„Fact-Checker sind nicht immer objektiv“

„Zensurnetzwerk“ Deutschland: Wie die Regierung mit NGOs die Meinungsfreiheit untergräbt

Wer bestimmt den digitalen Diskurs? Eine Untersuchung zeigt, wie staatlich finanzierte NGOs die Online-Debatte in Deutschland steuern – und warum das die Meinungsfreiheit gefährdet.

Andrew Lowenthal, Direktor von liber-net, untersucht die staatliche Finanzierung von NGOs und deren Einfluss auf die digitale Meinungsbildung in Deutschland.
Andrew Lowenthal, Direktor von liber-net, untersucht die staatliche Finanzierung von NGOs und deren Einfluss auf die digitale Meinungsbildung in Deutschland.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Der Sprechsaal in der Marienstraße 26 füllt sich am Freitagabend bis auf den letzten Platz. Andrew Lowenthal, Direktor von liber-net, beginnt seinen Vortrag. Auf der Leinwand präsentiert er eine umfangreiche Datenbank mit Förderungen der Bundesregierung: Millionenbeträge flossen demnach an Nichtregierungsorganisationen, Think Tanks und Projekte gegen „Desinformation“. Lowenthal bezeichnet dieses Geflecht als „Zensurnetzwerk“, das gezielt Meinungsvielfalt einschränke.

Die Diskussion über Online-Zensur und Inhaltsregulierung hat in den vergangenen Jahren an Intensität gewonnen, wobei Deutschland eine zentrale Rolle spielt. Hunderte NGOs und staatlich finanzierte Initiativen üben Einfluss auf die digitale Meinungsbildung, unterstützt durch Millionenbeträge aus öffentlichen Haushalten.

Liber-net, eine Organisation gegen digitale Zensur, hat mit Lowenthal und seinem Team eine umfassende Untersuchung dieses Systems durchgeführt. Ihr Bericht „Das Zensurnetzwerk: Regulierung und Repression in Deutschland“ dokumentiert über 330 Akteure, die staatliche Fördermittel erhalten, um unter anderen Online-Inhalte zu moderieren. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung erläutert Lowenthal die Ergebnisse und die Gefahren für die Meinungsfreiheit durch die enge Verflechtung von staatlicher Finanzierung und Zensurpraktiken.

Herr Lowenthal, was war der Ausgangspunkt für Ihr Projekt zur Inhaltskontrolle in Deutschland?

Unser Projekt hatte das Ziel, die gesamte Landschaft der digitalen Inhaltskontrolle in Deutschland zu kartieren. Viele Menschen denken bei Zensur nur an offizielle Verbote, doch die Realität ist viel komplexer. Es geht nicht nur darum, Inhalte zu blockieren, sondern auch darum, welche Art von Diskurs gefördert wird und welche Informationen als „wahr“ oder „falsch“ gelten. Es gab viele einzelne Untersuchungen und Berichterstattung über Zensur und Desinformation, aber es fehlte eine umfassende Erhebung darüber, welche Organisationen und Akteure in diesem Bereich tätig sind.

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Emmanuele Contini/Berliner Zeitung
Andrew Lowenthal
Andrew Lowenthal ist ein australischer Autor, Forscher und Aktivist für Meinungsfreiheit. Er ist seit 2022 Director von Liber-net, eine Organisation gegen digitale Zensur. Von 2004 bis 2022 leitete er die Asia-Pacific-Nonprofit EngageMedia. Bekannt wurde er durch seine Zusammenarbeit mit dem Journalisten Matt Taibbi an den „Twitter Files‘“ (2022–2023), die den staatlichen Einfluss auf die Content-Moderation aufdeckten.

Wir wollten herausfinden, wie viele NGOs, Ministerien, akademische Einrichtungen und Think Tanks sich mit der Kontrolle von digitalen Inhalten befassen. Besonders spannend war für uns die Entwicklung in den vergangenen Jahren, da wir festgestellt haben, dass Deutschland zu den führenden Ländern in Europa gehört, wenn es um die Moderation von Inhalten geht.

