Jeder zweite Deutsche nimmt den Islam als Bedrohung war – das jedenfalls hat eine Untersuchung des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) ergeben. Neun Experten haben in einem 400-seitigen Bericht mit dem Titel „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz“ ihr Fazit gezogen: Rund die Hälfte der Menschen in Deutschland stimmt muslimfeindlichen Aussagen zu. Die Studie wurde im Auftrag des Bundesinnenministeriums (BMI) durchgeführt.
Laut der Untersuchung, die in der vergangenen Woche präsentiert wurde, werden Muslime oftmals als Anhänger einer besonders „rückständigen Religion“ angesehen. Ihnen werde mangelnde Integrationsfähigkeit vorgeworfen. Der Islam werde pauschal mit Extremismus und Gewalt verknüpft. Die Untersuchung ergab, dass sich die Feindseligkeit gegenüber Muslimen nicht nur in Einzelfällen äußere.
Am stärksten seien Muslime betroffen, die ihre religiöse Zugehörigkeit durch Kleidung oder eine Mitgliedshaft in Organisationen ausdrücken. Vor allem würden kopftuchtragende Frauen „besonders drastischen Formen der Anfeindungen“ begegnen. Sie werden demnach als nicht selbstbestimmt wahrgenommen. Männer würden als äußerst aggressiv und gewalttätig stigmatisiert.
Das Gremium wurde unter dem Eindruck des rassistischen Anschlags in Hanau im Auftrag des damaligen Innenministers Horst Seehofer (CDU) einberufen. Die unabhängigen Experten empfehlen der Regierung, einen Bundesbeauftragten für die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit zu ernennen. Zusätzlich soll ihm ein Sachverständigenrat zur Seite gestellt werden.
Auf Bundesebene gibt es in der Bekämpfung von Diskriminierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen bisher Antisemitismus-, Antiziganismus- und Antirasissmus-Beauftragte sowie eine unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Die Studienleiter meinen: Obwohl rund 5,5 Millionen Muslime in Deutschland lebten, von denen die Mehrheit eine deutsche Staatsbürgerschaft besitze, seien sie „eine der am meisten unter Druck stehenden Minderheiten im Land“.
Studie zu Muslimfeindlichkeit: Forschungsmethoden stoßen auf Kritik
Die Untersuchung wurde auf Grundlage von wissenschaftlichen Studien, der polizeilichen Kriminalstatistik und der Dokumentation von muslimfeindlichen Fällen durch Antidiskriminierungsstellen, Beratungsstellen und NGOs entwickelt, so heißt es auf der Internetseite des BMI. Doch es gibt Kritik an der Untersuchung: So berichtete etwa die Tageszeitung Die Welt, dass auch Meinungen von Verbänden eingeflossen seien, die vom Verfassungsschutz als islamistisch eingestuft werden.
Doch welche Verbände sind das genau? Die Experten haben für den Bericht mit Vertretern der Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS) gesprochen. Dieser Dachverband vertritt über 150 Gemeinden und Moscheen in Deutschland – mitunter auch das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), das Ende Juni vom Hamburger Verfassungsschutz als Organisation des Islamismus eingestuft wurde.
Nach dem Urteil verkündete der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD), dass „das IZH eine eindeutig extremistische und demokratiefeindliche Institution ist“. Das IZH wird schon seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet: Dem Verband wird nachgesagt, dass er ein verlängerter Arm des iranischen Regimes sei und dessen Ideologie propagiere.
Studienleiterin: Kritiker suchen „Nadel im Heuhaufen“
Die Berliner Zeitung hat mit einer der Forscherinnen über die Kritik an der Kooperation mit dem IZH gesprochen. Saba-Nur Cheema ist Politikwissenschaftlerin an der Goethe-Universität in Frankfurt. Sie sagt, der Expertenkreis habe in seinem Bericht lediglich auf „Daten und Zahlen“ verwiesen, die vom IZH im Voraus gesammelt worden seien. Diese Daten hätten sich konkret auf Angriffe auf Moscheen bezogen, und deren Aufnahme wiederum mache „einen sehr kleinen und bescheidenen Anteil in dem Bericht aus“.
Trotzdem bleibt die Frage, inwiefern die erhobenen Daten zu den Moscheenangriffen vertrauenswürdig sind. Der Expertenkreis verließ sich auf die Vorarbeit von Verbänden, die immer wieder in den Akten des Verfassungsschutzes auftauchen. Es ist also nicht auszuschließen, dass in die Datenerhebung nicht nur unabhängige Informationen und Fakten, sondern auch persönliche Weltbilder der Verbände einflossen. Grundsätzlich ist es Aufgabe von Wissenschaftlern, Daten auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, diese kritisch zu hinterfragen und zu kontextualisieren.
Des Weiteren floss eine Teilstudie des Vereins Fair International mit Sitz in Köln in die Untersuchung ein. Aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der nordrhein-westfälischen AfD-Landtagsabgeordneten Gabriele Walger-Demolsky an die damalige Landesregierung Nordrhein-Westfalens im April 2021 geht hervor, dass dieser Verein der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) zuzurechnen ist. Der IGMG taucht schon seit Jahren immer wieder in einigen Berichten des Verfassungsschutzes auf. Auch diese Kooperation wurde kritisiert.
„Für mich wirft es Fragen auf, wenn man mit solchen Nachforschungen die Nadel im Heuhaufen sucht. Es zeigt die Mühen einiger, den Bericht und die Erkenntnisse darin zu diskreditieren, anstatt sich mit dem eigentlichen Gegenstand, dem Phänomen der Muslimfeindlichkeit auseinanderzusetzen“, sagt Cheema. „Zudem haben wir in unserem Hearing auch den Religionsbeauftragten der AfD eingeladen. Auch die AfD gilt für den Verfassungsschutz zum Teil als Verdachtsfall.“
Kann man Kritik am Islam üben, ohne muslimfeindlich zu sein?
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass deutsche Medien den Islam sowie Muslime und Musliminnen überwiegend in einem negativen Kontext darstellten. Das Hauptproblem der Berichterstattung sei die Kulturalisierung der sozialen Probleme, so Saba-Nur Cheema. „Tatbestände werden mit Religion und Herkunft erklärt.“
Wenn von muslimischen Straftätern berichtet wird, müssten auch sozioökonomische Merkmale wie Alter, Geschlecht und Bildungsgrad berücksichtigt werden. „Berichterstattung über ‚unbequeme Themen‘ muss natürlich erfolgen, doch mit der Absicht, nicht das ohnehin negative Bild zu perpetuieren“, sagt die Politologin.
Doch kann eine Grenze gezogen werden zwischen konstruktiver Islamkritik einerseits und muslimfeindlichen Aussagen andererseits? Saba-Nur Cheema meint, dass eine klare Trennlinie nicht definiert werden könne. Dennoch gebe es einige Orientierungspunkte: Die Beurteilung sei immer abhängig von der Aussage und vom Kontext. „Wer äußert was in welchem Zusammenhang? Das ist entscheidend, um bewerten zu können, ob wir es mit aufgeklärter Religionskritik zu tun haben oder muslimfeindliche Argumentation nähren.“
Religionskritik in einer zunehmend säkularen Gesellschaft zu äußern, sei allgemein wichtig. „Zentral dabei ist, dass eine aufgeklärte Religionskritik nicht pauschalisiert“, sagt die Expertin. In Bezug auf den Islam müsse kritisch hinterfragt werden, ob etwas mit dem Islam zu tun hat.








