Ukraine-Friedensplan

Selenskyj soll kein Teil der Lösung sein - Trump und Putin preschen vor

Hinter den Kulissen der Ukraine-Verhandlungen wächst der Druck auf Selenskyj. Korruptionskrise, Machtkampf, internationale Kritik. Wird der Präsident aus den Gesprächen gedrängt?

Die Ukraine steht am Scheideweg: Sind Selenskyjs Tage gezählt?
Die Ukraine steht am Scheideweg: Sind Selenskyjs Tage gezählt?Ukranian Presidency/imago

Er habe nicht die Karten, wurde dem ukrainischen Präsidenten schon im Februar dieses Jahres unmissverständlich mitgeteilt. Auf den Eklat im Weißen Haus, als US-Präsident Donald Trump seinem Gegenüber Wolodymyr Selenskyj deutlich machte, dass er keinen endlosen Krieg in der Ukraine dulde, reagierten die Europäer schockiert. Ein Dammbruch sei das gewesen, die transatlantische Achse stehe kurz vor dem Ende, geopolitische Endzeitstimmung im Westen. Dabei könnten die kommenden Wochen die stolzen, aber auch arroganten Westeuropäer noch weitaus stärker schocken als das verbale Scharmützel im Oval Office.

Denn hinter den Kulissen im aktuellen Ukraine-Verhandlungsprozess zeichnet sich eine faustdicke Überraschung ab. Während in Washington, Istanbul, Moskau und Kiew an einem möglichen neuen Friedensplan zwischen Russland und der Ukraine gearbeitet wird, verdichten sich Hinweise darauf, dass zahlreiche Akteure, die im Verhandlungsprozess involviert sind, versuchen, Selenskyj aus den möglichen Friedensgesprächen herauszuhalten. Der ukrainische Präsident, der lange als personifiziertes Symbol des Widerstands gefeiert wurde, steht plötzlich selbst im Zentrum massiver Kritik. Sind Selenskyjs Tage gezählt?

Selenskyj unter Druck: Korruptionskrise, Entlassungen, Vertrauensverlust

In Kiew verschärft sich die innenpolitische Lage spürbar. Die Korruptionskrise erschüttert das Umfeld des Präsidenten; ehemalige Weggefährten wie der Oligarch Timur Minditsch fliehen außer Landes, Minister und Vertraute aus dem engsten Kiewer Machtzirkel treten plötzlich zurück oder werden entlassen. Der englischsprachige Kyiv Independent, der sich in seiner Berichterstattung in den vergangenen Jahren immer wieder hinter den Präsidenten stellte, fordert in einem Leitartikel offen die Entlassung von Andrij Jermak, dem mächtigen Präsidialamtschef, der seit Jahren als graue Eminenz im politischen Kiew agiert. Bröckelt da ein Machtzentrum? Selenskyj sei mehr als nur „angeschlagen“, sagen einem Kenner der ukrainischen Innenpolitik.

Innerhalb der Ukraine wird nämlich ein breites, politisch äußerst heterogenes Lager sichtbar, das Selenskyj zum Teil offen, zum Teil hinter den Kulissen ablösen will. Dazu zählen unter anderem der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, der ehemalige Präsident und heutige Oppositionelle Petro Poroschenko sowie zahlreiche, westlich finanzierte NGOs, die sich unzufrieden mit Selenskyjs zum Teil autoritären Zügen zeigen. Der Machtkampf in Kiew könnte die politische Stabilität im Land weiter schwächen. Just in einem Moment, in dem einerseits die Lage an der Donbass-Front fragil wirkt, andererseits die Gesellschaft des langen Krieges müde ist.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Aspekt, der im Westen kaum wahrgenommen wird: Die persönlichen und oft überraschend freundschaftlichen Kontakte zwischen Ukrainern und Russen sind vielerorts nach wie vor enger und lebendiger als jene zwischen Westeuropäern und der Ukraine – und erst recht zwischen Europa und Russland. Diese sozialen Verflechtungen, die trotz des Kriegs im Alltag weiterbestehen, wirken im Hintergrund auf die politische Dynamik ein und verstärken den Druck auf ein Ende der Kämpfe.

Auch internationale Stimmen, und damit sind nicht Trumps Mahnungen der vergangenen Monate gemeint („Diktator ohne Wahlen“), richten sich zunehmend gegen Selenskyjs Regierungsstil. Die Financial Times beispielsweise kommentierte jüngst, in Selenskyjs Machtapparat werde „Loyalität über Kompetenz gestellt“, während „Toleranz für Selbstbereicherung“ und der „Druck von Geheimdienstermittlungen“ als Machtinstrument dienten. Das renommierte britische Blatt rät dem Präsidenten, sein Umfeld zu erneuern, unabhängige Medien nicht länger als Gegner zu behandeln. Und, das ist zentral, Jermak als wohl einflussreichsten nichtgewählten Akteur in der ukrainischen Politik zu entlassen.

Nach Informationen aus Verhandlungskreisen, die von US-Medien wie Axios aufgegriffen wurden, wächst insbesondere in Washington die Überzeugung, dass Selenskyj den Friedensprozess blockiere. Während Vertraute von Präsident Trump an einem eigenen Friedensplan arbeiten, soll Selenskyj mehrere Gesprächsformate verzögert oder in Richtung EU verlagert haben, sehr zum Ärger der amerikanischen Unterhändler.

Selenskyj mit seinen Vertrauten Andrij Jermak und Rustem Umjerow
Selenskyj mit seinen Vertrauten Andrij Jermak und Rustem UmjerowAbaca/imago

Ein geplanter Termin in Ankara zwischen Selenskyj, dem amerikanischen Unterhändler Steve Witkoff und dem türkischen Außenminister Hakan Fidan wurde kurzfristig abgesagt. US-Quellen werfen Selenskyj vor, dass er von zuvor erzielten Verständigungen wieder abrückte und gleichzeitig einen Brüsseler Plan verfolge, den der Kreml wiederum kategorisch ablehnt. Ist Selenskyj blind für den Fakt, dass die EU bei den Ukraine-Gesprächen nicht in der Poleposition ist? Trump schmeckt dieses ganze Verhandlungshinundher, vor allem seitdem die Korruptionsaffäre im Selenskyj-Umfeld öffentlich wurde, gar nicht.

Ob der ukrainische Präsident schlussendlich im Zentrum, am Rand oder gar außerhalb dieser Gespräche stehen wird, entscheidet sich in den kommenden Wochen. Doch klar ist: Der internationale Ruf nach einem neuen politischen Ansatz in Kiew wird lauter. Auch immer mehr Ukrainer, die sich nicht von den Russen unterjochen lassen wollen, wünschen sich eine Alternative zu Selenskyj. Für den ehemaligen Comedian ist die Lage so dramatisch wie nie seit Beginn des Krieges. Ein Friedensplan ohne den ukrainischen Präsidenten wäre mit Sicherheit ein politischer Paukenschlag.