Ratgeber

Psychologin: So geht man mit Klimaangst und schlimmen Nachrichten um

Fachleute haben neue Phänomene rund um schlechte Nachrichten erkannt und benannt. Wie geht man mit Doomscrolling, Eco Anxiety und News Avoidance richtig um?

Wenn der Alltag Schatten wirft, kann man sich manchmal sehr allein fühlen.
Wenn der Alltag Schatten wirft, kann man sich manchmal sehr allein fühlen.imago stock&people

Das Weltgeschehen ist eine Herausforderung für uns alle. Auch wenn unser Alltag nicht mehr von Corona bestimmt wird, so sind die Hiobsbotschaften doch allgegenwärtig: der Krieg in der Ukraine, die aufziehende Klimakatastrophe, eine drohende Hungersnot im Sudan, kriselnde Finanzmärkte. Die Liste der Negativ-Schlagzeilen ist lang.

Wie geht man mit den Herausforderungen der Weltkrisen um? Auch wenn es uns nicht (immer) ganz unmittelbar betrifft, so kann man doch betroffen sein, Mitgefühl empfinden, vielleicht auch Angst, Wut – oder Resignation. Es ist eine Typenfrage, wie man dem Nachrichtenfluss begegnet. Fachleute haben drei neue Phänomene ausgemacht, auch wenn diese (noch) nicht als Krankheiten klassifiziert und anerkannt sind: Doomscrolling, Eco Anxiety und News Avoidance. Was dahintersteckt, verrät die Psychologin Sophie Schürmann.

Die Expertin ist Gründerin und Geschäftsführerin von Peers, einer Online-Plattform für psychosoziale Unterstützung, die erst Anfang dieses Jahres gestartet ist. In angeleiteten, 90-minütigen digitalen Gruppenkursen kann man sich hier mit anderen Betroffenen über Probleme austauschen, Lösungen lernen und Tipps von Profis bekommen.

Geeignet sind die (kostenpflichtigen) Kurse für alle möglichen psychischen Probleme – vom Liebeskummer über Trauerarbeit bis zur Depression – und hilfreich vor allem für all jene, die keine Therapiemöglichkeit vor Ort haben.

Eco Anxiety: Wenn die Klimaangst einen fast verrückt macht

Unter Eco Anxiety verstehen Fachleute eine tief sitzende und chronische Angst vor dem ökologischen Untergang der Welt. Es gibt aber auch die sogenannte Eco Worry; eine Sorge, wie wir sie alle hin und wieder haben: Wohin soll das führen? Wie geht es mit dem Klima und der Welt weiter? Wo werden wir in 30 Jahren stehen? Normale Gedanken, die aber nicht den Alltag bestimmen. Die Eco Anxiety hingegen ist eine Klimaangst, die einen komplett im Griff hat.

Das erkennen Sie daran, dass Ihre Gedanken sehr häufig um die Klimakatastrophe kreisen, Sie vielleicht sogar körperlich darauf reagieren, etwa indem Sie Herzrasen oder schweißnasse Hände bekommen oder immer wieder schlecht träumen. „Jemanden, dem es so geht, sollte man ernst nehmen“, sagt Sophie Schürmann. „Auch wenn das keine anerkannte Erkrankung ist, sollten Betroffene gegensteuern, damit sich die Symptome nicht chronifizieren.“

Burnout war früher übrigens auch keine anerkannte Diagnose. Insofern geht es bei der Klimaangst nicht um eine Befindlichkeit, sondern möglicherweise – je nach Ausprägung – tatsächlich um etwas, um das man sich kümmern sollte. Ob eine Psychotherapie für Sie infrage kommt, müssen Sie selbst entscheiden. Sie können aber auch in Gruppengesprächen einen Weg finden, mit Ihren Ängsten umzugehen.

„Wir matchen bis zu acht Personen mit den gleichen Herausforderungen“, erklärt Schürmann. „Die Gruppen können sich untereinander austauschen und werden von erfahrenen Psychologinnen und Psychologen begleitet. Man trifft sich einmal pro Woche in digitalen Videosessions und bearbeitet vorgegebene Aufgaben, um die Beschwerden in den Griff zu bekommen. Dabei geht es auch um Wissensvermittlung und das Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen.“ Menschen mit Ängsten würden dadurch eine Selbstwirksamkeit erfahren, die heilend und stärkend wirken könne.

