Klimaaktivisten unter Druck

Letzte Generation: Jetzt droht sogar die Spaltung

Zerlegt sich die Letzte Generation? Schockierende Aussagen ihres Vordenkers Roger Hallam sorgen für Entsetzen. Zudem droht Aktivisten der finanzielle Ruin.

Roger Hallam (li.) verharmloste den Holocaust. Trans-Klimaaktivistin Penelope Frank gefällt das gar nicht. Wegen ihres Aktivismus könnte sie sich aber über 30 Jahre verschulden.
Roger Hallam (li.) verharmloste den Holocaust. Trans-Klimaaktivistin Penelope Frank gefällt das gar nicht. Wegen ihres Aktivismus könnte sie sich aber über 30 Jahre verschulden.Kollage: Berliner Zeitung Fotos: imago

Der Klimawandel wartet nicht. Trotzdem waren die Klimaaktivisten der Letzten Generation von Mitte Juli bis zur zweiten Augustwoche in der Sommerpause: Wer die Pressestelle für ein schriftliches Statement oder ein Gespräch erreichen wollte, erhielt eine automatische Abwesenheitsnotiz.

Nun sind die Klimakleber zurück – und sehen sich nach mehreren Flughafenblockaden mit möglichen Schadensersatzforderungen der Lufthansa in Millionenhöhe konfrontiert.

Der Grund: Im November 2022 hatten Aktivisten den Hauptstadtflughafen BER blockiert, in diesem Sommer die Flughäfen Hamburg und Düsseldorf. Dadurch mussten dutzende Flüge umgeleitet werden, tausende Fluggäste blieben am Boden. Der Lufthansa entstand ein Schaden in Millionenhöhe, sodass sie nun eine Schadensersatzklage gegen die Aktivisten in Erwägung zieht.

Schuldbefreiung durch Privatinsolvenz? Das ist keine Option

Die Schadensersatzklage könnte die an der Blockade beteiligten Aktivisten teuer zu stehen kommen, sollte die Lufthansa vor Gericht ziehen und den Prozess gewinnen. Dann nämlich „hat sie 30 Jahre lang die Möglichkeit, diesen Titel zu vollstrecken“, wie Rechtsanwalt Marcel Templin von der Berliner Kanzlei Hafenanwälte dieser Zeitung auf Anfrage erklärt. Eine Schuldbefreiung durch Privatinsolvenz sei für die Aktivisten keine Option, so Templin, „da die Schadensersatzforderungen aufgrund von Straftaten der Aktivisten erhoben wurden.“

Heißt im Klartext: Selbst wenn die Flughafen-Blockierer irgendwann dem Aktivismus abschwören und ins bürgerliche Leben eintreten, könnte der Gläubiger „den säumigen Flughafen-Blockierern 30 Jahre lang auf den Fersen sein und alle Schulden eintreiben“. Denn wenn ein Aktivist später einer geregelten Tätigkeit nachgeht und mehr als 1409,99 Euro netto im Monat verdient, müsste er alles über dieser Pfändungsgrenze an den Gläubiger abtreten.

Letzte-Generation-Sprecherin gibt sich unbeeindruckt

Von alldem gibt sich die Pressestelle der Letzten Generation unbeeindruckt. Sprecherin Lilly Schubert ließ die Berliner Zeitung wissen: „Etwaige Schadensersatzforderungen werden uns nicht an weiteren Protesten hindern“. Das antwortete sie am Mittwoch auf eine Anfrage, die ihr diese Zeitung zwei Wochen zuvor gestellt hatte.

Ihr zufolge hat die Ankündigung der Lufthansa die Gruppe in einem Moment erreicht, „in dem Extremwetter in zahlreichen Regionen der Welt für extreme Schäden sorgen.“ Die Letzte Generation sei „nicht bereit“, die durch die Emissionen der Lufthansa angeblich mitverursachte „Zerstörung“ widerstandslos „hinzunehmen“, so Schubert weiter.

Diese Zeitung wollte anschließend von der Sprecherin wissen, ob die Letzte Generation die an den Flughafenblockaden beteiligten Aktivisten zuvor umfassend darüber aufgeklärt hatte, dass sie sich über Jahrzehnte verschulden könnten.

Auf dieses Risiko ging Schubert allerdings nicht ein. Stattdessen antwortete sie allgemein, dass sich die Aktivisten, „die an Protesten wie denen an Flughäfen beteiligt sind“, ausgiebig vorbereiten würden. „Mögliche Konsequenzen von Protesten werden immer vorher erarbeitet, in Protesttrainings und extra Terminen wird darüber informiert und sich ausgetauscht“, bekräftigt Schubert.