Warum gerade Deutschland und nicht beispielsweise Italien oder Frankreich?

Deutschland hat eine sehr zentrale Rolle in Europa, nicht nur politisch, sondern auch in der digitalen Governance. Berlin ist das NGO-Zentrum Europas und hat enorme Einflüsse auf die digitale Politik der Europäischen Union (EU). Der Einfluss der deutschen Regierung und der NGOs, die sie unterstützt, ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Zudem ist Deutschland nicht nur ein wichtiger Akteur innerhalb der EU, sondern auch ein strategisch bedeutender Partner der USA, was die politische Relevanz erhöht. Wir haben bereits erste Untersuchungen gemacht und schnell festgestellt, dass Deutschland deutlich mehr Ressourcen für die Inhaltskontrolle bereitstellt als andere europäische Länder. Auch die NGOs sind hier sehr aktiv und finanziell gut unterstützt. Wenn wir diese Faktoren betrachten, ist Deutschland in Europa einfach der größte und bedeutendste Player in diesem Bereich.

Sie sprechen in Ihrem Bericht von einer starken Zunahme von finanziellen Mitteln für die Zivilgesellschaft seit 2016. Was glauben Sie, sind die Gründe für diesen Anstieg?

Der Anstieg der finanziellen Mittel ist vor allem politisch motiviert. Die Ereignisse von 2016, insbesondere die Wahl von Donald Trump in den USA und das Brexit-Referendum, haben viele in der westlichen Welt dazu gebracht, die digitale Welt und die Verbreitung von „Fake News“ und „Desinformation“ zu hinterfragen. Dies wurde als eine direkte Bedrohung für die Demokratie angesehen. Die Reaktion war eine massive Mobilisierung öffentlicher und privater Mittel, um diese Probleme zu bekämpfen. Während der Corona-Pandemie stieg dieser Druck noch weiter an, da Corona als eine „Infodemie“ betrachtet wurde, bei der Desinformation das öffentliche Vertrauen in die Gesundheitsmaßnahmen gefährdete.

Liber-net-Chef, Andrew Lowenthal, in der Redaktion der Berliner Zeitung.
Liber-net-Chef, Andrew Lowenthal, in der Redaktion der Berliner Zeitung.Emmanuele Contini/Berliner Zeitu

In dieser Zeit wurde die Bekämpfung von Desinformation zu einem politischen Ziel, und durch die Bereitstellung großer Geldmittel wurden Organisationen und Initiativen zur Bekämpfung von „Fehlinformationen“ besonders gefördert. Im Zeitraum von 2020 bis 2023 wurden in Deutschland fast 60 Millionen Euro zur inhaltlichen Kontrolle bereitgestellt. Diese finanziellen Mittel ermöglichten es einer Vielzahl von NGOs, ihre Reichweite und Einflussnahme erheblich zu erweitern, was auch zu einer stärkeren Kontrolle über die öffentliche Kommunikation führte.

Kann man noch von Nichtregierungsorganisationen reden, wenn sie von Regierungen finanziert werden?

Das größte Problem, das wir festgestellt haben, ist die zunehmende Nähe zwischen NGOs und staatlichen Institutionen. Diese NGOs erhalten erhebliche finanzielle Mittel von der Regierung, was dazu führt, dass sie weniger unabhängig sind, als sie vorgeben zu sein. Sie übernehmen Aufgaben, die traditionell von Journalisten oder staatlichen Institutionen wahrgenommen wurden, aber oft ohne die nötige Transparenz und Rechenschaftspflicht.

