Es herrscht weiterhin Notstand auf Lampedusa, der kleinen Insel zwischen Sizilien und Nordafrika. In der vergangenen Woche kamen dort rund 7000 Bootsmigranten an – das sind mehr Menschen, als die Insel Einwohner hat.
Giorgia Meloni musste eine solche Situation – die Lampedusa in den vergangenen Jahren bereits mehrmals erlebt hat – zum ersten Mal als Premierministerin bewältigen und versprach umgehend „außergewöhnliche Maßnahmen“ zur Eindämmung der illegalen Migration.
Am Montag ließ die italienische Regierung dieser Ankündigung Taten folgen und beschloss, härter gegen Flüchtlinge durchzugreifen, vor allem mit zwei Maßnahmen. Die erste betrifft das Höchstmaß der Haftdauer bei Abschiebungen, das nun auf 18 Monate angehoben wurde; die zweite sieht den Bau von „Rückführungszentren“ vor, um irregulär eingereiste Migranten festzusetzen.
Diese Sofortmaßnahmen sind nur ein Teil der Pläne der italienischen Regierung im Umgang mit illegaler Migration. Was Giorgia Meloni anstrebt, ist ein radikaler Perspektivwechsel auf EU-Ebene in Bezug auf die Migrationspolitik. Der kurze Besuch von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Lampedusa am Sonntag war für Meloni deshalb von großer Bedeutung, wie sie noch am Abend in einem Fernsehinterview sagte.
Von der Leyen hatte illegale Migration in Lampedusa als eine „europäische Herausforderung“ bezeichnet, die eine europäische Antwort brauche.

Meloni: Von der Leyens Plan ist eine „Kehrtwende“ für die EU
Die Kommissionspräsidentin stellte einen 10-Punkte-Plan der EU vor, der Italien konkret dabei unterstützen soll, den hohen Zustrom von Migranten zu bewältigen. Besonders ein Satz von der Leyens gefiel Giorgia Meloni: „Wir entscheiden, wer unter welchen Umständen in die Europäische Union kommt – und nicht die Schleuser und Menschenhändler“, hatte die Kommissionschefin gesagt, als sie erläuterte, dass die EU verstärkt gegen Schleuser und Menschenhändler vorgehen wolle.
Genau darin sieht Meloni eine positive „Kehrtwende“ in der Migrationspolitik der EU – und eine Leistung der italienischen Politik. Die Premierministerin betonte, dass der Plan der Kommission mit dem ihrer Regierungskoalition übereinstimme: „Ich glaube, dass das, was die italienische Regierung in Europa in Bezug auf die Bekämpfung der Migrationsströme erreicht hat, eine kopernikanische Revolution ist“, sagte Meloni, „solange die Linke (gemeint ist hier die italienische sozialdemokratische Partei Partito Democratico, Anm. d. Red.) an der Regierung war, hat man nur darüber diskutiert, wie man illegale Migranten in Europa umverteilt, jetzt diskutiert man darüber, wie man illegale Abwanderung (aus den Herkunfts- und Transitländern, Anm. d. Red.) stoppt.“
La mia intervista di ieri sera da Paolo Del Debbio a Dritto e Rovescio. Qui potete rivederla. Buona giornata. https://t.co/Kb0eDOhs4h
— Giorgia Meloni (@GiorgiaMeloni) September 18, 2023
Angesprochen auf die These ihres Vizepremierministers, des Lega-Chefs Matteo Salvini, der die neue Migrationswelle vor einigen Tagen als einen „Akt des Krieges“ bezeichnet hatte, ohne jedoch zu verraten, wer diesen vermeintlichen Krieg gegen Italien erklärt haben soll, sagte Meloni: „Ich sehe eine Strategie der italienischen und europäischen Linken.“ Diese versuche „alles zu demontieren, was wir tun“. Sie erwähnte in diesem Zusammenhang das Migrationsabkommen, das die EU im Juli mit Tunesien geschlossen hat, um die illegale Migration zu unterbinden.
Der EU-Migrationsabkommen mit Tunesien: Italiens Sieg?
