Serie: Schwangerschaftsabbruch

Abtreibungen: Die medizinische Versorgung in Deutschland ist schlecht

Eine Kooperation der Berliner Zeitung mit CORRECTIV.Lokal und FragDenStaat zeigt: Deutschland ist medizinisch unterversorgt, Berlin bleibt positive Ausnahme.

Über die Rechtmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen wird seit über 150 Jahren diskutiert. Eine Recherche der Berliner Zeitung gemeinsam mit CORRECTIV.Lokal und FragDenStaat zeigt nun, dass die öffentliche Debatte auch die öffentliche, medizinische Versorgung beeinflusst.
Über die Rechtmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen wird seit über 150 Jahren diskutiert. Eine Recherche der Berliner Zeitung gemeinsam mit CORRECTIV.Lokal und FragDenStaat zeigt nun, dass die öffentliche Debatte auch die öffentliche, medizinische Versorgung beeinflusst.Imago/Pacific Press Agency

Berlin-Die medizinische Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland ist schlecht, die regionalen Unterschiede sind groß und Berlin nimmt im doppelten Sinne eine Sonderrolle ein. So lassen sich die Ergebnisse einer Recherche-Kooperation von CORRECTIV.Lokal, FragDenStaat und der Berliner Zeitung zusammenfassen. Laut Schwangerschaftskonfliktgesetz sind die Bundesländer aber verpflichtet, ein „ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ sicherzustellen. Bei der gemeinsamen Recherche hat sich dagegen gezeigt: Nur in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg gehören Schwangerschaftsabbrüche auch praktisch zur öffentlichen, medizinischen Grundversorgung.

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Für die Recherche, an der ein vierköpfiges Team dieser Zeitung beteiligt war, wurden alle öffentlichen Krankenhäuser in Deutschland mit gynäkologischem Fachbereich zu ihrer Bereitschaft, Abtreibungen durchzuführen, befragt. Daraus ergibt sich eine Datenbank von 309 Krankenhäusern. In Berlin sind das sechs Kliniken des Vivantes-Konzerns und zwei Standorte der Charité. Während in Berlin und den beiden anderen Stadtstaaten alle öffentlichen Kliniken Schwangerschaftsabbrüche durchführen, gab bundesweit nur etwa jedes zweite angefragte Krankenhaus an, Abtreibungen anzubieten. Die öffentliche Versorgung ist in den anderen Bundesländern dagegen kaum sichergestellt, sie verstoßen so teilweise gegen das Schwangerschaftskonfliktgesetz.

Schwangerschaftsabbrüche in allen öffentlichen Krankenhäusern in Berlin

Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland – mit Ausnahme der Liberalisierung in der DDR – seit mehr als 150 Jahren illegal und damit auch der einzige medizinische Eingriff, der unter Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs fällt. Unter bestimmten Bedingungen bleibt er dagegen straffrei. Medizinisches Personal kann die Durchführung oder Teilnahme an Abtreibungen obendrein verweigern.

Zur Recherche
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation der Berliner Zeitung mit der Plattform für Informationsfreiheit FragDenStaat und CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk setzt datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen um.

Zusammen wurden mehr als 300 öffentliche Kliniken zu Abtreibungen befragt. Die Ergebnisse stehen in einer Datenbank mit weiteren Infos online unter correctiv.org/schwangerschaftsabbruch.

Die Berliner Zeitung hat daraus eine mehrwöchige Serie zum Thema Schwangerschaftsabbruch entwickelt.

In Deutschland wurden laut Statistischem Bundesamt 2020 knapp 100.000 Abbrüche durchgeführt, die Zahl sinkt bis auf wenige Ausnahmen seit Mitte der 1990er-Jahre kontinuierlich. Vor allem, weil der Anteil der Frauen im gebärfähigen Alter sinkt – anteilig bleibt die Zahl der Abtreibungen etwa gleich. Mehr als neun von zehn Abtreibungen finden in Berlin, aber auch deutschlandweit nach der Beratungsindikation statt. Die Personen entscheiden also ohne kriminologische oder medizinische Begründung, dass sie die Schwangerschaft abbrechen lassen möchten. Berlin nimmt an dieser Stelle noch eine weitere Sonderrolle ein: In den vergangenen sechs Jahren ist die Zahl der Abbrüche in der Hauptstadt konstant gestiegen, etwa jeder zehnte Abbruch wurde 2020 durch Berlinerinnen in Anspruch genommen.