Ein weiteres Problem ist, dass viele dieser Organisationen nicht neutral sind, sondern eine politische Agenda verfolgen. Sie sind oft in die Bekämpfung von „Desinformation“ oder der Moderation von Inhalten involviert, aber dabei entsteht der Eindruck, dass sie entscheiden, was die „richtige“ Meinung ist. Das führt zu einer gefährlichen Situation, in der von der Regierung kritische Stimmen oder abweichende Meinungen als „falsch“ oder sogar als „gefährlich“ abgestempelt werden. Dadurch wird die Gesellschaft zunehmend gespaltet.

Welches Programm, oder Förderung der Bundesregierung hat besonders ihr Interesse geweckt?

Ohne Zweifel: Das Programm „Demokratie leben!” (DL) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ). Dieses hat sich zu einem wichtigen Instrument entwickelt, um die Online-Diskussion in Deutschland zu steuern. Mit mittlerweile fast 200 Millionen Euro jährlich fördert es Projekte, die sich unter anderen gegen „Hassrede“, „Verschwörungstheorien“ und „extremistische Inhalte“ im Internet richten. Zu den geförderten Initiativen gehören zum Beispiel die Bundesarbeitsgemeinschaft gegen Hass im Netz und Correctiv, die „Desinformation“ auf Plattformen wie TikTok bekämpfen.

Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung erhält erhebliche Mittel für Projekte gegen Rechtsextremismus und „Hass im Netz“. Ihre weit gefasste Definition von Antisemitismus, die auch politische Kritik an Israel umfasst, zeigt, wie solche Förderungen gesellschaftliche und politische Debatten indirekt beeinflussen können. Insgesamt zielt das Programm darauf ab, den öffentlichen Diskurs zu lenken und zu regulieren, insbesondere in digitalen Medien.

Doch der mit Abstand größte Empfänger von DL-Mitteln ist der Jugendschutz: Seit 2017 hat die Organisation insgesamt 8,8 Millionen Euro aus acht verschiedenen Zuschüssen erhalten, unter anderem für Maßnahmen zur Bekämpfung von „extremistischen Inhalten“ und „pro-russischer Propaganda“ sowie der Verbreitung von „Verschwörungstheorien“ auf verschlüsselten Messaging-Plattformen wie Telegram.

Welche Rolle spielen die sogenannten Fakt-Checker in diesem System?

Fakt-Checker behaupten oft, dass sie die Wahrheit objektiv prüfen, doch sie sind selbst nicht immer objektiv. In vielen Fällen orientieren sie sich an der offiziellen Sichtweise der Regierung oder an den politischen Positionen der Organisationen, die sie finanzieren. Gerade während Corona wurde dies offensichtlich – berechtigte Kritik zu Maßnahmen und Impfpflichten wurden als „Verschwörungstheorien“ abgetan.

„Desinformation“, betont Lowenthal in Anführungszeichen.
„Desinformation“, betont Lowenthal in Anführungszeichen.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Zudem ist ein weiteres großes Problem, dass Fakt-Checker in der Regel nicht die wichtigsten Akteure, wie Regierungen oder große Unternehmen, hinterfragen. Stattdessen konzentrieren sie sich oft auf weniger einflussreiche Einzelpersonen oder kleine Gruppen, die weniger Reichweite haben. Das führt zu einer Verzerrung der Wahrnehmung, da die wirklich mächtigen Akteure weitgehend unkontrolliert bleiben.

Wie sehen Sie die Auswirkungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) und des Digital Services Act (DSA) auf die Meinungsfreiheit und Zensur im Internet?

Das NetzDG und der DAS haben einen erheblichen Einfluss auf die Meinungsfreiheit im Internet, indem sie Plattformen dazu zwingen, Inhalte schnell zu entfernen, oft ohne eine ordentliche rechtliche Überprüfung. Das NetzDG verpflichtet Plattformen, „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Dieser Druck, schnell zu handeln, führt dazu, dass viele Plattformen Inhalte lieber vorsichtshalber entfernen, um Strafen zu vermeiden, anstatt auf eine gerichtliche Klärung zu warten. Dies begünstigt eine Form der Selbstzensur, bei der die Moderation von Inhalten oft auf der Basis von unklaren oder subjektiven Kriterien erfolgt.