Tunesien, eines der wichtigsten Transitländer für Migranten auf dem Weg nach Europa, soll demnach Finanzhilfen in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro erhalten. Das Land verpflichtet sich, als Gegenleistung die illegale Einwanderung über das Mittelmeer einzudämmen. Meloni und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte waren maßgeblich am Zustandekommen der Vereinbarung mit Tunesiens Präsident Kais Saied beteiligt.
Meloni hatte die unterschriebene Absichtserklärung, die noch lange nicht ratifiziert ist, als eigenen Sieg gefeiert. Die italienische Opposition sowie weite Teile des Europäischen Parlaments hatten die Unterzeichnung vor allem aus menschenrechtlichen Gründen kritisiert: Tunesien steht wegen seines Umgangs mit Migranten seit langem in der Kritik.

Vorwürfe gegen Josep Borrel: Gegen Lösungen für das Migrationsproblem
Bei der Vorstellung der verschärften Maßnahmen am Montag wiederholte Meloni ihre These, dass „die Linken“ in Italien und in Europa die Suche nach einer gemeinsamen Lösung für das Problem der illegalen Migration torpedieren – und sie nannte Namen. Dem Hohen Vertreter der EU für auswärtige Angelegenheiten, Josep Borrell, sowie den Parteien der Linken in Italien und im Europäischen Parlament warf Meloni vor, gegen Lösungen zu arbeiten, um die Ankunft Tausender Migranten zu stoppen.
Der Verweis auf Borrell steht im Zusammenhang mit einem Brief, den er Berichten zufolge am 7. September an Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi geschrieben hatte und in dem er die anvisierte Zusammenarbeit mit Tunesien kritisierte, insbesondere weil der Deal auf Initiative nur einiger Länder (Italien und der Niederlande) erfolgt war, ohne dass das Europäische Parlament einbezogen wurde.
„Ich bedaure, dass einige italienische und europäische politische Parteien in die entgegengesetzte Richtung rudern und alles tun, um die geleistete Arbeit aus ideologischen Gründen oder, schlimmer noch, aus politischem Kalkül zu demontieren“, sagte Meloni am Montag in Rom.
Neben dem Brief von Borrell erwähnte Meloni die Appelle der europäischen Sozialdemokraten und die Positionen verschiedener Mitglieder der Europäischen Linken gegen die Vereinbarung: „All diese Aktionen gehen in die gleiche Richtung: Es wird versucht zu argumentieren, dass kein nordafrikanisches Land ein sicherer Staat sei, mit dem man sich darauf einigen kann, die Ausreise zu stoppen oder illegale Einwanderer abzuschieben. Im Grunde genommen will die Europäische Linke die illegale Masseneinwanderung unvermeidlich machen.“
Dass die EU in der Migrationsfrage gespalten ist, ist nichts Neues. Und dass Meloni und das Bündnis der Europäischen Konservativen gemeinsame Lösungsvorschläge für die Umverteilung von Migranten blockiert haben, ist ebenfalls bekannt. Die Attacke gegen die „Linken“ nach dem Besuch der Kommissionspräsidentin auf Lampedusa ist jedoch bemerkenswert, genauso wie die gemeinsame Reise nach Tunesien. Einerseits wird damit Einigkeit mit den EU-Institutionen demonstriert, andererseits attackiert Meloni ihre politischen Gegner auf nationaler und EU-Ebene – sie bringt sich für die anstehende Europawahl in Stellung, kommentieren politische Beobachter in Italien.
Italien: Wir werden jeden Schritt der EU verfolgen
Am Montag verkündete Meloni, dass sie beim nächsten informellen Europäischen Rat im Oktober die Mitgliedstaaten dazu auffordern will, die notwendigen und konsequenten Entscheidungen in der Frage der illegalen Ausreise aus Nordafrika zu treffen. Schließlich bedankte sich Meloni noch einmal für den Besuch von Ursula von der Leyen in Lampedusa: „Die Präsenz Europas an den Grenzen, die der illegalen Masseneinwanderung am stärksten ausgesetzt sind, unterstreicht, dass die Grenzen von Lampedusa nicht nur italienische Grenzen sind, sondern auch europäische Grenzen.“


