Berlin-Wer Ralph Brinkhaus am späten Dienstagabend im Interview erlebte, musste sich erst mal Augen und Ohren reiben. Auch der sonst so gewiefte „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni, der die Fragen stellte, wirkte ein bisschen verdattert über das, was er da erfuhr.
Brinkhaus war soeben erneut zum Fraktionsvorsitzenden der Union gewählt worden und erklärte fröhlich, wie prima er das findet und dass man nun mal nach vorne schauen wolle und die Arbeit jetzt beginnt. Er meinte damit aber nicht die Aufarbeitung der eigenen Missstände, sondern allen Ernstes den Eintritt seiner Partei in Sondierungsgespräche mit den Wahlsiegern – mit dem Ziel, eine Regierungskoalition zu bilden.
Das muss man sich erst mal trauen.
Die Union hat vor nicht mal vier Tagen ihre größte Wahlschlappe bei einer Bundestagswahl erlebt. Ihr Kanzlerkandidat ist in der Bevölkerung und vor allem auch bei den eigenen Parteigängern so unbeliebt wie keiner vor ihm. Der Regierungsauftrag ging eindeutig an die Konkurrenz – und dennoch macht die Union so weiter wie bisher. Man wählt einen Fraktionsvorsitzenden, allerdings nur für sechs Monate und nicht für ein Jahr wie nach Wahlen üblich. Es gibt ein bisschen Kritik am Kandidaten, der sich bei denen entschuldigt, die ihr Mandat verloren haben. Und dann ist alles wie immer. Geht’s noch?
Mit diesem Verlauf der Fraktionssitzung am Dienstag hat sich die Union entschlossen, Armin Laschet in das Paralleluniversum zu folgen, in dem dieser offenbar seit Tagen lebt. In dieser Welt gibt es immer noch die realistische Chance auf eine Jamaika-Koalition unter seiner Führung. Man kann das auch an den Worthülsen festmachen, den Phrasen, die die Unionspolitiker jetzt vermehrt gebrauchen. Nein, nicht die von der schonungsloses Aufarbeitung und dass man verstanden habe. Jetzt heißt es: Man sei arbeitsfähig. Erneuern könne man sich auch in der Regierung. Und: Die Union sei handlungsfähig, sie werde ja gebraucht. Man habe die Wahl nicht gewonnen, sei aber dennoch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Und irgendeiner sagt dann immer auch gerne diesen Satz: Erst das Land, dann die Partei, dann die Person.
Wer erklärt den Unionspolitikern, dass sie gerade sehr dreist die Reihenfolge dieses Leitspruchs geändert haben und ebenso naiv hoffen, niemand möge es merken?
Es ist ja vielmehr so, dass die einzige Lösung für Armin Laschet darin besteht, irgendwie eine Jamaika-Koalition zu zimmern. Nur so kann er sich – wenigstens noch eine Weile – an der Spitze seiner Partei halten. Die wiederum hält still, weil sie seit 16 Jahren keinen anderen Zweck kennt als zu regieren. Wäre es anders, würde irgendjemand in diesen Tagen mal daran erinnern, dass man das eigene Grundsatzprogramm immer und immer wieder verschoben hat. Wahlkampf war wichtiger.
Geradezu bezeichnend war in diesem Zusammenhang der Kuhhandel um den Fraktionsvorsitz. Die Beteiligten sprechen natürlich lieber vom Kompromiss. Weil Ralph Brinkhaus nur für sechs Monate gewählt wurde und nicht für zwölf, hielten auch die still, die es ebenfalls gerne geworden wären. Nein, nicht Laschet. Der weiß, dass er alles auf eine Karte setzen muss. Gemeint sind hier Politiker wie Carsten Linnemann, Jens Spahn, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen. Sie forderten am Dienstag keine Aufarbeitung der Wahlschlappe. Das sollen mal schön die Orts- und Kreisverbände machen.
In der Fraktion wägt man nüchtern die Chancen ab. Kommt Jamaika, gibt es mehr Posten zu verteilen als in der Opposition. Also lässt man es noch mal darauf ankommen. Bei der CSU hat man die Gefahr erkannt. Dort wurde am Dienstag schon davor gewarnt, dass man Jamaika nicht bis zur Selbstaufgabe verhandeln dürfe. Ironie der Geschichte: Nun ist es gerade die kleine bayerische und sonst gerne mal unverschämte Parteischwester, die nun naiv dasteht. Denn natürlich wird Armin Laschet den Grünen und der FDP versprechen, was er nur kann, um sie ins Boot zu holen.




