Von einem Verbündeten im Krieg zu einem Feind: Der plötzliche Imagewandel der Ukraine in Polen mag überraschen. Polen hat unabhängig von der Europäischen Union ein eigenes Embargo gegen ukrainisches Getreide verhängt, worauf die Ukraine mit einem Embargo gegen einige polnische Produkte reagiert hat. Außerdem hat Polens Premierminister angekündigt, keine weiteren Waffen an die Ukraine versenden zu wollen.
Plötzlich bröckelt die Erzählung von der strategischen Freundschaft mit der Ukraine, von Polen als unterstützender Supermacht und von Präsident Andrzej Duda als herzlichstem Freund von Wolodymyr Selenskyj. Es gibt keine gemeinsamen Fotos der beiden Staatsoberhäupter mehr, plötzlich hat Wolodymyr Selenskyj „keine Zeit für Duda“, obwohl sich die beiden Männer bei der UN-Versammlung in New York im selben Gebäude befunden haben.
Die PiS-Partei war vor dem Krieg skeptisch gegenüber der Ukraine
PiS-Politiker haben in ihren Erklärungen Deutschland, Frankreich, Israel, die Niederlande, die Europäische Union und sogar den US-Botschafter angegriffen. Aber die Ukrainer genossen in PiS-Kreisen seit dem Beginn von Putins groß angelegter Invasion immer noch eine besondere Immunität. Dies ändert sich jetzt.
Die PiS hatte ihre Politik nach dem 24. Februar 2022 neu ausgerichtet. Vor dem Einmarsch hatte sie sich nicht um die Beziehungen zur Ukraine gekümmert. Die Vorgängerregierungen hatten sich um eine weit größere Nähe bemüht.
Nachdem die PiS-Partei 2015 an die Macht kam, wurden polnisch-ukrainische Kulturprojekte oder das Handelsvolumen der Polen in der Ukraine schwächer und es kam zu mehr Ressentiments, die sich auf die schwierige gemeinsame Geschichte bezogen haben. Nach dem 24. Februar 2022 änderte die PiS ihre Strategie. Es schien länger als ein Jahr lang so zu sein, als würde dieser Kurs erhalten bleiben. Alle sprachen von der polnisch-ukrainischen Liebe. Und die Polen, die durch die russische Gewalt verängstigt waren, waren wirklich gesamtgesellschaftlich bereit, den Ukrainern zu helfen.
180-Grad-Wende
Unterdessen hat ein Teil des rechten Flügels der PiS-Wählerschaft nicht aufgehört, anti-ukrainisch zu sein. Und selbst wenn diese Wähler ihre Emotionen eine Zeit lang zurückhielten und sich der Flüchtlingshilfe anschlossen, taten sie dies mit vielen Vorbehalten. Einige polnische Soziologen, wie Professor Przemysław Sadura, wiesen darauf hin, dass die PiS-Partei diese anti-ukrainische Stimmung, die in der polnischen Gesellschaft existiert, nie richtig kanalisiert hat. Aus geostrategischen Gründen. Und dass die PiS-Partei vielleicht in Zukunft dafür bezahlen wird. (Man kann dies mit Merkels Haltung gegenüber der Migrationsfrage vergleichen und mit dem späteren Schicksal einer liberalisierten CDU, die den konservativen Wählerkern verliert.)
Jetzt hat die PiS-Partei eine plötzliche 180-Grad-Wende vollzogen und übt ganz offen Kritik an der Ukraine. Und zwar in der Sprache des nationalen Egoismus statt der bisherigen Sprache der mitteleuropäischen Brüderlichkeit. „Die Ukraine verhält sich wie ein Ertrinkender, der sich an alles klammert; wir haben das Recht, uns mit unserer Hilfe davor zu schützen, dass sie uns Schaden zufügt“, so Premierminister Mateusz Morawiecki am Mittwoch.
Polen fühlt sich im Recht
Es muss betont werden, dass dies nichts an der Tatsache ändert, dass die Polen insgesamt eine der freundlichsten Gesellschaften gegenüber der Ukraine in Europa sind. Aber die Parlamentswahlen in Polen stehen vor der Tür, und die PiS-Partei spricht keineswegs für „die ganze Gesellschaft“.
Die Strategen der Regierungspartei wissen ganz genau, dass die Chance, nach dem 15. Oktober in irgendeiner Form an der Macht zu bleiben, von einer sehr geringen Zahl von Wählern abhängt, von unbedeutenden Unterschieden bei den prozentualen Endergebnissen. Deshalb will die PiS die ehemaligen Wähler überzeugen, die z.B. zur rechtsextremen Konföderation abgewandert sind oder die entmutigt sind und bei denen unklar ist, ob sie überhaupt noch wählen gehen werden.
Auf der Zielgeraden will die PiS alle ihre Ressourcen mobilisieren. Diplomatie, das Image Polens in Europa, die Freundschaft mit der Ukraine – alles ist zweitrangig, wenn Kaczynskis Partei um eine dritte Amtszeit kämpft.
Wie alle wichtigen Themen der polnischen Politik in letzter Zeit haben auch die Beziehungen zur Ukraine einen bedeutenden deutschen Einschlag. Denn obwohl im Februar und März 2022 die Kritik an Deutschland wegen seines unzureichenden Engagements für die Verteidigung der Ukraine in Polen weit verbreitet war und deutlich über die traditionell antideutsche Rechte hinausging, wurde Scholz auch von den Linken und Liberalen kritisiert. Die PiS-Regierung triumphierte und sagte, dass Warschau mit seiner Einschätzung gegenüber Russland recht hatte.
Die Freundschaft ist zu Ende
Aber die PiS scheint nicht bemerkt zu haben, dass sich die Situation nach mehr als einem Jahr geändert hat. Und dass Deutschland viele Dinge im Zusammenhang mit der Ukraine anders entscheidet. Die deutsche Regierung hat nicht nur zugestimmt, der Ukraine Leopard-Panzer zu liefern, sondern investiert auch massiv in die Zivilgesellschaft und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Dienstleistungen in der Ukraine.
Dieser Gesinnungswandel Deutschlands scheint der polnischen Regierung entgangen zu sein. Als der ukrainische Präsident erklärte, Deutschland verdiene einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, war dies für die Politiker der PiS-Partei ein Affront. Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak, einer der engsten Vertrauten Kaczynskis, nannte Zelenskis Vorschlag „ziemlich seltsam“ und eine „große Enttäuschung“.
Der PiS-Europaabgeordnete Jacek Saryusz-Wolski sagte, dass „die Ukraine ein Bündnis mit Deutschland gegen Polen eingeht“. Die polnischen Machthaber sind überrascht, dass die Ukrainer auch ihre eigenen Interessen verfolgen und nicht nur die Huldigung von Präsident Duda.






