In der Energiekrise ist sich jeder selbst der nächste: Diesen Eindruck hinterließ vor einigen Tagen eine kurze Mitteilung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass, in der es etwas säuerlich hieß, Usbekistan werde Energie ausschließlich auf Basis seiner nationalen Interessen einkaufen. Damit erteilte der Energieminister des Landes den kurz zuvor bekanntgewordenen Plänen Russlands eine Abfuhr, gemeinsam mit Usbekistan und Kasachstan eine „Gas-Union“ zu bilden. Diese Union hätte die asiatischen Märkte gemeinsam bedienen sollen. Doch Russland hat offenbar Schwierigkeiten, die ehemaligen sowjetischen Bruderländer für neue Allianzen zu gewinnen, so die Nachrichtenagentur Reuters.
Auch bei neuen Atomkraftdeals läuft es für Moskau in der Region nicht wie geplant: Seit 2018 bemüht sich das staatliche russische Nuklear-Unternehmen Rosatom, den Usbeken Reaktoren zu verkaufen. Doch in der usbekischen Hauptstadt Taschkent treten die Verantwortlichen auf die Bremse: Zu teuer, heißt es seit Jahren, und daher gibt es trotz mehrfacher Anläufe von russischer Seite bis heute keinen Vertrag. Das Magazin The Diplomat schreibt, das wegen seiner Uran-Vorkommen weltweit umworbene Usbekistan zögere mit der Unterschrift, weil man nach der russischen Invasion in der Ukraine fürchte, auch Rosatom könnte schon bald mit Sanktionen belegt werden.
Die Türkei ist viertgrößter Wirtschafts- und Handelspartner Usbekistans
Das usbekisch-russische Verhältnis ist eigentlich freundlich. Angesichts der traditionellen historischen Beziehungen ist es bemerkenswert, dass Usbekistan die neuen Donbass-Volksrepubliken nicht anerkannt und sich bei der UN-Abstimmung über den russischen Angriff der Stimme enthalten hat. In Usbekistan beobachtet man mit Sorge die immer neuen Sanktionen des Westens. Sie bereiten all jenen enorme Probleme, die mit Russland Geschäfte machen. Daher will sich Taschkent breiter aufstellen und vermeidet, sich im geopolitischen Poker auf eine Seite zu schlagen. „Usbekistan versucht, eine multivektorale Außenpolitik zu betreiben: Das Land will nach allen Seiten offen sein und mit vielen Ländern zusammenarbeiten“, analysiert Eduard Kinsbruner, Regionaldirektor Zentralasien des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.
Usbekistan ist sich seiner günstigen geografischen Lage bewusst und kooperiert mit unterschiedlichsten Partnern. Usbekistan sieht sich als Erbe der alten Seidenstraße, als eine Brücke zwischen dem Osten und dem Westen. Logistik und Transport spielen eine wichtige Rolle. Besonders die Türkei profitiert von der neuen Ausrichtung Usbekistans. Beide Staaten teilen viele kulturelle und religiöse Gemeinsamkeiten. Ein erster Güterzug, der Waren von der westlichen Mittelmeerküste der Türkei ins Herz Usbekistans beförderte, erreichte erst vor wenigen Tagen sein Ziel in Taschkent.
Die Türkei hat kürzlich ein Militärabkommen mit Usbekistan geschlossen. Die Annäherung zwischen Usbekistan und der Türkei begann mit der Übernahme der Regierung durch Präsident Shavkat Mirziyoyev vor sechs Jahren. Die Türkei ist nach Russland, China und Kasachstan viertgrößter Wirtschafts- und Handelspartner Usbekistans. Das Land trat 2019 der Organisation der Turk-Staaten bei. Doch auch in Richtung Osten gibt es starke Bande: Mit China verbindet Usbekistan das Projekt der Neuen Seidenstraße, die „Belt and Road Initiative“ (BRI) – ein milliardenschweres Programm aus Peking, das China die Märkte in Europa erschließen soll.
Französische Investitionen in Usbekistan?
Ein Abdriften Usbekistans nach China will der Westen verhindern und wirbt mit seinen eigenen Projekten. Eduard Kinsbruner sagte dieser Zeitung: „Es herrscht ein gesunder Wettbewerb um die Märkte in Usbekistan.“ Das Land sei „für Deutschland und die EU ein wichtiger Partner im Connectivity-Projekt, das sich ja als Alternative zur BRI versteht“.
Die einzelnen europäischen Staaten geben einander in Taschkent jedenfalls die Türklinke in die Hand. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán traf im November in Samarkand den usbekischen Präsidenten und betonte, dass im „Zeitalter von Krieg und Sanktionen“ einzelne Staaten enger zusammenarbeiten müssten. Ungarn, obwohl prononciert christlich, hat in der muslimisch dominierten Organisation der Turk-Staaten Beobachterstatus.
Ende November besuchte Präsident Mirziyoyev den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron in Paris und warb für französische Investitionen in Usbekistan. Das Land sei stabil und berechenbar, so die Botschaft an die französischen Top-Unternehmen, die alle zum Treffen mit den Usbeken erschienen waren. Auch der französische Nuklearkonzern Orano sprach mit der Delegation aus Zentralasien. Ob die Franzosen nun Chancen haben, Russland aus dem usbekischen Atomprogramm zu verdrängen, wurde nicht bekannt.
Erkennbare Verbesserungen in puncto Menschenrechte
Bei so viel diplomatischer Betriebsamkeit will auch Deutschland nicht hintanstehen. Erst kürzliche besuchte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Usbekistan – mit eindrucksvollem Gefolge, wie man in Taschkent aufmerksam registrierte. Man habe es als Zeichen der Wertschätzung empfunden, dass Bundesaußenministerin Baerbock mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach Usbekistan gereist sei, ist aus Taschkent zu hören. Usbekistan sei „für viele deutsche Unternehmen ein wichtiger Markt, weil sie nach dem Rückzug aus Russland nach Alternativen suchen“, sagt Ostausschuss-Mann Kinsbruner.
