Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik

AfD stinksauer: Hat Alexander Dobrindt (CSU) bei den Rechten abgekupfert?

CDU und CSU machen mit ihrem Antrag zum „Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik“ Druck auf die Ampel-Regierung. Die AfD moniert, die Union habe ihre Forderungen kopiert.

Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, während einer Rede im Plenum.
Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, während einer Rede im Plenum.DTS/imago

Freitagvormittag im Bundestag: Der Aufruhr ist groß, als Alexander Dobrindt (CSU) einen umfangreichen Antrag seiner Fraktion zum Thema „Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik – Irreguläre Migration stoppen“ vorlegt. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnt in der anschließenden Debatte vor vermeintlich einfachen Lösungen in der Migrationskrise, die Linkspartei wirft der Union vor, sie wolle Flüchtlinge „entrechten“ – doch einen politisch besonders brisanten Vorwurf erhebt Bernd Baumann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD: CDU und CSU hätten in ihrem Antrag „alle Positionen“ von der AfD übernommen.

Die AfD hätte die von der Union eingebrachten Vorschläge schon vor Jahren auf den Tisch gebracht, erklärt Baumann, sei aber jedes Mal am Widerstand der Union gescheitert. Doch stimmt das überhaupt?

Kupferte die Union ab? Baumann nennt vier Beispiele

Für die Forderungen, die die AfD bereits in den vergangenen Jahren erhoben haben will, nennt der parlamentarische Geschäftsführer der AfD vier Beispiele: Erstens die Forderung nach der konsequenten Durchsetzung der Dublin-III-Verordnung, der zufolge der Asylantrag eines Flüchtlings von dem EU-Land geprüft werden muss, das dieser zuerst betreten hat. Zweitens verweist er auf die Forderung, Geldleistungen für Migranten durch Sachleistungen zu ersetzen. Drittens führt er die Forderung nach Begrenzung des Familiennachzugs an und viertens die Forderung, dass Deutschland Migranten an den Binnengrenzen der EU zurückweisen dürfe.

Bernd Baumann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, während einer Rede im Plenum
Bernd Baumann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, während einer Rede im PlenumBernd Elmenthaler/IMAGO

Eine Recherche im Drucksachen-Archiv des Bundestags legt offen, was Baumann meint – so hat die AfD allein in den vergangenen Jahren dreimal die Umsetzung des Dublin-III-Abkommens gefordert: einmal im September 2020, anschließend im März 2021 und dann wieder im Oktober 2022. Bereits in ihrem ersten Antrag forderte die AfD die „Anwendung der Dublin-III-Reglungen“ (sic!) sowie die Beseitigung sämtlicher Pull-Faktoren, „die Ausländer bewegen, illegal nach Deutschland zu kommen“.

2021 schrieb die AfD erneut, es sei davon auszugehen, „dass ein Fluchtgrund in jedem Fall dann nicht mehr vorliegt, wenn der Flüchtling einen sicheren Drittstaat erreicht hat“. Ein Jahr darauf plädierte die AfD für eine Asylpolitik nach dem Vorbild Dänemarks – das aus dem gemeinsamen europäischen Asylsystem ausgetreten war und seine Abschiebepraxis verschärft hatte.

Unterlagen zeigen: Viele Forderungen der Union hatte bereits die AfD

Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Forderung nach der Kontrolle der Binnengrenzen. Einen ersten entsprechenden Antrag stellte die AfD im November 2017, einen zweiten im März 2020 und einen dritten im November 2021. Im inzwischen fast sechs Jahre alten ersten Antrag zu diesem Thema forderte die AfD, „umfassende Grenzkontrollen mit entsprechenden Vollmachten einzurichten“ sowie „diesen Grenzschutz durch geeignete Maßnahmen zu ermöglichen“.

Statt für eine Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland plädierte die AfD für deren zielgerechte Unterstützung in den Nachbarstaaten der jeweiligen Bürgerkriegsländer. Dadurch würden „die Gefahren der Überwindung einer Seegrenze entfallen“, argumentierte die AfD-Fraktion, und die Unterstützung käme „dann den wirklich Bedürftigen zugute“ anstatt „denjenigen finanziell Privilegierten, die hohe Schlepperkosten zahlen können“. Anlass für die Folgeanträge 2020 und 2021 für die Einführung von Kontrollen an der deutschen Grenze waren die verstärkten Migrationsströme über die Türkei und über Polen beziehungsweise Belarus.

Für die Ersetzung von Geld- durch Sachleistungen für Migranten hatte die AfD-Fraktion zweimal plädiert. Im Oktober 2022 stellte sie einen Antrag auf Einführung von Sachleistungen für Asylbewerber und gegen die Auszahlung von Bürgergeld für Flüchtlinge aus der Ukraine. Im März dieses Jahres legte die Fraktion einen Gesetzentwurf vor, in dem sie dem Bundestag ebenfalls Vorschläge für die „Behebung von Fehlanreizen im Asylverfahren“ und die „klare Trennung von Asyl- und Erwerbsmigration“ unterbreitete. So heißt es in dem Entwurf, der „Vorrang des Sachleistungsprinzips im Asylbewerberleistungsgesetz“ solle nach Auffassung der AfD gestärkt und „weitgehend ohne eine Option auf eine alternative Gewährung von Geldleistungen verankert“ werden.

