Kommentar zum Schwangerschaftsabbruch

Schwangerschaftsabbruch: Es ist verdammt noch mal mein Körper!

Wenn eine Frau eine Schwangerschaft beenden will, wird sie bevormundet, fremdbestimmt. Wäre solch eine Kontrolle über Männerkörper vorstellbar? Wohl kaum.

Es darf keine Straftat sein, entscheiden zu dürfen, kein Kind zu wollen. Es gibt keine Gebärpflicht, meint unsere Autorin.
Es darf keine Straftat sein, entscheiden zu dürfen, kein Kind zu wollen. Es gibt keine Gebärpflicht, meint unsere Autorin.Imago/Panthermedia

Berlin-Als das neue Abtreibungsverbot in Texas im vergangenen Jahr verkündet wurde, das selbst einen Abbruch nach einer Vergewaltigung verbietet, war der Aufschrei hierzulande groß. Ganz nach dem Motto: die armen Frauen. Ein Glück, dass wir nicht dort leben und Deutschland so fortschrittlich ist. Ach wirklich? Eine monatelange Recherche der Redaktion CORRECTIV.Lokal zur Lage der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland, bei der auch ein Team der Berliner Zeitung mitgearbeitet hat, zeigt nun deutlich: Die Versorgungslage in Deutschland ist viel schlechter als gedacht. Fortschrittlich sieht anders aus.

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So gibt nur die Hälfte der Krankenhäuser in öffentlicher Hand und mit gynäkologischer Station an, überhaupt Abtreibungen durchzuführen. In ländlichen Regionen müssen die betroffenen Frauen – übrigens ähnlich wie in Texas – oft mehrere Hundert Kilometer für einen Schwangerschaftsabbruch reisen. Und gerade Kliniken mit einer Verbindung zur Kirche lehnen oft Abbrüche ab. Kein Wunder, Papst Franziskus bezeichnet Schwangerschaftsabbrüche ja auch als „Auftragsmorde“.

Ergebnisse der Correctiv-Recherche: Die Situation ist prekär

Betroffene berichten von unzureichender medizinischer Behandlung, von diskriminierendem und vorwurfsvollem Verhalten durch medizinisches Personal. Und auch staatlich anerkannte Beratungsstellen kommen in einigen Regionen Deutschlands kaum vor. Die Gespräche selbst sind für die betroffenen Frauen oft belastend. So werden manche sogar unter Druck gesetzt, die Schwangerschaft fortzuführen.

Zur Recherche
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation der Berliner Zeitung mit der Plattform für Informationsfreiheit „FragDenStaat“ und CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk setzt datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen um.

Zusammen wurden mehr als 300 öffentliche Kliniken zu Abtreibungen befragt. Die Ergebnisse stehen in einer Datenbank mit weiteren Infos online unter correctiv.org/schwangerschaftsabbruch.

Die Berliner Zeitung hat daraus eine mehrwöchige Serie zum Thema „Schwangerschaftsabbruch“ entwickelt.

Die Ergebnisse der Recherche mit Correctiv sind erschütternd und machen deutlich: Die Situation für Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, ist prekär – und das im ach so tollen Deutschland. Statt also mit betroffener Miene nach Texas zu schauen, sollten wir zunächst vor der eigenen Haustür kehren und endlich die Versorgungslage für Frauen verbessern.

Das eigentliche Problem liegt nach wie vor im Recht: In Deutschland gilt der Abbruch einer Schwangerschaft immer noch als Straftat – siehe Paragraf 218 im Strafgesetzbuch – und kann sogar eine dreijährige Freiheitsstrafe nach sich ziehen. Wer abtreiben will, ohne dafür bestraft oder verurteilt zu werden, muss also handeln. Und zwar zügig. Frauen müssen eine Beratungsstelle aufsuchen und im Anschluss eine verpflichtende Bedenkzeit wahrnehmen, um straffrei zu bleiben. Statt freiwillige Beratungen anzubieten, werden die Frauen also dazu gezwungen, sich beraten zu lassen, ansonsten droht Gefängnis. Ein unhaltbarer Zustand, der fassungslos macht.

Viele Frauen fühlen sich entmündigt, fremdbestimmt

Kein Wunder, dass sich viele Frauen entmündigt und fremdbestimmt fühlen. Denn es ist ihr Leben, ihr Körper, ihre Zukunft. Selbstbestimmt entscheiden zu dürfen, ob sie ein Kind haben wollen oder nicht, ist ihr Recht. Ja, eine ungewollte Schwangerschaft kann passieren. Kein Verhütungsmittel bietet einen hundertprozentigen Schutz. Zu einer Schwangerschaft gehören auch immer zwei Personen. Dennoch wird die Schuld meist bei den Frauen gesehen – das Patriarchat lässt grüßen. Und welche Gründe auch immer eine Frau haben sollte, eine Schwangerschaft abbrechen zu wollen: Es ist allein ihre Entscheidung. Sie sollte sich dafür bei niemandem rechtfertigen müssen. Außerdem: Keine Frau nutzt einen Abbruch als Verhütungsmittel.

Immerhin: Der Paragraf 219a – das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche – soll bald abgeschafft werden. Dann dürfen Ärztinnen und Ärzte endlich sachliche Informationen zum Abbruch im Netz veröffentlichen, ohne mit einer strafrechtlichen Ermittlung rechnen zu müssen. Ein Anfang, doch das reicht längst nicht aus.

Solange Schwangerschaftsabbrüche nicht als medizinische Leistung, sondern als Straftaten angesehen werden, wird auch weiterhin in vielen Köpfen die Annahme bestehen, dass es sich um etwas „Verbotenes“ handelt. Die Abschaffung von Paragraph 218 ist daher mehr als überfällig. Denn nein, es darf keine Straftat sein, entscheiden zu dürfen, kein Kind zu wollen. Es gibt keine Gebärpflicht.

Meinungsbildung über Frauenkörper

Schwangerschaftsabbrüche sollten bereits in den Schulen sachlich im Biologieunterricht vermittelt werden. Bislang werden Abbrüche meist eher im Ethikunterricht debattiert. Wer ist dafür? Wer dagegen? Wir bilden uns eine Meinung über eine Entscheidung, die allein die betroffenen Frauen über ihre Körper treffen sollten. Es ist absurd. Wäre solch eine Meinungsbildung und eine solche Kontrolle von Politik, Medizin und Gesellschaft eigentlich auch für Männerkörper vorstellbar? Wohl kaum.

Und dann gibt es noch die Abtreibungsgegner, die sich als Moralapostel „zum Schutze des ungeborenen Lebens“ ausgeben und nicht nur betroffene Frauen, sondern auch Ärzte bedrohen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Sie stürmen Praxen, halten Mahnwachen vor Beratungsstellen, bezeichnen Frauen als Mörderinnen und kommen damit auch noch durch. Nicht die Ärztinnen, Ärzte und Frauen sollten verurteilt und bestraft werden, sondern eben jene Menschen, die sie bedrohen.