Aktuell übernimmt die Privatkasse Barmenia die Peers-Gebühren, alle anderen Kassen noch nicht, aber es wird daran gearbeitet. Ein Sechs-Monats-Kurs kostet 59 Euro pro Monat (vier Sitzungen), bei einer einjährigen Laufzeit sind es 49 Euro monatlich. „Wie schnell sich der Erfolg einstellt, ist im Einzelfall verschieden. Aber unser Ansatz ist es, langfristig und nachhaltig zu arbeiten. Es geht darum, jahrelange Verhaltensweisen abzuändern und so umzuformen, dass man wieder besser und ruhiger leben kann.“

Bei der Klimaangst hieße das etwa, dass man sich – auch unabhängig von einer Therapie – mit anderen Menschen trifft und bewusst schöne Dinge tut, die ablenken und gute Laune machen. Sie können auch über Ihre Ängste reden, aber nicht ausschließlich. Es ist okay, gewisse Dinge einmal loszuwerden, aber vom Grundsatz her sollten Sie auch anderen Emotionen, Gedanken und Erfahrungen Raum geben.

„Der Austausch mit anderen und das damit verbundene Gefühl, nicht allein zu sein, ist nachgewiesenermaßen einer der größten Heilungsfaktoren bei Ängsten“, so Schürmann.

Darüber hinaus könnten Sie sich für den Klimaschutz engagieren oder überlegen, was Sie selbst in Ihrem Leben noch verbessern könnten. Wer aktiv etwas tut, hat das Gefühl der Selbstwirksamkeit und Kontrolle – beides nicht ganz unerheblich, wenn man sich besser fühlen möchte.

Doomscrolling: Zwanghaftes Suchen nach negativen Nachrichten

Wenn der Fluss an negativen Nachrichten kein Ende nimmt und man sich von einer Horrornachricht zur nächsten klickt, vom ganzen Ungemach buchstäblich nicht abschalten kann, dann spricht man vom Doomscrolling. Das Wort scrollen kennen wir alle, es meint das Verschieben des Bildschirms. „Doom“ kommt ebenso aus dem Englischen und meint so viel wie Untergang.

Falls Sie sich also dabei ertappen, dass Sie lange an schlechten Nachrichten hängen bleiben, immer weiter srcollen und suchen – dann wissen Sie jetzt, wie dieses zwanghafte Verhalten genannt wird. „Menschen fokussieren sich dann auf schlimme Ereignisse, und das kann zur Sucht werden“, erklärt Sophie Schürmann. „Und es ist leichter, als man glauben mag, in diese Spirale hineinzugeraten.“

Das Problem sei nämlich, dass es heutzutage keine Grenzen mehr gebe. Früher waren die Zeitung, das Magazin oder Buch ausgelesen, die Nachrichten im Radio oder Fernsehen irgendwann vorbei. In Zeiten des Internets gibt es kein Ende – und keine Selektion. Alle anderen Medien sind abgemischt und kuratiert, sie sind ein Mix verschiedener Themen.

„In den sozialen Medien hingegen kann man unendlich lange lesen. Es hört nie auf, in der Regel ist es nicht kuratiert, wird nicht von Fachleuten eingeordnet“, so die Psychologin. „Hinzu kommt, dass die Algorithmen uns noch mehr von jenen Dingen anzeigen und einspielen, auf die wir zuvor geklickt haben. Das befeuert das Doomscrolling umso mehr.“ In der Folge fühlt man sich in seiner Weltsicht bestätigt. In der Fachsprache heißt so etwas kognitive Verzerrung: Wenn man im Prinzip nur das bestätigt haben will, was man ohnehin schon weiß oder annimmt.

Dem Doomscrolling liegt das zutiefst menschliche Bedürfnis zugrunde, Kontrolle haben zu wollen. „Wir wollen die Kontrolle nicht abgeben“, sagt Sophie Schürmann. „Und indem man sehr viele Nachrichten konsumiert, hat man das Gefühl, informiert und dem ganzen Geschehen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Das hat man besonders während der Pandemie gemerkt, als irgendwie jeder ständig die Infektionszahlen gecheckt hat.“

Unser Hirn sei so strukturiert, dass Negatives schneller verarbeitet wird und länger gespeichert bleibt, sagt die Expertin: „Aus evolutionärer Sicht ist das auch sinnvoll, denn wenn man eine Gefahrenquelle schnell erkennt, kann man umso schneller reagieren. Wir wollen unser Sicherheitsbedürfnis befriedigen. Und das funktioniert gut, wenn man alle relevanten Informationen hat.“

Weil wir uns also bedroht fühlen, versuchen wir, mittels Informationen die Kontrolle zurückzugewinnen, „der Ungewissheit etwas entgegenzusetzen“, wie es die Fachfrau formuliert. Doch angesichts der vielen negativen Nachrichten aus aller Welt ist das eher ein Stressfaktor, denn beeinflussen können wir das Geschehen nicht – nur unseren Umgang damit. In der Folge schläft man schlecht, grübelt viel, entwickelt Ängste.