Gegen den Familiennachzug hatte die AfD ebenfalls bereits in der Vergangenheit polemisiert, wie ein Gesetzentwurf vom Dezember 2017 nahelegt. Zu dem Zeitpunkt hatte die große Koalition aus Union und SPD bereits den Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten temporär ausgesetzt. Anders als die Union heute forderte die AfD damals aber keinen Stopp der Ausweitung von Familiennachzügen, sondern deren völligen Wegfall. Nur so könne den „Bedrohungen von Sozialstaat, Gesellschaft, innerem Frieden und Verfassungsordnung“ wirksam begegnet werden, die durch einen millionenfachen Nachzug von Familienangehörigen entstehen würden, schrieb die Fraktion damals.

Alexander Throm (CDU): Vorwürfe der AfD „Fake News“

Die Unionsfraktion weist Baumanns Vorwürfe allerdings zurück. Diese seien „Fake News“, sagte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Fraktion, gegenüber der Berliner Zeitung. Prinzipiell richte sich die Union „nicht danach, was andere fordern“, sondern danach, „was wir in der Sache für richtig halten“.

Er führt aus: „Es war die von CDU/CSU geführte Bundesregierung, die 2015 die Grenzkontrollen zu Österreich eingeführt und anschließend aufrechterhalten hat.“ Und weiter: „Eine unionsgeführte Bundesregierung hat das Sachleistungsprinzip verschärft. Außerdem hat die damals unionsgeführte Bundesregierung den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte zunächst ausgesetzt und dann gegen den Widerstand der SPD auf 1000 Personen pro Monat begrenzt.“

Throm zufolge machen der starke Anstieg der irregulären Migration sowie die veränderten Migrationsbewegungen es heute notwendig, „Grenzkontrollen auch auf die Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz auszuweiten“. Diese Maßnahme wird inzwischen auf Anordnung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Form verdachtsunabhängiger Personenkontrollen von der Bundespolizei umgesetzt.

Die Union erhebt in ihrem migrationspolitischen Antrag auch weitere Forderungen an die Bundesregierung. So sollen die Liste der sicheren Herkunftsstaaten erweitert und alle Bundesaufnahmeprogramme eingestellt werden. Die Fraktion fordert außerdem von der Bundesregierung, diese solle die Möglichkeit zur Einführung von Asylverfahren in sicheren Drittstaaten voranbringen und die EU-Außengrenzen stärken. Zudem fordert die Union, dass mehr Rücknahmeabkommen mit sicheren Herkunftsländern abgeschlossen, Visa-Regeln verschärft sowie Abschiebungen erleichtert werden. 

Politikwissenschaftler uneins über Erfolgschancen der Union

Unter Politikwissenschaftlern ist umstritten, ob es der Union gelingen kann, mit ihrer neuen Migrationsagenda verlorene Wähler zurückzugewinnen. Werner J. Patzelt, der Forschungsdirektor des Mathias Corvinus Collegiums in Brüssel, sieht die Union zumindest in einer Mitverantwortung bei der Reduktion der Ankunftszahlen und einer verstärkten Abschiebung abgelehnter Asylbewerber: „Nur das wird die Wahl der AfD weniger attraktiv machen“, erklärt Patzelt. Jedoch seien die eigenen Möglichkeiten der Union begrenzt. Obendrein werde es ihr wenig nützen, „wenn sie nun angesichts des AfD-Aufschwungs das tut, was sie nicht aus eigener Einsicht unternehmen wollte“.

Kiran Bowry, der freiberuflich zu Parteien und Migration forscht, sieht im Antrag der Union eine mögliche „Blaupause für einen strategisch erfolgversprechenden Pfad“: Zum einen biete er deutliche Alternativen für eine restriktivere Einwanderungspolitik, „die der vorherrschenden Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung Rechnung tragen“, zum anderen sei er „frei von schrillen Tönen und plakativen Flüchtlingsobergrenzen“.

Zugleich warnt Bowry, dass die Union beim Versuch, die AfD rechts zu überbieten, nur verlieren könne. Benjamin Höhne, Vertretungsprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Münster, sieht das ähnlich: Die Union dürfe sich „nicht von der AfD treiben lassen“. Sie müsse aufpassen, dass sie „ihren Anspruch als Volkspartei durch eine konservative Engführung nicht verspielt“.

Wolfgang Schroeder, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kassel, sagte der Berliner Zeitung: „Die CDU sollte einen Kurs fahren, der im Einklang mit der Regierung steht, ansonsten läuft sie Gefahr, in den Sog der AfD zu geraten, und da könnte das Original überzeugender wirken.“ Die Bereitschaft der CDU, „zusammen mit der Regierung einen Deutschland-Pakt anzugehen, der auch die Migrationspolitik enthält“, sei „plausibel“ und könne auch „signifikante Fortschritte bedeuten, die bei den Kommunen ankommen“.