Gastbeitrag

Flüchtlingsheim in Pankow: Die Senatorin moralisiert, statt den Kritikern zuzuhören

Warum der Versuch von Senatorin Cansel Kiziltepe, um Verständnis für die Verdichtung von Wohnquartieren durch Flüchtlingsunterkünfte zu werben, misslungen ist. Ein Gastbeitrag.

Anwohnerprotest gegen Flüchtlingsunterkunft Pankow
Anwohnerprotest gegen Flüchtlingsunterkunft PankowMarkus Waechter/Berliner Zeitung

Dieser Gastbeitrag ist eine Replik auf einen Text von Berlins Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe.

Sie imaginiert eine „ideale Welt“, in der man Derartiges nicht tun würde, aber die Realitäten verlangten die Bebauung von Frei- und Grünflächen zwischen den Wohnhäusern des alten sozialen Wohnungsbaus. Damit desavouiert Kiziltepe 100 Jahre sozialer Wohnungsbaupolitik, die – trotz viel gravierenderer Wohnungsprobleme als die, die wir heute haben – einst das Ideal der offenen, lichten und durchgrünten Wohnquartiere für die Arbeiterschaft umfasste.

Dieses viele Jahrzehnte den sozialen Wohnungsbau orientierende Ideal soll heute mit der Realität inkompatibel sein? Heute komme man nicht umhin, die so geschaffenen Wohnanlagen baulich zu „demolieren“? Das ist ein städtebaulicher Rückschritt, das Gegenteil einer sozial-ökologischen Bauwende.

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Zum Autor
71 Jahre, Dr. phil., wohne im Prenzlauer Berg, Baustadtrat im Bezirk Pankow (2006 - 2011), bis 2021 mehrfach Mitglied des Abgeordnetenhauses für Die Linke (heute in keinem Partei-Amt mehr). Mitinitiator des Offenen Briefes vom 1. September 2023 an den Regierenden Bürgermeister in Sachen Grüner Kiez Pankow, https://gruener-kiez-berlin.de/

Diskussion wird durch Stimmungsmache ersetzt

Dass es Gründe des Natur- und Klimaschutzes geben könnte, die einem Bauvorhaben entgegenstehen, räumt Cansel Kiziltepe zwar ein. Aber wer sie gegen eine Flüchtlingsunterkunft vorbringe, sei ein Nimby (Not in my backyard, Anm. d. Red.), auch wenn er sonst für Humanität und die Gewährung von Zuflucht eintrete.

Damit spricht Kiziltepe den Befürwortern einer humanen Flüchtlingspolitik praktisch das Recht ab, sich gegen umwelt- und klimaschädliche Bauvorhaben auszusprechen, wenn diese als Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden sollen. Dieses Verdikt schadet nicht nur der Flüchtlingspolitik, sondern hebelt den demokratischen Diskurs aus.

Im Namen des „guten Ziels“ wird eine Debatte über Für und Wider von Vorhaben moralisierend blockiert. In der von Senatorin Kiziltepe vorgestellten Diskussionsanordnung wird die mögliche Fehlerhaftigkeit der eigenen Standortpolitik gegen Kritik immunisiert, indem, statt Gegengründe vorzubringen, die angeblich unehrenhaften, egoistischen Motive der Kritiker thematisiert werden.

Die eigene Position wird anmaßend als das Allgemeininteresse postuliert, die der Kritiker als egoistisch borniert abgewertet. Eine solche Haltung zersetzt die Fundamente demokratischer Meinungs- und Willensbildung. Damit wird das Feld für populistische antidemokratische Diskurse bereitet, die Argumentation durch Stimmungsmache ersetzen.

Humane und integrative Flüchtlingsunterbringung

Am Schluss ihres Beitrages erwähnt die für die Flüchtlingsunterbringung zuständige Senatorin unbestimmt eine erforderliche Entscheidung für den Schlossparkkiez in Pankow, ohne den offensichtlichen Missbrauch der Flüchtlingsnot durch die Gesobau und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu kritisieren.

Denn hier geht es um ein rücksichtsloses Wohnungsbauvorhaben der kommunalen Gesobau, das in einem mehrjährigen demokratischen Beteiligungsverfahren am Widerspruch der Bürgerschaft und letztlich am Votum der demokratischen Gremien des Bezirks Pankow gescheitert war. Mit dem Sonderbaurecht für Flüchtlingsunterkünfte und der damit verbundenen Verlagerung der Zuständigkeit für die Baugenehmigung auf die Stadtentwicklungsverwaltung von Senator Gäbler soll dieses nun doch noch realisiert werden.

Diese Instrumentalisierung der Flüchtlingsnot für die Durchsetzung anderer politischer und wirtschaftlicher Interessen ist eine Einladung an rassistische und flüchtlingsfeindliche Bestrebungen. Dass Cansel Kiziltepe hier keine klaren Worte der Zurückweisung findet, beschädigt ihren Anspruch, für eine humane und integrative Flüchtlingsunterbringung einzutreten, nachhaltig.

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