Trans-Klimaaktivistin Penelope Frank: Verschuldung ja, Männerknast nein

Wie weit die Aktivisten jeweils bereit sind, für ihre Straftaten zu gehen, variiert allerdings stark. Das geht aus einem Dokument hervor, in dem die Letzte Generation unter anderem über die Bereitschaft ihrer Aktivisten zu Haftstrafen Buch führt. Darin finden sich Kommentare wie diese über die verschiedenen Aktivisten: „zu ängstlich für Gefängnis“, „gesundheitlich nicht so fit“, oder: „depressive Phase“. Die „Welt am Sonntag“ hatte die Existenz dieser Kartei im Januar aufgedeckt. Auf Anfrage der Zeitung hatte die Letzte Generation damals angegeben, die Kartei sei „veraltet.“

Eine Aktivistin, die sich sehr stark vor dem Gefängnis fürchtet, ist zum Beispiel die Transfrau Penelope Frank. Sie war an der BER-Blockade im November vergangenen Jahres beteiligt; die Berliner Zeitung hat bereits mehrfach über sie berichtet. Schlimmstenfalls droht ihr eine Haftstrafe wegen gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr, aber auch eine Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung steht im Raum.

Nach der Flughafenblockade fürchtet Frank die Verurteilung zu einer Haftstrafe im Männergefängnis – ein Horrorszenario, das sie mit allen Mitteln vermeiden möchte. So hatte sie bereits zuvor Spenden auf der Crowdfunding-Plattform GoFundMe gesammelt, um fällige Strafgelder abzubezahlen. Die Drohungen der Lufthansa scheinen ihr allerdings keine Sorgen zu machen. Sie ließ diese Zeitung vor zwei Wochen wissen, dass sie bereit sei, sich für den Klimaschutz zu verschulden und „unterhalb der Pfändungsgrenze von 1400 Euro monatlich zu leben.“

Antisemitismus-Streit: Letzter Generation droht Spaltung

Doch jetzt droht für Penelope Frank neues Ungemach. Es ist nicht die Lufthansa, die ihr Sorgen bereitet, sondern ein Richtungsstreit innerhalb der Letzten Generation.

Stein des Anstoßes sind holocaustrelativierende Äußerungen des Letzte-Generation-Vordenkers Roger Hallam. Im Interview mit der „Zeit“ hatte dieser den Holocaust als „bloß einen weiteren Scheiß in der Geschichte der Menschheit“ verharmlost. Im Gegensatz zum Holocaust sei der Klimawandel das weitaus schlimmere Verbrechen, so Hallam. Das ist inzwischen drei Jahre her.

Doch Hallam ist in der Klimabewegung nicht irgendwer. Der Mitbegründer der britischen „Extinction Rebellion“ hatte die Programmatik und die Protestmethoden ausgearbeitet, die sich auch für die Letzte Generation als wegweisend erweisen sollten. Er hatte die Gründung des Aktivistennetzwerks „A22“ angestoßen, einer Art Dachverband für verschiedene Klimaschutzgruppen aus aller Welt. Für hochrangige Aktivisten der Letzten Generation ist er so etwas wie eine Vaterfigur.

März 2023: Henning Jeschke im Amtsgericht Tiergarten
März 2023: Henning Jeschke im Amtsgericht TiergartenPressefoto Wagner

Der Konflikt um Hallams Holocaust-Relativierung ist jetzt erneut entflammt, nachdem eine Aktivistin aus der Arbeitsgruppe „Strategie und Werte“ in einem internen Chat erklärt hatte, Hallam‘ habe sich 2019 nicht antisemitisch geäußert. Auch die Führungsspitze der Letzten Generation, darunter Mitbegründer Henning Jeschke, steht weiter zu Hallam und hält seine Aussage lediglich für eine missglückte Wortwahl.

Penelope Frank: „bin nicht bereit, meine Werte zu verraten“

Für mehrere Mitglieder ist das ein Skandal – weswegen sie nun mit ihrem Austritt drohen. Das geht aus der Audioaufnahme einer internen Sitzung hervor, die das Nachrichtenportal „Apollo News“ zuerst auf Twitter veröffentlicht hatte.

Nachdem die Führungsriege sich nicht von Hallam distanzieren wollte, trat schließlich einige Tage später die einflussreiche „Awareness AG“ der Letzten Generation in den Streik. Die Awareness AG schreibt sich innerhalb der Letzten Generation den Kampf gegen Diskriminierung auf die Fahnen. Die Forderungen: Die Letzte Generation soll sämtliche Verweise auf Roger Hallam in ihrem Online-Aufritt, ihren Schulungen und ihren Vorträgen löschen und nie wieder Inhalte von ihm teilen.

Wird gewaltsam abgeräumt: Die Aktivistin der Letzten Generation und Transfrau Penelope Frank
Wird gewaltsam abgeräumt: Die Aktivistin der Letzten Generation und Transfrau Penelope FrankIMAGO/JONAS GEHRING

Inzwischen hat sich sogar der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein zu Wort gemeldet. Er sagte der Funke-Mediengruppe, jede Verharmlosung des Holocaust sei „eindeutig antisemitisch“. Vergleiche zwischen der industriell geplanten Vernichtung der Juden durch die Nazis und den Bedrohungen des menschengemachten Klimawandels seien „nicht akzeptabel.“

Auch Penelope Frank fordert einem Bericht von „Apollo News“ zufolge eine Distanzierung der Letzte-Generation-Führungsriege von Hallam. Sie soll in einem internen Chat wörtlich geschrieben haben: „Für den Kampf gegen den Klimawandel bin ich nicht bereit, meine Werte zu verraten.“ Eine Anfrage dieser Zeitung zu ihrer Position im internen Richtungsstreit der Letzten Generation ließ Frank allerdings unbeantwortet.