Berlin-Allein in Berlin treibt das Thema jährlich Zigtausende Menschen auf die Straße. Einen großen Teil von ihnen bewegt die Forderung, über ihre Körper und ihre Zukunft selbst entscheiden zu können. Andere sehen darin eine moralische Debatte, die sie in der Frage danach begründen, wann menschliches Leben beginnt.
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Es geht um Schwangerschaftsabbrüche. Wenige medizinische Eingriffe wurden öffentlich so polarisiert besprochen, wurden im Verlauf der vergangenen 150 Jahre zum Symbol des Kampfes zwischen feministischen Forderungen nach Gerechtigkeit auf der einen und dem Anspruch an den weiblichen Körper, Kinder zu gebären, auf der anderen Seite.
Lebensschutz als Angriff auf die körperliche Selbstbestimmung
Unter denen, die der Frage mit Moral begegnen, sind auch solche, die Schwangerschaftsabbrüche mit Mord gleichsetzen. Die sogenannten Lebensschützer, ein Bündnis christlicher, konservativer und rechter Gruppen, die sich seit gut zehn Jahren jeden Herbst treffen, um beim „Marsch für das Leben“ weiße Kreuze durch Berlin-Mitte zu tragen. Sie tragen Bilder und Plakate mit Föten und berufen sich darauf, das ungeborene Leben schützen zu wollen. Regelmäßig aktiv dabei: Vertreter der Bischofskonferenz über Schlüsselfiguren aus der AfD bis hin zu Mitgliedern der CDU.
Diese Allianzen treffen in jedem Jahr auch in Berlin auf den Protest der gesellschaftlichen Linken, von Feministinnen, Ärztinnen und Politikerinnen, die für ein Recht auf Abtreibung kämpfen. Sie bewerten den Schwangerschaftsabbruch als einen notwendigen medizinischen Eingriff, und sehen im Marsch der Lebensschützer einen Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht aller gebärfähigen Personen. „Fest steht, bei der Frage um Zulässigkeit oder Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen werden grundlegende Haltungen zu Geschlechterverhältnissen verhandelt“, schreibt die Politologin Derya Binışık.
Die Proteste für ein Recht auf Abtreibung hatten in der Geschichte der Bundesrepublik unterschiedliche Höhepunkte. In der DDR ging es selbstbestimmt zu, es gab einen weitestgehend freien Zugang zu Abbrüchen. In Westdeutschland veröffentlichte dagegen 1971 das Magazin stern die heute berühmte Ausgabe. Auf dem Cover bekannten sich unter dem Motto „Wir haben abgetrieben!“ Hunderte Personen, einen damals illegalen Abbruch gemacht zu haben. Und schon die proletarische Frauenbewegung forderte, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu erleichtern. Vor 150 Jahren. Betroffene berichteten damals wie heute: Sie fühlten sich durch das geltende Gesetz entmündigt. Denn das stehe auf der Seite von Abtreibungsgegnern.
Abtreibungsgegner Klaus Günther Annen: Anzeigen nach Paragraf 219a
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland grundsätzlich nicht legal. Unter drei rechtlichen Bedingungen bleibt ein Abbruch straffrei. Doch die Schwangere kommt immer mit dem Strafrecht in Berührung.
Zusammen wurden mehr als 300 öffentliche Kliniken zu Abtreibungen befragt. Die Ergebnisse stehen in einer Datenbank mit weiteren Infos online unter correctiv.org/schwangerschaftsabbruch.
Die Berliner Zeitung hat daraus eine mehrwöchige Serie zum Thema Schwangerschaftsabbruch entwickelt.
Ebenso der Arzt oder die Ärztin, die Abbrüche durchführt. Noch regelt der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch die Informationsfreiheit, verbietet Praxen öffentlich für den Abbruch zu „werben“. Unmöglich werden so detaillierte Informationen beispielsweise auf der eigenen Homepage. Öffentlich dürfen Ärztinnen nicht preisgeben, mit welchen Methoden sie Abbrüche anbieten. Der Abtreibungsgegner Klaus Günther Annen aus Baden-Württemberg widmete sich mithilfe von Paragraf 219a dem Erstatten von Anzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte, die über diese medizinischen Leistungen ihrer Praxen informieren. Das traf auch die Gießener Gynäkologin Kristina Hänel. Ihre Verurteilung löste 2017 weitere bundesweite Protestwellen für das Recht auf Abtreibung aus.
Annen wurde Mitte Februar wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf seiner Homepage verglich er Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust und bezeichnete Kristina Hänel als „Mörderin“.
Keine Leistung wie jede andere?
Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wählte andere Worte, nutzte jedoch ebenfalls den Paragraf 219a für seine Position, der Schwangerschaftsabbruch sei „keine Leistung wie jede andere“ – und solle deshalb strafrechtlich geregelt bleiben. Seine Parteikollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker zog im Januar öffentlich eine Parallele zwischen Schwangerschaftsabbrüchen und Schönheitsoperationen, um zu sagen: Sie halte Werbung für unangemessen.
Doch was die einen Werbung nennen, ist für die anderen notwendige Information. Und die Fronten, die beim „Marsch für das Leben“ sichtbar auf der Straße aufeinandertreffen, sind auch aktuell wieder auf den ersten Listenplätzen der (innen-)politischen Agenda zu finden.






