Diskriminierung

Ex-Moslem in Neukölln bedroht: „Was fällt dir ein, den Propheten zu beleidigen!“

Amed Sherwan hat sich vom Islam abgewandt, wurde gefoltert, floh nach Deutschland, schrieb darüber. Beim Besuch in Berlin wurde er auf der Sonnenallee angegriffen.

Amed Sherwan, 23, hat dem Islam den Rücken gekehrt, für radikale Muslime ist das unvorstellbar.
Amed Sherwan, 23, hat dem Islam den Rücken gekehrt, für radikale Muslime ist das unvorstellbar.Tilman Köneke

Amed Sherwan beginnt zu rennen, als die Ampel am Hermannplatz auf Rot schaltet. Es ist 12.30 Uhr, Dienstagmittag, er ist zu Fuß unterwegs auf dem Kottbusser Damm Richtung Süden, davor hatte er bei seinem Lieblings-Kurden Reis mit Okra-Schoten gegessen und jetzt will er weiter Richtung Sonnenallee, arabischen Kaffee trinken, mit Kardamom. Als er über die Ampel rennt, überholt ihn ein Mann und beginnt direkt, ihn anzuschreien: „Ich habe dich in der Doku auf Arte gesehen, was fällt dir ein, den Propheten zu beleidigen!“ So erzählt es Sherwan am nächsten Tag am Telefon.

Sherwans Lebensgeschichte ist bekannt, er hat sie in einem Buch aufgeschrieben: „Kafir: Allah sei Dank bin ich Atheist“. Mit 15 Jahren hat der irakische Kurde auf Facebook geschrieben, dass er als Atheist leben möchte, da wohnte er noch in der Hauptstadt Erbil. Sein Vater zeigte ihn an, Amed Sherwan kam in ein Gefängnis, wurde gefoltert, wegen Gotteslästerung verurteilt – und floh schließlich über Umwege nach Flensburg. Dort wohnt er seit 2014 und kommt auch immer wieder mal nach Berlin.

Normalerweise sei die Hauptstadt für ihn ein Ort, an dem er in der Menge untergehe. „Ich bin hier einer von vielen“, sagt er. „Ich habe nie den Gedanken, dass mich hier jemand erkennen könnte.“ Er trinke gern arabischen Kaffee in der Sonnenallee, aber damit sei es jetzt erst einmal vorbei. „Der Mann hat mir vorgeworfen, ich würde gegen Muslime hetzen“, sagt Sherwan, „ich stand unter Schock und konnte gar nichts sagen.“ Er begann so zu reagieren, wie er es von seinem Foltergefängnis gewöhnt gewesen sei: „Ich habe mich entschuldigt.“

Auf dem CSD trug er das T-Shirt: „Allah ist schwul“

Sherwan wurde eine Zeit lang häufig auf Bühnen und in Talkshows eingeladen und konnte sich dort für einen 23-Jährigen, der noch nicht einmal Deutsch als Muttersprache spricht, gut behaupten. Doch in den vergangenen Monaten habe er gemerkt, dass er nach diesen Auftritten die Erinnerungen nicht so leicht abstreifen konnte, wie ihm das lieb gewesen wäre. Er schrieb deshalb vor einem Monat, dass er sich für eine Weile aus der Öffentlichkeit zurückziehen wolle.

„Mich machen solche Situationen wie an der Sonnenallee immer sehr betroffen“, sagt er am Tag nach dem Vorfall. „Einerseits will ich deeskalieren, aber andererseits ärgert es mich, dass es unmöglich ist, den Islam zu kritisieren, ohne dass es gleich als Beleidigung gilt.“ Außerdem habe der Mann von einem Messer gesprochen. „Ich habe mich entschuldigt bei ihm und gehofft, dass mich nicht noch mehr Menschen erkennen und mitmachen.“ Er habe Angst gespürt.

Sherwan kennt Berlin. Vor vier Jahren lief er hier über den CSD mit einem T-Shirt, auf dem stand: „Allah ist schwul.“ Er selbst lebt in einer Beziehung mit einer Frau, solidarisiert sich aber mit dem Kampf der LGBT-Community um Toleranz. Nach dem CSD musste er viele Anfeindungen von konservativen Gruppen aushalten, online wie offline, erzählt er. Es sei vorgekommen, dass Autos neben ihm langsamer fuhren, die Fenster herunterkurbelten und ihn bedrohten.

Die Situation am Herrmannplatz habe nur fünf Minuten gedauert. „Ich habe eine Maske aufgesetzt und bin dann in den nächsten Bus gestiegen, der dort gerade hielt, und weggefahren.“ Er werde die kommenden Tage Neukölln meiden, den Bezirk, der ihn eigentlich so sehr an seine Heimat erinnere. „Das war mein letzter Tag in der Sonnenallee.“ Er besucht Freunde im Norden der Stadt, und kehrt bald nach Flensburg zurück. Dort wartet ein Leben ohne Öffentlichkeit auf ihn. „Ich will in eine andere Stadt umziehen und dann eine Ausbildung beginnen.“