Ratgeber

Haushalt, Job, Familie: Was tun, wenn alles zu viel wird?

Die Belastungen des Alltags können manchmal überfordern. Was Sie dagegen tun können und wie Sie aus dem Hamsterrad aussteigen, verrät eine Psychologin.

Kann der Tag nicht ein paar Stunden mehr haben?
Kann der Tag nicht ein paar Stunden mehr haben?Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende. Bilder: imago

Viele Frauen und vermutlich alle Mütter kennen das: Eigentlich müsste man sich zerteilen, eigentlich bräuchte jeder Tag ein paar Stunden mehr. Diese unendlichen To-do-Listen, die vielen Ansprüche und Erwartungen von allen Seiten, und niemandem kann man gerecht werden – am wenigsten sich selbst.

Auch Männer kennen das, natürlich. Allerdings meist nicht in dem Ausmaß. Denn noch immer liegt die Hauptlast der familiären Verantwortung bei den Frauen; Care-Arbeit ist in der Regel Frauenarbeit. Sie haben den Mental Load, sind also zuständig fürs An-alles-Denken: Das Kind braucht neue Kleidung, also muss die alte aussortiert und die neue beschriftet werden. Die Oma feiert Geburtstag. Was schenken wir? Opas Gesundheit baut ab. Ach, und der Schwimmkurs vom großen Kind: Haben wir den schon bezahlt?

Es sind viele Kleinigkeiten, die sich neben Einkauf, Wäsche, Haushalt zu einem großen Ganzen ballen können. Nicht wenig davon übernehmen Frauen freiwillig – aus den verschiedensten Gründen und Motivationen. Oft genug führt das zu einer Überlastung, zu Unzufriedensein, Rumgemecker und dem dumpfen Gefühl: Ich kann nicht mehr, mir ist das alles zu viel. Zugleich gibt es Frauen, die in dieser Rolle völlig aufgehen, alles scheinbar mühelos jonglieren, die ihre Kraft aus dem Alles-Hinkriegen schöpfen.

„In jedem Fall sollte man sich – aus psychologischer Sicht – einmal bewusst machen, auf welchen persönlichen Glaubenssätzen das eigene Handeln beruht“, sagt Sophie Schürmann, Psychologin, Co-Gründerin und Geschäftsführerin der psychosozialen Online-Plattform Peers, bei der man in wöchentlichen Gruppensitzungen mit anderen Betroffenen und, unter professioneller Anleitung von erfahrenen Psychologen und Psychologinnen, Probleme angehen kann.

Multitasker: Eine Typologie jener Menschen, die alles hinkriegen

In der Psychologie unterscheidet man grob zwischen drei verschiedenen Typen Menschen, die eigentlich viel zu viel zu tun haben, wie Sophie Schürmann erklärt: „Erstens gibt es jene Menschen mit einer hohen Erfolgsorientierung. Das sind sehr kompetente Menschen, die nur selten merken, wenn sie ihre Grenzen überschreiten und überlastet sind.“

Zweitens gebe es die Perfektionisten, die unzufrieden mit sich und der Welt sind, weil das, was sie leisten, einfach nie genug ist. Und drittens wären da noch die Helfertypen, also jene Menschen, die immer Ja zu allem sagen, keine Aufgabe ablehnen können, um bloß niemanden zu enttäuschen. „Natürlich gibt es in der Realität auch Mischformen, aber im Normalfall ist es eine Eigenschaft, die besonders heraussticht“, so die Psychologin. „Und darauf ist dann das Verhalten zurückzuführen.“

Haben Sie sich in einem der drei Typen wiedererkannt? Oder gar in mehreren? Nicht schlimm, denn „das zu erkennen, hilft, damit umzugehen und einen Weg zu finden, es besser hinzubekommen, sodass das Stresslevel nicht mehr so groß ist“, sagt die Peers-Expertin. „Und fast alle Menschen kennen das Gefühl der Überlastung, vor allem Eltern.“

Was kann ich tun, um weniger gestresst zu sein?