Er sieht Deutschland auf einem guten Weg: „Die deutschen Maschinen- und Anlagebauer tragen mit ihrem Know-how zur Modernisierung der Wirtschaft bei. Wir werden in diesem Jahr eine Steigerung der Exporte und der Importe um rund 90 Prozent verzeichnen.“ Usbekistan habe „unter Präsident Mirziyoyev einen entschlossenen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reformkurs eingeschlagen“, sagt Kinsbruner. Dieser Kurs habe auch wirtschaftlichen Fortschritt gebracht. Die vorsichtige Öffnung habe „dazu geführt, dass viele Reformen nicht als Schock gekommen sind, sondern nachhaltig wirken“. Die Erträge „kommen auch bei den Menschen an, die Privatwirtschaft floriert“, so der Außenhandelsexperte.
Die Rückmeldungen, die der Ostausschuss von deutschen Unternehmen über ihre Projekte in Usbekistan erhalte, seien „überwiegend positiv“. Dies hat auch damit zu tun, dass Taschkent im Bereich der Menschenrechte erkennbare Verbesserungen vorweisen kann. So reagierte die Regierung auf einen internationalen Boykott gegen Textilprodukte aus Usbekistan. Kinsbruner: „Das Ende des Boykotts durch die Cotton Campaign zeigt, dass Usbekistan im Bereich der Textilindustrie mit Zwangsarbeit und Kinderarbeit wirklich Schluss gemacht hat. Das ist ein großer Erfolg.“ Usbekistan könne allerdings „sicher noch mehr gegen die Korruption tun, das Land liegt im Transparency Index weit hinten“. Deutsche Unternehmen könnten „hier helfen, weil sie selbst Compliance-Regeln stark etabliert haben“, meint Kinsbruner.
Das Ziel ist ein Abkommen auf Regierungsebene zur Arbeitsmigration
Die Regierung in Taschkent sieht auch die Möglichkeit der Zuwanderung von Fachkräften aus Usbekistan nach Deutschland. Das Land hat 35 Millionen Einwohner, die Hälfte davon ist unter 25 Jahre alt. Usbekistan hat mit der dualen Ausbildung nach deutschem Vorbild begonnen. Das Ziel ist ein Abkommen auf Regierungsebene zur Arbeitsmigration. Solche Abkommen gibt es bereits mit Südkorea oder Russland. 400.000 Schüler und Studenten lernen in Usbekistan Deutsch. Sie könnten eines Tages als Azubis nach Deutschland kommen – wie es jetzt schon viele tun, etwa in Straßenbauunternehmen oder in der Pflege, wo Hunderte junge Usbeken in Deutschland arbeiten.
Wegen des dynamischen Umfeldes hofft auch der russisch-usbekische Milliardär Alischer Usmanow auf Unterstützung aus Deutschland. Usmanow ist auf der Sanktionsliste der EU gelandet, weil er angeblich ein Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin sein soll. Wirtschaftstreibende in Deutschland beschreiben Usmanow als einen „wichtigen Player in der usbekischen Wirtschaft“.
Mit seiner USM-Holding ist Usmanow in den Bereichen Metall, Minen, Technologie und Medien engagiert. Er hat zahlreiche Auslandsinvestitionen aus dem Westen nach Usbekistan geholt. Er unterstützt als Philanthrop auch deutsche Institutionen, wie etwa die Fraunhofer-Gesellschaft, Wissenschaftler in den Bereichen Urologie und Augenheilkunde, den für seine Integration von Behindertensportlern bekannten Fechtclub Tauberbischofsheim oder die Staatskapelle Dresden. Usmanow bestreitet alle Vorwürfe und versucht, die Behörden über Vermittler von der Haltlosigkeit der Anschuldigungen zu überzeugen.
So schrieb der usbekische Premierminister Abdulla Aripov einen Brief an Olaf Scholz, in dem der deutsche Bundeskanzler gebeten wird, sich für die Streichung Usmanows von der Sanktionsliste einzusetzen. Auch der Ostausschuss machte sich für den Unternehmer stark. In einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vom 9. August 2022, der der Berliner Zeitung vorliegt, schrieben Manfred Grundke und Michael Harms, Usmanow sei ein „Brückenbauer“, der sich „seit Jahren spürbar für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Kasachstan und Usbekistan einerseits und Deutschland andererseits einsetzt“. Es wäre „sehr bedauerlich, wenn die von beiden Seiten erkannten Potentiale nicht von uns Deutschen, sondern z.B. von unseren chinesischen Wettbewerbern – aber auch nicht zu vergessen, anderen EU-Partnerländern gehoben würden“.
Die Ostausschuss-Spitze bittet den Wirtschaftsminister „um Unterstützung der ,Brückenbauer‘ beim Ausbau dieser Rohmaterial-Partnerschaft“. Eine Antwort von Habeck ist dem Vernehmen nach bis heute nicht erfolgt. Im Umfeld des Ostausschusses ist man heute nicht mehr besonders glücklich über die Solidaritätsadresse für Usmanow. Diese sei vor der spektakulären Hausdurchsuchung des Usmanow-Anwesens am Tegernsee verfasst worden. Heute würde man so einen Brief wohl nicht mehr schreiben, heißt es hinter vorgehaltener Hand aus Kreisen der deutschen Wirtschaft. Usmanow wird dem Vernehmen nach in seinem Kampf um Rehabilitierung von seiner Regierung juristisch unterstützt.









