„Braucht einen Psychiater“

Wut in Europa über Witkoffs Ukraine-Plan zu russischen Staatsgeldern

Witkoffs Vorschlag, eingefrorene russische Gelder für amerikanische Projekte zu nutzen, lässt europäische Diplomaten aufkochen. Brüssel fürchtet, am Ende leer auszugehen.

Im August dieses Jahres kam es zu einem Treffen zwischen Kremlchef Wladimir Putin und dem US-Sondergesandten Steve Witkoff.
Im August dieses Jahres kam es zu einem Treffen zwischen Kremlchef Wladimir Putin und dem US-Sondergesandten Steve Witkoff.Gavriil Grigorov/imago

In europäischen Hauptstädten kocht die Stimmung über. Mitten in der heikelsten Phase der EU-Verhandlungen über den Umgang mit eingefrorenen russischen Staatsgeldern hat Donald Trumps Sondergesandter Steve Witkoff einen Plan präsentiert, den europäische Diplomaten übereinstimmenden Medienberichten nur noch als „Provokation“ bezeichnen.

Monatelang ringen die EU-Mitgliedstaaten darum, einen legal tragfähigen Weg zu finden, rund 140 Milliarden Euro russischer Vermögenswerte, die größtenteils bei Euroclear in Belgien liegen, zur Unterstützung der Ukraine zu verwenden. Die Zeit drängt nämlich: Kiew könnte im kommenden Jahr ohne frische Finanzhilfen zahlungsunfähig werden. Spekulationen zufolge soll das Geld im März oder April 2026 zu Ende gehen.

Doch aus Washington kommt nun ein Vorschlag, der den gesamten europäischen Ansatz aushebeln könnte. Laut dem 28-Punkte-Plan der Trump-Administration sollen dieselben Gelder für amerikanisch geführte Wiederaufbauprojekte nach einem Waffenstillstand genutzt werden. Die USA würden 50 Prozent der daraus entstehenden Profite erhalten.

Empörung in EU-Hauptstädten

Die Reaktionen innerhalb der EU sind verheerend. Diplomaten verschiedener EU-Staaten warnen gegenüber dem amerikanischen Medium Politico, der US-Plan gefährde direkt die ohnehin mühsamen Verhandlungen über den europäischen „Reparationskredit“, der nächsten Monat verabschiedet werden soll.

Ein ehemaliger französischer Beamter nennt demnach das Witkoff-Modell „skandalös“. Europa versuche verzweifelt, eine rechtsfeste Lösung zu finden, um die Gelder für die Ukraine nutzbar zu machen. Washington wiederum lege nun einen Plan vor, der aus europäischer Sicht vor allem den USA und nicht den europäischen Verbündeten zugutekäme.

Besonders brisant: Der amerikanische Vorschlag sieht vor, dass Europa zusätzlich 100 Milliarden Dollar zum Wiederaufbau beisteuert, während die eingefrorenen europäischen Vermögenswerte freigegeben würden. Nach Lesart vieler westeuropäischer Diplomaten bliebe Europa dann „mit leeren Händen zurück“, während die USA sowohl die Profite als auch die politische Kontrolle bekämen.

Dass die Nerven in Brüssel, Paris, Berlin und Warschau blank liegen, zeigt die Wortwahl mehrerer EU-Vertreter. Ein ranghoher Beamter aus Brüssel zeigte sich laut Politico verzweifelt über Witkoffs finanzpolitischen Ukraine-Plänen. Trump habe keinerlei Befugnis, in Europa eingefrorene russische Gelder freizugeben, so der Tenor im Europaviertel. Ein anderer EU-Vertreter soll gesagt haben, „Witkoff muss einen Psychiater aufsuchen“. Ein ehemaliger französischer Regierungsvertreter, dem wie anderen Gesprächspartnern Anonymität gewährt wurde, nannte die Witkoff-Idee „natürlich skandalös“.

Besonders heikel ist, dass die Vermögenswerte überwiegend in Belgien liegen. Damit trägt Brüssel das größte Risiko möglicher russischer Gegenmaßnahmen. Belgien zeigte sich daher ohnehin skeptisch gegenüber dem EU-Plan. Der US-Vorstoß droht nun den inner-europäischen Kompromiss zusätzlich zu zerschießen.

Ein EU-Offizieller warnte, dass Europas Steuerzahler im schlimmsten Fall haften müssten, falls Russland nach einem Friedensschluss die Gelder zurückfordert, während Trump gleichzeitig Druck ausüben könnte, diese Assets freizugeben, um seine eigenen Wiederaufbauprojekte in der Ukraine zu finanzieren.

Ein Super-GAU für Europa und die Ukraine?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach währenddessen von einem der schwierigsten Momente seiner Amtszeit. Die Ukraine stehe vor der Wahl, entweder ihre Würde oder einen entscheidenden Partner zu verlieren. Selenskyj telefonierte noch am Freitag mit den Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens. Diese versicherten Kiew, dass ohne europäische Zustimmung kein Abkommen akzeptiert werde.

Zusätzlich für Aufregung in Westeuropa sorgt der Plan, dass der Rest der eingefrorenen Gelder in ein gemeinsames amerikanisch-russisches Investitionsinstrument fließen könnte. Dieser Fonds könnte dann beispielsweise den Bau eines neuen amerikanisch-russischen LNG-Terminals im Arktisraum finanzieren, während Europa keinerlei Einfluss hätte, obwohl die Ursprungsgelder aus EU-Beständen stammen. Für die felsenfesten europäischen Ukraine-Unterstützer käme das einem Super-GAU gleich.