Meine Redakteurin fragt, wie es jetzt mit der Letzten Generation weitergeht, und ich denke: Ist das nicht klar? Wir heben die Welt aus ihren Angeln, gehen gegen die Klimakrise an, kämpfen für mehr Gerechtigkeit.
Aber natürlich ist nichts klar. Ich bin jetzt seit einem guten halben Jahr aktiv und verstehe erst langsam, was wir tun, was unser archimedischer Punkt ist, an dem der Wandel ansetzt. Verortet ist er auf der Insel Herrenchiemsee – vor 75 Jahren wurde dort das verfasst, was später zum deutschen Grundgesetz wurde.
Es war die Antwort auf Hitler, den Nationalsozialismus und Auschwitz, die Antwort darauf, dass deutsche Bürger:innen ihre Nachbarn überfielen, Bücher verbrannten, ihren Mitbürgern die Goldzähne ausrissen, sie vergasten, aus ihrer Haut Lampenschirme bastelten. Es war die Antwort auf das, was Frank-Walter Steinmeier beim großen Festakt auf Herrenchiemsee „Barbarei“ nannte. Eine Antwort von großer Schönheit. Wurzelte Nazi-Deutschland in Angst und Hass, entstand mit dem Grundgesetz ein Text, der nüchtern ist in der Sprache, und gleichzeitig singt: von Verbundenheit, Respekt, dem Willen, richtig zu handeln.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – für mich gibt es kaum einen schöneren Satz, weil er so fein balanciert auf dem eigenen Paradox. Gerade weil die Würde des Menschen angetastet wurde, steht dieser Satz über allem, was wir in Deutschland tun sollen. Er umfasst eine neue Art, die Welt zu sehen. Er ist ein Versprechen.
Straßenblockaden: Wenn jemand aufs Gaspedal tritt, bin ich tot
Ich musste ein knappes Dutzend Mal auf der Straße protestieren, um zu verstehen, dass ein bisschen von diesem Versprechen in unserem Protest lebt. Da zu sitzen, mein Gesicht auf Höhe der Stoßstange eines SUVs, eine Hand auf die Straße geklebt – wenn jemand aufs Gaspedal tritt, bin ich tot. Wenn jemand mich schlägt, kann ich mich kaum wehren. Wenn jemand spuckt, ist auch das so. Das ist Scheiße. Das ist anstrengend.
Das ist okay. Es geht nicht ohne.
„Ein beschwichtigendes Ablegen der flachen Hände will etwas anderes: Es bewahrt, hält und zwingt zur Ruhe“, schrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich über unseren Protest – und dieses Bewahren und Halten, diese Ruhe, darauf zielen wir ab, und das ist widersprüchlich, ja. Gerade weil wir einen gesunden, friedlichen Planeten erhalten wollen, produzieren wir einen Konflikt. Und um zu zeigen, dass wir Konflikte anders lösen können als mit Spucken und Schlagen, setzen wir uns wehrlos hin, fordern das Gespräch. Das ist radikal, es packt das Problem bei der Wurzel, denn wir leben immer noch nach dem Recht des Stärkeren: Wir starken Menschen beuten hemmungslos den Planeten aus. Doch Gewalt führt immer zu Gegengewalt. Und wenn man so will, schlägt die Erde mittlerweile zurück.
Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine: „Du siehst aber gar nicht gut aus, was ist los?“
Sagt der andere: „Ich hab Homo sapiens.“
Sagt der erste: „Keine Sorge, das geht vorbei.“
Friedlicher ziviler Widerstand – ich glaube, das ist der Weg dahin, dass es nicht vorbeigeht. Ich glaube, es ist eine Art und Weise Politik zu machen, die unserer Verfassung, der Menschenwürde entspricht. Ich glaube, dass darin etwas Neues angelegt ist, denn friedlicher ziviler Widerstand setzt gerade nicht auf Geschrei, auf Lautsein und Gewalt, sondern vertraut darauf, dass wir Menschen moralisch handeln, wenn wir die Chance dazu haben. Und darin – in der Friedfertigkeit – liegt eine riesige Kraft.
Wie geht es mit unserem Protest jetzt weiter? Wir Grundgesetz-Ultras sind gerade in Bayern unterwegs, dem Land der großen Worte und kleinen Taten, und ab Mitte September kommen wir wieder nach Berlin, und bleiben so lange, bis die Regierung anfängt, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Wir führen einen Wendepunkt herbei, wir stoßen endlich den Prozess an, den 80 Prozent der deutschen Bevölkerung wollen: mehr Klimaschutz.