Ob das auch an der guten Versorgungssituation in Berlin liegt, konnte mit der gemeinsamen Recherche der Berliner Zeitung und CORRECTIV.Lokal sowie FragDenStaat nicht geklärt werden. In Berlin führen alle Krankenhäuser in öffentlicher Hand und mit gynäkologischem Fachbereich Abbrüche nach sämtlichen Ausnahmeregelungen durch, gleichzeitig hat Berlin deutschlandweit das dichteste Netz an Beratungsstellen, die einen Beratungsschein ausstellen. Den brauchen ungewollt Schwangere, um einen Abbruch mit der Beratungsindikation durchführen lassen zu können. Es ist in der Hauptstadt also vergleichsweise leicht, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden.

Süden Deutschlands ist unterversorgt

Deutschlandweit gab dagegen jede vierte öffentliche Klinik, bei der für die Recherche Daten eingeholt werden konnten, an, gar keine Abbrüche – auch nicht bei medizinischer Notwendigkeit – durchzuführen. Zwei Drittel dieser Kliniken kommt aus Bayern. Die Recherche hat auch ergeben, dass die meisten Krankenhäuser, die Abbrüche anbieten, dies vor allem nach der medizinischen oder kriminologischen Ausnahmeregelung machen. Drei Viertel der Krankenhäuser führen Abbrüche mit medizinischer, 58 Prozent auch mit kriminologischer Indikation durch. Das bedeutet also, dass die am häufigsten benötigte Indikation, Abbruch nach Pflichtberatung, in öffentlichen Krankenhäusern am seltensten angeboten wird: Nur jedes zweite öffentliche Krankenhaus, das für die Recherche erfolgreich befragt werden konnte, gab an, Abbrüche auch nach der Beratungsindikationen durchzuführen. Dabei unterscheidet das Schwangerschaftskonfliktgesetz explizit nicht zwischen medizinischer, kriminologischer oder Beratungsindikation. Eine gesicherte medizinische Versorgung muss für sämtliche Ausnahmeregelungen gelten.

Schwangerschaftsabbruch nach § 218 Strafgesetzbuch
Eine Abtreibung ist in Deutschland grundsätzlich strafbar. Es gelten aber drei Ausnahmen, sogenannte Indikationen, bei denen der Abbruch straffrei bleibt.

Beratungsindikation
Ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht strafbar, wenn die betroffene Frau den Vorgaben der sogenannten Beratungsregelung folgt (§ 218a, Absatz 1 StGB). Konkret muss die ungewollt Schwangere sich mindestens drei Tage vor dem Abbruch bei einer staatlich anerkannten Konfliktberatungsstelle beraten lassen und muss dem Arzt oder der Ärztin beim Abbruch dann einen Beratungsschein als Teilnahmebestätigung vorlegen. Möglich ist eine Abtreibung mit vorheriger Pflichtberatung innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Empfängnis.

Medizinische Indikation
Ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht strafbar, wenn für die Schwangere Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht (§ 218a, Absatz 2 StGB).

Kriminologische Indikation
Ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht strafbar, wenn die Schwangerschaft auf einem Sexualdelikt, also zum Beispiel einer Vergewaltigung, beruht (§ 218a, Absatz 3 StGB). Möglich ist eine Abtreibung mit kriminologischer Indikation innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Empfängnis.

Besonders im Süden Deutschlands zeigt sich bei der Recherche eine dramatische Unterversorgung. In Bayern bieten nur 34 Krankenhäuser überhaupt Abbrüche an, das sind zwei Fünftel der öffentlichen Kliniken. Und nur jede zehnte Klinik aus Bayern gab an, Schwangerschaften auch nach der Beratungsindikation zu beenden. Insgesamt waren das acht Krankenhäuser, drei davon allein in München. Dabei ist der Abbruch mit vorheriger Pflichtberatung auch in Bayern die mit Abstand häufigste Abbruchsindikation. Die Auswertung der Beratungsstellen zeigt ebenfalls, dass Bayern auch hier Nachholbedarf hat: In insgesamt neun Landkreisen gibt es gar keine Beratungsstellen, in knapp zwei Dutzend weiteren Landkreisen gibt es zwar Beratungsstellen, diese stellen aber gar keine Beratungsscheine aus. Aber genau die brauchen mehr als 90 Prozent der ungewollt Schwangeren, um ihre Schwangerschaft straffrei beenden zu können.

Neben der Krankenhausrecherche hat CORRECTIV.Lokal eine Umfrage unter Betroffenen durchgeführt. Die nicht repräsentative Auswertung bezieht sich auf knapp 1300 Befragte, die in den vergangenen 15 Jahren mindestens einen Schwangerschaftsabbruch hatten. Jede vierte Befragte gab zum Beispiel an, für den eigenen Schwangerschaftsabbruch mehr als 25 Kilometer gefahren zu sein. Knapp 30 Prozent der Befragten berichteten auch hier von Problemen bei der medizinischen Versorgung. Eine Erfahrung, die die repräsentativen Daten aus der gemeinsamen Recherche der Berliner Zeitung, CORRECTIV.Lokal und FragDenStaat bestätigen können.