Dies ist der neueste Teil der humoristischen Kolumne „Finde den Fehler“ von Anselm Neft.
Bisher haben die sogenannten Klima-Kleber vor allem für Staus auf Autobahnen und im Stadtverkehr gesorgt. Doch nun hat die Letzte Generation offenbar ihre Strategie geändert. In den letzten Wochen klebten kaum noch Aktivist:innen auf öffentlichen Straßen. Was sie stattdessen tun, erzählten uns die Aktivisten Lotte Pritt und Axel Uhu.
„Wir hören nicht auf!“, macht die 32-jährige Tischlerin aus Berlin-Hellersdorf gleich zu Beginn des Gesprächs selbstbewusst klar. „Wir verändern nur unsere Vorgehensweise.“ Inspiriert wurden sie und andere Mitglieder der Letzten Generation vom Strategiewechsel des britischen Zweigs von Extinction Rebellion. Die hatten bereits Anfang des Jahres das Blockieren öffentlicher Straßen aufgegeben, um stattdessen mehr Menschen für kollektivere Protestformen zu gewinnen. Nun setzt in Deutschland die Letzte Generation noch „einen drauf“, wie Axel Uhu, 52-jähriger Fachwirt aus Wilmersdorf, erklärt. „Wir fahren nun eine doppelte Schiene“, sagt Uhu. „Zum einen blockieren wir ab jetzt nicht mehr die Bürger:innen, sondern Konzerne, Parlamentsgebäude und Jachten.“
Massentierhaltung, Politik und Reiche im Visier
Konkrete Ziele der Aktivist:innen sind zum Beispiel die Zufahrten zu Werksgeländen großer Fleischkonzerne wie Wiesenhof, Tönnies, Vion und Westfleisch. Zum anderen kleben sich Protestierende der Letzten Generation mittlerweile in die Eingänge des Bundestages und vor ausgesuchte Gebäude im Europaviertel in Brüssel. In kurzer Zeit hätten sich ihnen dabei deutlich mehr Menschen angeschlossen als bei ihren herkömmlichen Straßenblockaden. Groß ist laut Pritt und Uhu auch der Zuspruch zu den Blockaden von Superjachten und Kreuzfahrtschiffen.
Stauhelfer:innen als besonderer Clou
„Unsere zweite Schiene“, erklärt Uhu, „ist die Unterstützung von Menschen, die auf deutschen Autobahnen oder Stadtstraßen im Stau stehen.“ Pritt erläutert, was damit gemeint ist: „Wir wischen zum Beispiel kostenlos ihre Scheiben, reichen kleine Erfrischungen, spielen mit den Kindern ‚Vier gewinnt‘ oder erzählen Witze.“ Besonders beliebt sind laut Pritt dabei Scherze wie „Hast du den Klima-Kleber mit Absicht überfahren? – Nee, mit Allrad.“ Oder: „Bist du Veganer aus Tierliebe? – Nein, aus Pflanzenhass.“ Nur Witze über Tofu würden sie nicht erzählen, das sei geschmacklos.

Bereits jetzt große positive Resonanz
„Es ist erstaunlich“, sagt Uhu. „Die Menschen reagieren auf Freundlichkeit viel freundlicher als auf passiv-aggressive Verkehrsblockaden.“ Auch Pritt ist überrascht über den großen Zuspruch, den die Gruppe seit dem Strategiewechsel erfährt. „Manche, denen wir im Stau Witze erzählt haben, melden sich noch vor Ort für unsere ‚Stau-Crew‘ an“, sagt sie. „Andere verkaufen ihr Auto oder schwören, nie Kinder zu bekommen.“ Vor lauter Anfragen und dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand kommen Uhu und Pritt kaum noch dazu, selbst zu protestieren. Dabei schätzen beide den Kontakt mit den Menschen.
Menschen ändern ihre Meinung
Pritt erzählt uns von einer der vielen herzergreifenden Begegnungen: „In einem Stau auf der A7 bin ich mit Mitstreiter Joscha Pattex zu einem SUV mit ‚Fridays for Hubraum‘-Aufkleber gegangen. Darin saßen ein übellauniger Mann und eine sparsam guckende Frau. Wir wollten beiden eine selbstgemachte Limonade schenken, aber der Mann schimpfte: ‚Von der Klima-RAF nehme ich gar nichts an!‘ Wir sind freundlich geblieben und haben für die beiden zweistimmig ‚Der Kuckuck und der Esel‘ gesungen. Der Mann musste plötzlich weinen und wollte meine Mailadresse. Kurze Zeit später schrieb er mir: ‚Ihr habt mir die Augen geöffnet. Bisher ich habe nicht an den Klimawandel geglaubt und war gegen Flüchtlinge. Jetzt glaube ich an den Klimawandel und bin gegen Klimaflüchtlinge!‘“
Am Ende des Gesprächs wollen wir von Lotte Pritt und Axel Uhu wissen, ob das auch alles wahr ist, was sie da erzählen. „Natürlich nicht“, sagen beide einstimmig. „Aber wäre doch schön, oder?“
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