In Brüssel ist man auf Deutschland derzeit nicht gut zu sprechen: Ausgerechnet die Bundesregierung, die in der Flüchtlings- und Asylfrage immer wieder auf eine europäische Lösung drängt, soll die lang herbeigesehnte Reform des EU-Asylsystems verschleppen. Eigentlich sollte die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) noch vor der Europawahl im Juni kommenden Jahres verabschiedet werden.
Die EU wollte damit ihre Handlungsfähigkeit in einem derzeit zentralen Politikfeld unter Beweis stellen. Doch nun mehren sich Zweifel, ob dieser Zeitplan noch zu halten ist.
Die Bundesregierung sei dafür verantwortlich, dass die für die Reform notwendigen Verhandlungen mit dem Europaparlament derzeit blockiert sind, sagten mehrere Diplomaten und EU-Beamte der Deutschen Presse-Agentur vor dem entscheidenden Treffen der EU-Innenminister an diesem Donnerstag. Für Deutschland wird Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an dem Ministertreffen teilnehmen, die gleichzeitig im hessischen Landtagswahlkampf als Spitzenkandidatin eingebunden ist. Faeser hat sich zu einem möglichen Kompromissvorschlag bisher öffentlich noch nicht geäußert.
Nun berichtet die Bild-Zeitung, dass Faesers Bundesinnenministerium Deutschlands Ständigen Vertreter bei der Europäischen Union, Botschafter Michael Clauß, angewiesen hat, der bereits von den Staatschefs verhandelten europäischen Asyl-Reform nicht zuzustimmen.
Nun fürchten EU-Offizielle, dass der deutsche Widerstand den ohnehin brüchigen Kompromissvorschlag kurz vor Verabschiedung zum Platzen bringen könnte. Schließlich wünschen sich Polen, Ungarn, Österreich und Tschechien ohnehin eine härtere Gangart in der Migrationskrise.
Die Krisenverordnung ist „die Achillesferse des Asylpakets“.
Zentraler Streitpunkt bei der Asylreform ist die geplante Krisenverordnung, die unter Federführung der spanischen EU-Ratspräsidentschaft zustande gekommen ist. Sie sieht vor, dass Staaten, die von Migrationsströmen besonders betroffen sind, die haftähnliche Unterbringung von ankommenden Migranten verlängern und besonders strenge Regeln zur Einreise auch auf diejenigen Migranten anwenden dürfen, deren Asyl-Anerkennungsquote besonders hoch ist. Im Interview mit dem Spiegel nannte die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, die Krisenverordnung „die Achillesferse des Asylpakets“.
Bisher vertrat die Bundesregierung die Haltung, dass die Krisenverordnung menschenrechtliche Schutzstandards im Asylverfahren unterlaufen würde. Am Wochenende meldete sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf der Social-Media-Plattform X mit einer neuen Lesart der Krisenverordnung zu Wort und warnte, dass diese Anreize dafür setzen würde, große Zahlen „unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland“ weiterzuleiten. Insbesondere die Grünen gelten als Kritiker der EU-Asylreform.
Der Europapolitiker Manfred Weber (CSU) hält diese Argumentation für vorgeschoben. „Wir hoffen, dass die jetzt auch bei der Außenministerin sehr spät entdeckte Sorge um die Auswirkungen des Migrationsdrucks auf die Kommunen zu einem Kurswechsel bei den Verhandlungen in Brüssel führt. Jede Maßnahme, die die Zahl illegaler Migranten in der EU begrenzt, muss ernsthaft nachverfolgt werden“, sagte Weber.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei (CDU) kritisierte das Vorgehen der Bundesregierung gegenüber der Berliner Zeitung scharf: „Obwohl sich die Migrationskrise letztlich nur europaweit lösen lässt, steht die Bundesregierung einer Einigung in Brüssel im Weg. Der Ärger in unseren Nachbarländern über die Berliner Blockade hält schon länger an.“ Frei ergänzt: Die Krisenverordnung zu stoppen sei „nicht akzeptabel“. Selbstverständlich benötigten gerade die Länder, in denen viele Flüchtlinge erstmals europäischen Boden betreten, „mehr Flexibilität in ihren Handlungsmöglichkeiten“.
Kritik am grünen Koalitionspartner kommt allerdings auch aus der FDP. So sagte der parlamentarische Geschäftsführer Torsten Herbst zur Berliner Zeitung: „Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems liegt ein beschlussfähiger Kompromiss auf dem Tisch. Ich erwarte, dass die Grünen eine sinnvolle europäische Lösung nicht durch eine Blockade innerhalb der Bundesregierung verhindern.“
Was soll mit der Asylreform beschlossen werden?
Mit der Reform sollen ein wirksamer Grenzschutz an den EU-Außengrenzen, ein beschleunigtes Asylverfahren (im Regelfall maximal sechs Monate) und die Abschiebung in sichere Drittstaaten ermöglicht sowie Sekundärmigration (von einem EU-Land in ein anderes) verhindert werden. Darüber hinaus soll auch vereinbart werden, dass die Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen, sich künftig zumindest finanziell an den Kosten der Flüchtlingskrise beteiligen. Gerade deutsche Politiker hatten in der Vergangenheit immer wieder auf die Einführung des sogenannten Solidaritätsmechanismus gedrängt.





