Was die Autorin Hengameh Yaghoobifarah ihrer Kollegin Sophie Passmann auf Twitter vorwirft, hat einen Namen: „white feminist audacity“ – die Dreistigkeit einer weißen Feministin. „finde distanzierungen manchmal albern aber ich konnte diese white feminist audacity, sich mit ner person zu schmücken, mit der sie nicht mal friends war, sondern unkorrekt behandelt hat, nicht so stehen lassen“, schreibt Yaghoobifarah.
Sie bezieht sich darauf, dass Sophie Passmann sie in dem viel diskutierten Interview in der Schweizer Zeitschrift Annabelle als Freundin aus Studienzeiten bezeichnet hatte.
Alles klar? Lieber noch mal von vorn: Sophie Passmann, die 28 Jahre alte Autorin zweier Bestseller („Alte weiße Männer“ und „Komplett Gänsehaut“) und zudem bekannt geworden durch den TV-Beitrag „Männerwelten“ über Sexismus und sexualisierte Gewalt, hat in dem Annabelle-Interview Kritik an Medien geäußert, die schwarze Frauen mit ihren individuellen Erfahrungen über Rassismus sprechen lassen.
finde distanzierungen manchmal albern aber ich konnte diese white feminist audacity, sich mit ner person zu schmücken, mit der sie nicht mal friends war, sondern unkorrekt behandelt hat, nicht so stehen lassen
— Maus of Abundance (@habibitus) July 17, 2022
„Wenn Redaktionen im Namen des Antirassismus eine Schwarze Frau zum vermeintlichen Sprachrohr von rassistischen Erfahrungen in Deutschland machen, führt das dazu, dass wieder nur ein Standard reproduziert wird: Wer spricht am lautesten, am funkiesten in ein Interview-Mikrofon hinein? Ohne dabei irgendetwas gegen Rassismus getan zu haben.“ Was als Medienkritik daherkommt, kann man mutwillig missverstehen. So als fordere Passmann schwarze Frauen zum Schweigen auf.
Darauf bezieht sich auch der Shitstorm, der auf Twitter folgte. Man fragt sich ja wirklich: Warum soll der Erkenntniswert individueller Erfahrung gleich null sein, wie Passmann behauptet?
Diese hat sich nun entschuldigt und Selbstkritik im Stil der chinesischen Kulturrevolution geübt.
Auf ihrem Instagram-Account schreibt sie, sie habe nach einer Bedenkzeit und dem Austausch mit schwarzen Kolleginnen verstanden, warum es Kritik an einer Passage des Interviews gab: „Mir tut es sehr leid, dass diese Passage missverständlich war, das war nämlich mein Fehler“, schreibt sie. „Für die Leichtigkeit, mit der ich diese Passage (beim Freigeben des Interviews) überlesen habe, schäme ich mich, sie zeigt, dass ich leichtfertig mit einem Thema umgegangen bin, das mir selbst nicht nahegeht. Wieso das so war, kann ich bisher nur erahnen und werde darüber in den kommenden Wochen nachdenken. In den Diskussionen (und teilweise auch öffentlich) ist meinem Eindruck nach klar geworden, was ich eigentlich sagen wollte. Ich kritisiere den Medienbetrieb für seine weiterhin nach einer alten und damit patriarchalen Struktur funktionierende Regel, der einzelne Sprecher*innen verschiedener Gruppen zu Tokens macht und sich damit von echter Arbeit reinwäscht. Das hätte ich besser sagen können und müssen. Es tut mir wirklich leid, es war nicht meine Absicht, damit Leute zu verletzen. Ich habe es trotzdem getan. Entschuldigung.“

Sophie Passmann opfert rum, Hengameh Yaghoobifarah geht auf Distanz
Empörung gibt es aber auch in Bezug auf eine andere Interviewpassage, in der der Name Hengameh Yaghoobifarah fällt. Passmann sagt: „Meine Kritker:innen sind oft gleichzeitig Fans der Autor:in Hengameh Yaghoobifarah (nonbinäre Kolumnist:in der deutschen Tageszeitung taz und Autor:in von „Ministerium der Träume“, Anm. d. Red.). Mit Hengameh habe ich lustigerweise zusammen studiert. In Freiburg. Wir haben die gleichen Seminare belegt. Waren eine Zeit lang sogar befreundet. Ich habe also lang versucht, die Leute zu überzeugen, dass ich die gleichen Bücher gelesen habe, dass ich nur vielleicht auch mal einen Witz über deren Inhalte mache, weil ich eben Comedy-Autorin bin. Ich komme ja nicht von Homer, nicht von Cervantes, sondern von Böhmermann und Schmidt! Ich habe also versucht, die Selbstkritische zu werden, nach ein paar Jahren aber gemerkt: Ich kann sagen, was ich will, es wird die vorgefertigte Meinung dieser Bubble nicht ändern.“
Passmann ist offenbar schwer enttäuscht, dass es nie zu der von ihr erhofften Annäherung des weißen Bürgerkinds, das sie selbst ist, an die migrantische Szene kam. Und auch nie zu der Annäherung von ihr als Cis-Frau an die queere Szene und an eine der coolsten und prominentesten Vertreterinnen beider Szenen, nämlich Hengameh Yaghoobifarah.
Der Feminismus weißer privilegierter Frauen wie Sophie Passmann
Passmann opfert rum, weil sie nicht dazugehören darf, Yaghoobifarah übt sich in der von ihr perfektionierten Kunst, auf Abstand zu gehen. Das betrifft nicht nur weiße Frauen, aber auch. In ihrem Roman „Ministerium der Träume“ schrieb sie: „Sie (weiße Frauen) erinnern dich immer daran, dass sie immer sanft und du immer grob sein wirst. Sie immer verletzt, du wütend. Sie mutig, du aggressiv. Weiße Frauen brauchen keine Gewehre, um dich als Geisel zu nehmen.“
Weißer Feminismus also: Er kritisiert den Feminismus weißer privilegierter Frauen mit guter Bildung – Frauen wie Sophie Passmann. Er wirft ihnen vor, dass sie glauben, bestimmen zu können, was Feminismus ist und welche Ziele er verfolgen soll. Das ist einerseits richtig, weiße Frauen dominieren den Feminismus-Diskurs, und es stimmt auch, dass weiße Frauen sich – wenn sie sie nicht ganz ignorieren – oft als Vormund von weniger privilegierten Frauen empfinden und die Vorstellung haben, sie wüssten besser, was gut für sie ist, als diese selbst. Es ist ein Problem, mit dem beispielsweise auch sogenannte Entwicklungshilfe umzugehen hat.
Aber dem weißen Feminismus wird manchmal ein bisschen zu viel Schuld in die Schuhe geschoben. So schreibt etwa die Autorin Rafia Zakaria in ihrem Buch „Against White Feminism“ (Hanser 2022), er sei daran Schuld, dass Frauenrechte heute in Afghanistan keine Chance mehr hätten. „Die USA haben bei ihrer Invasion Afghanistans den Feminismus als einen Deckmantel benutzt, deshalb gelten Frauenrechte in Afghanistan nicht mehr als legitim, sondern als ein Zeichen von prowestlichen Kollaborateuren.“ Man versteht schon, was sie meint, aber der Vorwurf ist dennoch maßlos. Die Taliban brauchen weiße Feministinnen wie Meryl Streep oder Gloria Steinem nicht, um afghanische Frauen zu unterdrücken.