Beobachten Sie sich doch mal selbst: Wann, wie oft und wie lange konsumieren Sie Nachrichten? Was macht das mit Ihnen? Welche Quellen nutzen Sie? Googeln Sie dann nach weiteren Informationen? Sind Sie irgendwann zufrieden mit dem, was Sie erfahren haben?

Tipp der Psychologin: „Überlegen Sie, ob Sie nicht bewusst auf objektivere, klassische Medien umschwenken, wo Nachrichten unterschiedlichster Art präsentiert werden. So bleiben Sie informiert, bekommen aber nicht nur die ganz schlimmen Meldungen mit. Versuchen Sie außerdem, sich auf das Positive zu konzentrieren, ganz besonders auf das Schöne in Ihrem eigenen Leben.“

Es sei wichtig zu erkennen, dass man die Zukunft nicht kontrollieren und nur zu einem gewissen Grad mitbestimmen könne. „Was letztlich zählt, ist das Hier und Jetzt. Und das kann man auch mit schönen Dingen verbringen, als sich stundenlang dem Doomscrolling hinzugeben“, so Schürmann. „Deshalb rate ich dazu, sich bewusst feste Zeiten fürs Nachrichtenlesen festzulegen und sich auf einige bestimmte Medien zu beschränken.“

Planen Sie darüber hinaus Zeit für andere Aktivitäten ein. Was macht Ihnen Spaß? Lesen? Sport? Kaffee trinken mit Freunden? Nehmen Sie das in Angriff, am besten jetzt gleich. Machen Sie feste Termine aus, weil das die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Sie den Plan in die Tat umsetzen.

News Avoidance: Einfach ab- und ausschalten, weil alles zu viel ist

Die News Avoidance, also das Vermeiden von Nachrichten, ist identisch mit der News Fatigue, also einer Müdigkeit in Bezug auf Neues. „Oftmals ist das eine Selbstschutzstrategie“, weiß Sophie Schürmann. „Das kann ein bewusstes, aber auch ein unbewusstes Verhalten sein. In jedem Fall geht es aber um Abgrenzung.“

Wer Nachrichten bewusst vermeidet, hat meistens die Nase voll davon. Die Gründe hierfür sind ganz verschieden; vielleicht empfindet der eine die Nachrichtenlage als zu belastend, und die andere interessiert es ganz einfach nicht, was so los ist in der Welt. Ebenso kann Zeitmangel ein Grund sein, Nachrichten zu ignorieren.

„Es gibt Studien, die zeigen, dass News Avoidance zu weniger Stress führen kann“, sagt Sophie Schürmann. „Und andersherum hat man herausgefunden, dass Menschen, die regelmäßig Nachrichten konsumieren, mehr Stress empfinden. Insbesondere negative Nachrichten haben Einfluss auf unsere mentale Gesundheit. Das wiederum kann das Risiko erhöhen, eine Depression zu bekommen.“

Insofern kann das Ausblenden der Nachrichten durchaus eine Form der Selbstfürsorge sein. Gleichwohl die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen zu verfolgen, ist auch Teil unserer Allgemeinbildung, ist wichtig, um informiert zu sein und beispielsweise bei Wahlen eine fundierte Entscheidung treffen zu können.

Andererseits gibt es eine Theorie, dass die wichtigen Nachrichten einen so oder so erreichen – und sei es nur, dass man eine Textnachricht von jemandem erhält, der etwas zu einem bestimmten Geschehen schreibt. Man kann sich also nicht gänzlich abschotten; die großen News bekommt man ohnehin mit, manchmal vielleicht nur ein paar Tage später.

Die News Avoidance ist in der Regel kein Grund, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt keine Pflicht, informiert zu sein. Und wenn Sie feststellen, dass es Ihnen guttut, keine Nachrichten mehr zu gucken oder zu lesen, dann ist das okay.