Um den Berg an To-dos zu bewältigen, rät Psychologin Sophie Schürmann, „mit Aufgabenmanagementtools zu arbeiten“. Das kann eine Excel-Tabelle sein, eine spezielle Workflow-Software oder auch – ganz klassisch – eine handgeschriebene Liste mit allen Aufgaben, die so anstehen. Doch das ist nur der erste Schritt

„Tatsächlich geht es darum, sich einmal in Ruhe hinzusetzen und zu überlegen, was davon ebenso wichtig wie dringend ist. Priorisieren Sie also ganz klar“, empfiehlt die Fachfrau. „Alles andere schieben Sie nach hinten.“

Vieles erscheint uns dringlich, ist es aber in Wirklichkeit gar nicht, wenn wir darüber nachdenken. Ob nun die Kiste, die in den Keller soll, noch eine Woche länger im Flur steht oder nicht, ist eigentlich egal. Ja, es ist ärgerlich, wenn man ständig darüber stolpert, aber wirklich richtig wichtig ist das nicht. Im Gegensatz vielleicht zum Einkauf, weil das Brot alle ist.

To-do-Listen sind eine gute Möglichkeit, sich zu organisieren. Am besten, man kategorisiert die Aufgaben: Was muss heute erledigt werden, was wann anders?“, sagt Sophie Schürmann. Eventuell finden Sie ja auch Aufgaben, die Sie delegieren können!?

Bei digitalen Listen hat sich das Kanban-Prinzip bewährt, das vor allem viele Büromenschen im Job nutzen, wenn sie mehrere Projekte oder Prozesse im Blick behalten wollen. Bei einem Kanban-System (z.B. Trello, Meistertask, Asana) kann man die Aufgaben zwischen mehreren Spalten hin und her schieben, sie zum Beispiel je nach Dringlichkeit farbig markieren und Kategorien zuordnen. Das ist schnell erlernt, übersichtlich und effektiv.

„Das Abhaken von Aufgaben einer To-do-Liste löst das Glückshormon Dopamin aus und motiviert weiterzumachen“, weiß Sophie Schürmann. Wichtig ist, die priorisierten Aufgaben in den Griff zu kriegen und bei allen anderen ein wenig nachsichtig mit sich selbst zu sein. Fragen Sie sich: Wird es mich in einem Jahr noch beschäftigen, ob ich das jetzt oder nächste Woche erledige? Was könnte schlimmstenfalls passieren, wenn ich das jetzt einfach mal liegen lasse? Die Antworten liefern ihnen die Wichtigkeit der Aufgabe.

Tipp: Definieren Sie klare Zeitfenster

„Schaffen Sie sich einen strukturierten Zeitplan, in dem Sie sich klare Grenzen setzen“, rät Sophie Schürmann. „Bewährt hat sich die sogenannte Pomodoro-Methode, nach der man 25 Minuten lang störungsfrei arbeitet, um dann fünf Minuten zu pausieren. Das führt nachweislich dazu, dass man weniger abschweift, effizienter und konzentrierter arbeitet.“ Stellen Sie sich ruhig einen Wecker, den Timer oder eine Eieruhr.

Die Pomodoro-Technik leitet sich vom italienischen Wort für Tomate ab und ist eine Anspielung auf die Form der Küchenuhr, die der Erfinder Francesco Cirillo verwendet hat. Sie eignet sich sowohl fürs Lernen als auch für Hausarbeit und im Job. Nach der vierten 25-Minuten-Einheit gönnt man sich eine etwa 20-minütige Pause.

Versuchen Sie, Aufgaben auch mal abzugeben

Nicht alles, was erledigt werden muss, müssen tatsächlich Sie selbst übernehmen. Kann eine andere Familie das Kind mal aus Kita oder Schule mitnehmen? Gibt es Verwandte, die einspringen können? Essen kann man sich liefern lassen, Kinder können auch schon früh im Haushalt mithelfen, den Tisch decken, abräumen, abwischen, auch staubsaugen – das macht den meisten Kindern sogar Spaß. Ist nicht vielleicht doch ein bisschen Geld für eine Haushaltshilfe übrig? Muss es selbst gekocht sein; kann nicht auch mal eine TK-Pizza auf den Tisch? Suchen Sie nach Entlastung.

