weißwurstäquators (das ist grob der Fluss Main; die historische Grenze verläuft zwischen Bayern auf der einen und dem Großherzogtum Hessen und dem Königreich Preußen auf der anderen Seite) schlägt man sich mit Labskaus und Currywurst rum, in der Sandkiste Brandenburg wächst gefühlt nichts und viele fragen zu Recht: War’s das schon?

Nova Regio heißt der Versuch, sich auf das zu besinnen, was die auch noch so karge Region hergibt. Viele machen das gerade, einige sehr gut, und einer davon ist Jonas Merold. Aus der Oberpfalz kam er nach Berlin, samt seiner ihm beruflich unter die Arme greifenden Mutter. Sesshaft geworden ist er vergangenen November in einem nach ihm benannten, leicht zu übersehenden Ladenlokal in der Pannierstraße, dessen Inneneinrichtung (die Tische werden in Potsdam angefertigt, die Öko-Label-Stühle in Kopenhagen) Wärme und trockenblumige Eleganz ausstrahlt.

Wohin die Reise führt, beweisen die neben der Tür aufgestellten Einweckgläser: Hier fermentiert es gewaltig vor sich hin. Die britische Sommelière erklärt in perfektem Deutsch den Aperitif L’Antidote, einen mit Kräutern versetzten Gamay-Traubensaft, leicht sprudelnd, die Begleitung denkt an Hustensaft, ich mag ihn sehr. Dann geht es ans Bestellen: entweder à la Carte oder als Fünf-Gänge-Menü für 62 Euro (107 Euro mit Weinbegleitung).

Kleine Gerichte: Auch das gibt es jetzt überall.
Kleine Gerichte: Auch das gibt es jetzt überall.Merold

Im Trend: Misobutter gibt es nicht nur im Otto

Auffallend ist der sparsame Fisch- und Fleischeinsatz. Da ist die zum Signature Dish avancierte hausgemachte Bratwurst, irgendwas mit Rind und der mir persönlich zu derbe Teller mit briefmarkengroßen Hechtstücken auf Matjesart; ansonsten spielt Gemüse die zentrale Rolle. Los geht es mit Domberger-Brot und selbstgemachter Misobutter, deren Aromentiefe nicht ganz an die von Vadim Otto Ursus aus dem Otto heranreicht.

Dreierlei Sorten Rettich werden begleitet von einer rahmigen Creme, die exemplarisch ist für Merolds Art zu kochen: altes Brot als Basis (no food waste!) und die regionale Variante der japanischen Gewürzmischung Furikake, mit Algen aus der Nordsee. Begeistert bin ich von den im Mund schmelzenden Zwiebeln mit geräucherter Butter, Buchweizenpüree und dem süßlichen Touch schwarzen Knoblauchs, ein üppiger, an die französische Hochküche erinnernder Teller, der auch ein Hinweis auf Merolds Fine-Dining-Vergangenheit ist; schließlich blickt der 28-Jährige auf so namhafte Stationen wie Reinstoff und das Restaurant Tim Raue zurück.

Als zu streng empfinde ich hingegen den zehn Tage fermentierten Camembert, daran ändern auch die dazu servierten Beeren nichts. Ab jetzt begleitet der Muri Yamilé das Essen, ein sensationeller Wasserkefir, mit perfekt ausbalancierter Süße und einem verführerischen Rhabarberraucharoma, das es auch mit den geschmacksstarken Tellerkomponenten aufnehmen kann (die Flasche kostet 42 Euro, das als Hinweis an alle Gastronomen, die behaupten, man verdiene nichts an Abstinenzlerinnen).

Nicht alles ergibt Sinn: teilweise ganz schön hohe Preise

Ein weiteres Highlight ist die geröstete Spitzpaprika mit Erdbeeren, Labneh und Estragonöl, weil die rauchigen Bitternoten der Paprika, die Fruchtsüße und der levantinische Frischkäse eine Knallerkombination sind. Wie so oft stellen die Hauptgänge leider keine Steigerung dar. Aus oberbayerischen Sojabohnen gemachter Tempeh ist eine gute Idee, der dazu servierte Rotkohl und fermentierte Rhabarber bleiben aber geschmacklich blass und das Tempeh-Creme-Verhältnis ist unbefriedigend.

Gegen die Kombination von Buttermilch und der Auberginencreme Baba Ganoush ist nichts einzuwenden, ihr aber lediglich drei Riesenblätter Kapuzinerkresse und grob geschnittene, rohe Zucchinistücke beizustellen, finde ich dann doch etwas zu simpel, zumal sich mir die Preisgestaltung dieses Tellers mit 22 Euro nicht erschließt.

Das Dessert ist so bescheiden, wie man es von der Nova-Regio-Küche gewohnt ist, ein Heumilcheis mit angeblich unreifen, tatsächlich aber perfekten Erdbeeren und Ökomuttiassoziationen aufrufenden Buchweizencrackern (sorry). Schade, dass Merold seine Vergangenheit in der Coda Dessert Bar offenbar hinter sich gelassen hat.

Lieber hätte ich jenes Steinpilztiramisu probiert, das er während seiner Zeit im Cell entwickelt hat. Sei’s drum: Auch wenn nicht jeder Teller perfekt ist, hantiert der Neu-Berliner souverän und vielversprechend, und das mit ethischem Ansatz.

Auf die Frage, wofür das Merold ihrer Meinung nach stehe, antwortet die Sommelière: „Wir sind ein modernes Wirtshaus, das Altbekanntes variiert und deutsche Gerichte mit Inspirationen aus aller Welt vereint. Immer vor dem Hintergrund, dass Essen politisch ist.“ Das lassen wir mal so stehen.

Bewertung: 4 von 5 Punkten!

Restaurant Merold, Pannierstraße 24, 12047 Berlin, geöffnet Di–Sa 19–23.30 Uhr.


Haben Sie Fragen zu unseren Rezepten? Ideen und Wünsche für Geschichten oder einen Restauranttipp für uns? Dann Schreiben Sie unserem Food-Chef Jesko zu Dohna auf Instagram oder per Email: briefe@berliner-zeitung.de