Flüchtlinge in Berlin

Senatorin Kiziltepe über Geflüchtete: „Wir stoßen jetzt schon an unsere Grenzen“

In Berlin werden Plätze in Unterkünften für Geflüchtete knapp, fast 4500 fehlen. Der Senat sucht händeringend nach Lösungen, doch reicht das? 

Für Cansel Kiziltepe (SPD) ist es wichtig, dass jeder ein Dach über dem Kopf hat.
Für Cansel Kiziltepe (SPD) ist es wichtig, dass jeder ein Dach über dem Kopf hat.Hannes P. Albert/dpa

Mitten in der Debatte um eine wachsende Zahl an Migranten an den Außengrenzen Europas meldet Berlin, seine Aufnahmekapazitäten seien ausgeschöpft. Nur eine kleine Menge an Unterbringungsmöglichkeiten gebe es noch. Dabei steigt der Bedarf weiter. 

Der Berliner Senat hatte vor geraumer Zeit eine Taskforce zur Unterbringung von Flüchtlingen in der Stadt gegründet, wegen der angespannten Lage tagte sie am Dienstag erneut. „Wir stoßen jetzt schon an unsere Grenzen“, sagte Sozial- und Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) im Anschluss an die Sitzung. Bis zu 5000 Plätze müssten noch in diesem Jahr geschaffen werden.

Die schwarz-rote Regierung will nun handeln. Das Aufnahmelager am ehemaligen Flughafen Tegel soll um zwei Leichtbauhallen mit 800 weiteren Plätzen erweitert werden. Auf dem Gelände des Flughafens Tempelhof wird geprüft, ob ein weiterer Hangar zur Verfügung gestellt wird. Außerdem sollen Hostels für weitere 500 Plätze angemietet werden. Kommenden Dienstag sollen die Beschlüsse im Senat gefasst werden, vorher beraten sich noch die Staatssekretäre. 

Geht es nach Kiziltepe, ist es wichtig, dass jeder ein Dach über dem Kopf hat, auch wenn die Leichtbauhallen Notlösungen seien. Doch derzeit sei keine Trendwende in Sicht, sagte sie: „Die Zuwanderung nimmt nicht ab, und mit dem kommenden Winter kann es sein, dass sich die Lage wieder dynamisiert. Darum brauchen wir alle Flächen und Projekte, die wir verwirklichen können.“ Sie fügte hinzu: „In meiner idealen Welt würden wir alle Unterkünfte klein und individuell in die Kieze integrieren.“ 

Seit Mitte August sind die Zahlen der Geflüchteten, die in Berlin ankommen, um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Pro Tag kommen inzwischen 120 Asylsuchende in der Hauptstadt an, aus der Ukraine 350, sagte die SPD-Senatorin am Dienstag. Asylsuchende und Ukrainer werden getrennt gezählt. Einige Flüchtlinge aus der Ukraine reisten weiter oder kämen privat unter.

Doch viele seien auf eine Unterkunft angewiesen. Und dabei stößt Berlin jetzt schon an seine Kapazitätsgrenze. Derzeit sind 31.889 Plätze (Stand 15. September) belegt. Den Schätzungen nach müssen bis Ende des Jahres noch 3000 bis 4000 Menschen eine Bleibe finden. Es könnten aber auch 5000 oder mehr sein – angesichts der Flüchtlingsströme unter anderem auf Lampedusa ist derzeit alles ungewiss. Und diese Plätze fehlen. 

Für Geflüchtete stehen derzeit noch 274 Plätze zur Verfügung

Vorab hatte bereits das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) Alarm geschlagen. „Die Kapazität in den Unterkünften liegt quasi bei null“, sagte LAF-Sprecher Sascha Langenbach. „Es stehen noch 274 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften zur Verfügung.“ 

Bis Ende August hatten seit Anfang des Jahres fast 10.000 Menschen in Berlin Asyl gesucht. Im Vorjahreszeitraum waren es rund 3000 Personen weniger. Die Herkunftsländer sind vor allem Syrien, die Türkei, Afghanistan, Georgien und Moldau. Gleichzeitig kamen fast 11.000 Menschen aus der Ukraine nach Berlin. Auch im September seien die Ankunftszahlen sehr hoch, so die Sozialverwaltung.

Das Recht ist im Grundgesetz geregelt. Jedes Asylgesuch ist zunächst legal und muss bearbeitet werden, auch wenn die Einreise illegal erfolgte. Jeder Mensch hat also das Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Um die Bearbeitungszeit zu verkürzen, gibt es nun auf Bundesebene die Debatte, mehr Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Georgien und Moldau werden von der Bundesregierung mittlerweile als solche Staaten eingestuft, sodass Behörden Asylanträge zügig als „offensichtlich unbegründet“ ablehnen können.

Sozialsenatorin Kiziltepe hingegen hatte zuletzt Änderungen des Verteilungsmechanismus in Deutschland gefordert. Der Königsteiner Schlüssel legt fest, wie viele Asylbewerber ein Bundesland aufnehmen muss. Kiziltepe kritisierte, dass dicht besiedelte Stadtstaaten wie Berlin nur begrenzt Fläche für neue Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung hätten. Das wiederholte sie am Dienstag. Auch dass der Bund mehr Verantwortung übernehmen müsse. 

Berliner CDU: Bundesregierung muss endlich tätig werden

Auch aus der Berliner CDU gibt es Forderungen nach weitreichenden Konsequenzen. Der Fraktionsvorsitzende Dirk Stettner sagte am Dienstag: „Alle Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge im Land Berlin sind am Limit. Die Menschen in Berlin und in vielen Kommunen fragen sich, wie es weitergehen soll. Manche haben den Eindruck, für Flüchtlinge würde alles, für sie nichts getan. Das dürfen wir nicht hinnehmen.“ Die Bundesregierung müsse endlich tätig werden.

Zur Realität gehöre die Erkenntnis, dass die Zahl der ankommenden Menschen, wenn nicht europaweit, dann doch bundesweit eingedämmt werden müsse. „Das bedeutet, dass wir Abschiebungen noch konsequenter und wieder verstärkt Kontrollen an unseren Grenzen durchführen müssen“, sagte Stettner. „Wer keine Bleibeperspektive hat, sollte möglichst gar nicht erst in Deutschland landen.“

Stettner: Berlin kann bei Geflüchteten nur die Symptome behandeln

Das Problem könne nur die Bundesregierung an der Ursache packen, Berlin nur die Symptome behandeln. „Wenn wir Zustände wie 2015/2016 verhindern wollen, müssen wir unverzüglich anpacken“, forderte der CDU-Politiker. Es sei außerdem notwendig, darüber nachzudenken, wie Geflüchtete eine Möglichkeit bekommen könnten, für sich selbst zu sorgen. „Selbstverständlich müssen auch geflüchtete Menschen mit realistischer Bleibeperspektive arbeiten. Viele wollen arbeiten, viele dürfen es leider nicht“, kritisierte Stettner. „Nicht arbeitswillige Menschen sollten kein Bleiberecht haben.“

„Wir befinden uns an einem Scheidepunkt“, so der CDU-Fraktionschef. Viele Menschen berichteten vermehrt von Überfremdungsängsten. „Wir dürfen sie für ihre Emotionen nicht als radikal abstempeln.“