„Es ist mitunter nicht einfach, sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Das zu kommunizieren oder einzufordern, ist für viele Menschen schwer. Versuchen Sie es dennoch“, empfiehlt die Psychologin. „Sie sollten allerdings zugleich versuchen zuzulassen, dass andere Menschen die Dinge anders angehen und sie womöglich nicht so machen wie Sie. Das ist in Ordnung.“

Falls Ihnen das schwerfällt, fragen Sie sich einmal: Wo kommt das her? Warum kann ich nicht abgeben? „Manchmal steht man sich selbst ein bisschen im Weg“, sagt die Expertin. „Man will alle Erwartungen erfüllen, dabei ist das vollkommen utopisch, denn die vielen Rollen, die man so übernimmt, gerade als Frau, sind mehrere Fulltime-Jobs. Das schafft niemand.“

Ihr Rat: „Sobald Sie merken, dass es zu viel ist, sprechen Sie darüber. Mit einer Freundin, im Rahmen einer Therapie oder auch in Selbsthilfegruppen, denn ansonsten kann es sein, dass der Stress in körperliche Symptome wie Schlaflosigkeit, Verdauungsbeschwerden oder ähnliches umschlägt.“

Wenn man jedoch mit anderen über die eigenen Belastungen spricht, kann das erleichternd sein. Weil man hört, dass es anderen genauso geht. Weil es endlich mal ausgesprochen ist und nicht im Inneren brodelt. „Bei Peers haben wir zum Beispiel eine Gruppe von alleinerziehenden, berufstätigen Müttern, die alles selbst stemmen müssen und sich darüber austauschen“, so die Firmenchefin. „Das Zugehörigkeitsgefühl gibt ihnen jedoch Kraft für den Alltag.“ Denken Sie auch mal über eine Kur nach. Die Auszeit hilft, neue Kräfte zu sammeln und Abstand von der Hektik zu bekommen.

Warum ist das alles manchmal zu viel?

Inwiefern wir unseren Alltag als stressig oder nicht empfinden, hängt von zwei wesentlichen Einflüssen ab. „Zum einen werden wir von unserem Umfeld bewertet, und zum anderen von uns selbst, was wiederum häufig mit unserer Kindheit und unserem eigenen Großwerden zusammenhängt“, sagt die Psychologin. „Im Austausch mit anderen reflektiert man die eigenen Glaubenssätze – etwa: Die Wohnung muss jederzeit sauber und ordentlich sein. Aber muss sie das? Wer sagt das? Jeder Mensch macht das anders, und alles darf sein. Lassen Sie sich auf neue Perspektiven und Lösungsansätze ein.“

Besonders wichtig: Lernen Sie, Nein zu sagen

Das eigentliche Problem bei akuter Überlastung ist oft, dass man es nicht schafft, auch mal Nein zu sagen, Aufgaben abzulehnen, Dinge liegen zu lassen. Insbesondere Mütter neigen dazu, die herumliegenden Sachen ihrer Lieben aufzusammeln und wegzuräumen, anstatt darauf zu bestehen, dass diese selbstständig von den Kindern oder dem Mann aufgeräumt werden. Frei nach dem Motto: Bevor ich das jetzt zum dritten Mal sage, mache ich es lieber selbst – zeittechnisch kommt das aufs Selbe raus …

Dem zugrunde liegen könnte ein Glaubenssatz aus der Kindheit, wonach man alles erledigen müsse, was von einem verlangt wird, um gemocht zu werden. „Solche Annahmen schleppt man mit ins Erwachsenenleben“, sagt Sophie Schürmann. „Und das führt dazu, dass man glaubt, dieses und jenes erledigen zu müssen, weil es erwartet wird. Und weil man dann, so die Annahme, sozusagen ein besserer, liebenswerterer Mensch sei. Aber Sie müssen nicht jede Verpflichtung eingehen.“

Es dauert zwar eine Weile, das zu verinnerlichen, aber es kann klappen. Probieren Sie es doch mal aus. Sicher wird nichts Schlimmes passieren, wenn Sie die Dinge auch mal andere erledigen lassen. Und damit Ihre Gedanken, während die outgesourcten Aufgaben anderswo gelöst werden, nicht nur darum kreisen, sollten Sie sich etwas Gutes tun.

Selbstfürsorge ist kein Egoismus, sondern eine Notwendigkeit“, stellt die Psychologin Sophie Schürmann klar. „Scheuen Sie sich also nicht, Ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, sondern gönnen Sie sich ganz gezielt Pausen vom Alltag, in denen Sie wieder Kraft tanken können.“

Was tut Ihnen denn gut? Überlegen Sie. Und dann los. Noch in Ruhe einen Kaffee trinken, bevor die Kinder abgeholt werden? Abends ins Kino gehen oder Netflix im Bett gucken? Mit einer Freundin joggen gehen? Egal was es ist, das Ihnen durch stressige Phasen hilft, tun Sie es. Verschieben Sie das nicht auf nächste Woche, sondern kümmern Sie sich um sich selbst. Jetzt gleich!