Der DSA geht noch einen Schritt weiter und stellt sicher, dass die Verantwortung für die Moderation von Inhalten nicht nur bei den Behörden liegt, sondern auch bei den Plattformen selbst, die in kurzer Zeit „illegale“ Inhalte entfernen müssen. Es fehlt dabei eine klare gerichtliche Prüfung, sodass die Zensur in vielen Fällen schneller und ohne transparente rechtliche Verfahren umgesetzt wird. Diese Gesetze fördern eine Verschiebung von der Förderung der Meinungsfreiheit hin zu einer stärkeren Betonung der „Sicherheit“ und der Bekämpfung von Desinformation und Hassrede. Diese Regelung führt oft dazu, dass Plattformen vorschnell und intransparent handeln, ohne dass Nutzer die Möglichkeit haben, sich gegen die Entfernung ihrer Inhalte zu wehren.

Welchen Einfluss hat dieses System auf die Gesellschaft?

Die langfristigen Auswirkungen sind äußerst besorgniserregend. Wenn die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird und abweichende Ansichten zunehmend unterdrückt werden, führt das zu einer Entfremdung der Bevölkerung von den etablierten Institutionen. Die Menschen beginnen zu misstrauen – sowohl den Medien als auch der Regierung. Dies verstärkt die Polarisierung und gefährdet die demokratische Ordnung.

Was wäre Ihre Empfehlung, wenn Sie Bundeskanzler wären, dieses System zu ändern? 

Ich würde in erster Linie eine gründliche Überprüfung und Reduzierung der Mittel an NGOs vornehmen, die sich auf die Inhaltskontrolle konzentrieren. Es muss eine klare Trennung zwischen der Regierung und diesen Organisationen geben, damit keine politische Agenda durch die Hintertür implementiert wird. Es ist auch wichtig, den Fokus auf echte demokratische Prozesse zurückzulenken, in denen Bürger ihre Meinungen frei äußern können, ohne Angst vor staatlicher Repression oder der Kontrolle durch NGOs zu haben.

Ich halte es für notwendig, dass die Verantwortung für die Faktenüberprüfung wieder in die Hände von Journalisten gelegt wird. Die Überprüfung von Informationen und die Bereitstellung verlässlicher Fakten sollten zu den Kernaufgaben des Journalismus gehören – nicht jedoch Organisationen, die teilweise private oder staatliche Finanzierung erhalten und möglicherweise politische Agenden verfolgen.

Wie könnten sich diese Mechanismen ändern, wenn die Opposition an die Macht kommt?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Ein zentrales Argument, das früher bei vielen progressiven Kräften galt, war, dass man keine Gesetze oder Infrastrukturen schaffen sollte, die man nicht bereit ist, gegen sich selbst einzusetzen, wenn die politische Macht sich ändert. Es gibt viele Beispiele aus der Geschichte, bei denen Zensurmechanismen von einer Partei etabliert wurden und dann von einer anderen Partei gegen ihre politischen Gegner genutzt wurden.

Nach dem Mord an Charlie Kirk kam es in den USA zu einer Zensurreaktion der US-Administration. Interessanterweise hat Trump diese Infrastrukturen bislang jedoch nicht vollständig genutzt. Dies zeigt jedoch, dass Zensurmechanismen, die derzeit etabliert werden, in Zukunft auch von einer anderen politischen Bewegung – etwa der AfD in Deutschland – genutzt werden könnten, sollte sie an die Macht kommen. Die Politik scheint heute oft nur kurzfristig zu denken, ohne sich bewusst zu sein, dass diese Werkzeuge der Repression gegen die eingesetzt werden könnten, die sie ursprünglich unterstützten.