Food

Der Weinverein in Berlin: So günstig – und so gute Qualität!

Tomasz Dorniak betreibt den Weinverein. Ein Ort zum Verlieben, mit sehr gutem Essen und tollem Wein. Wie kriegt man so hohe Qualität zu diesen fairen Preisen hin? Ein Besuch.

Flammkuchen, Wurst- und Käseteller: die perfekte Kombi für Wein. Ein Bild aus dem Weinverein Kreuzberg.
Flammkuchen, Wurst- und Käseteller: die perfekte Kombi für Wein. Ein Bild aus dem Weinverein Kreuzberg.Zoe Spawton

Ein hervorragendes Restaurant in Berlin zu finden, mit moderaten Preisen und exzellenter Qualität, das auch noch gemütlich ist, wird immer schwieriger. Inflation, steigende Mietkosten, Preiserhöhungen machen es den Gastronomen schwer, das Versprechen Berlins aus den 2000er-Jahren zu halten, wonach ein fantastischer Kneipen- oder Restaurantabend nicht unbedingt teuer sein muss.

Ein Mann jedoch hält das Versprechen. Auch heute noch, selbst in Krisenzeiten. Er heißt Tomasz Dorniak, ist 37 Jahre alt und führt in Kreuzberg den Weinverein, gemütlich gelegen in der Nähe des Chamissoplatzes im Bergmannkiez, wo man sich mit Blick auf Kopfsteinpflaster, Wasserturm und preußische Laternen in die Vergangenheit träumen kann (Weinverein am Berg, Fidicinstraße 38). Vom Trubel der Bergmannstraße merkt man nichts. Und das Beste (das ist auch der Grund, warum man diesen Laden einfach lieben muss): Dorniak bietet auf seiner Wein- und Speisekarte unfassbar hohe Qualität zu günstigen Preisen an.

Auf dem Weingut Stallmann-Hiestand werden faire Löhne gezahlt

Wir treffen den 37-Jährigen an einem grauen Novembermorgen, um zu erfahren, wie ein Gastronom im Jahr 2022 so etwas schaffen kann. Dorniak – ein agiler, sympathischer Mensch, der seinen Job spürbar als Leidenschaft begreift – hat eine Mission. Er zeigt sich renitent gegenüber dem Ausverkauf der Stadt. Er will dem Durchschnittsmenschen mit schmalem Portemonnaie einen Ort des Glücks und der Geselligkeit bieten. „Wir sind die Sozialisten unter den Weinbars“, sagt Dorniak schmunzelnd, während wir von seiner Wohnung am Südkreuz Richtung Weinverein in Kreuzberg laufen. „Ich finde viele Weinbars zu teuer, zu elitär. Bei mir geht es um das Soziale. Deswegen habe ich meinen Laden auch ‚Weinverein‘ genannt. Ein Verein ist ein Zusammenschluss von Liebhabern in der Nachbarschaft. Diese Idee spricht mich an. Genau so will ich leben.“

Tomasz Dorniak, der Besitzer des Weinvereins Kreuzberg.
Tomasz Dorniak, der Besitzer des Weinvereins Kreuzberg.Zoe Spawton

Das Wichtigste auf der Karte ist der Wein. Die Leidenschaft für Weine hat Dorniak in seiner Heimat in Rheinhessen entdeckt. In Mainz hat er sein Abitur gemacht, im Jahr 2005. Dort hat er auch die Winzerfamilie kennengelernt, die das Weingut Stallmann-Hiestand in Uelversheim betreibt. Bei unzähligen Besuchen lernte Dorniak, der sich damals schon (im Herzen) als Sozialist fühlte, das Wissen um Wein kennen und auch die Überzeugung, dass man Wein politisch betrachten muss.

Er freundete sich mit den Winzern Nora und Christoph Hiestand vom Weingut Stallmann-Hiestand an, die wie Dorniak bis heute in ihrer Arbeit das Soziale in den Mittelpunkt stellen. „Auf dem Weingut werden faire Löhne gezahlt. Es arbeiten dort auch Menschen mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung. Der Betrieb lebt echte Inklusion. Es geht nicht nur um Profit, sondern auch um Fairness. Die Weine sind relativ günstig – und schmecken großartig.“ Das will Dorniak unterstützen. Daher bietet er fast ausschließlich Weine des Weinguts Stallmann-Hiestand auf seiner Karte an. Weil es keine Zwischenhändler gebe, könne er faire Preise garantieren. Alle profitieren. Die Gäste, die Winzer, die Mitarbeiter, er.

Die Tür in den Weinverein Kreuzberg.
Die Tür in den Weinverein Kreuzberg.Zoe Spawton

Berlin hat durchaus eine Weintradition

Auf der Karte im Weinverein findet man eine wunderbare Auswahl. Fünf verschiedene Rieslinge (die Literflasche ab 27,50 Euro, das Glas ab 3,75 Euro), Weißburgunder, Grauburgunder, Spätburgunder (die Flasche ab 28 Euro). Rosé und Secco (28 Euro die Flasche), Rotweine wie Dornfelder, Spätburgunder und Frühburgunder (ab 26 Euro die Flasche). Außerdem auf der Karte: die eigens für den Weinverein kreierten Weine Hulla-Hupp und Roteruh, Obstbrände und Geister. Dann natürlich Schorlen und Biere.

Für den Außer-Haus-Verkauf bietet Tomasz Dorniak die Weine mit nur etwa einem Euro Aufschlag gegenüber dem Winzerpreis an. Schon ab sieben Euro bekommt man fantastische Wein „to go“. Der Gastronom gerät schnell in Rage, wenn er über „Schickimicki-Weinbars“ in Berlin-Mitte und übertrieben hohe Preise spricht, die er in vielen Fällen für Abzocke hält. „Ich kenne mich mit Wein ganz gut aus. Es wird unglaublich viel Schindluder und Etikettenschwindel betrieben.“

Der Innenraum des Weinvereins Kreuzberg.
Der Innenraum des Weinvereins Kreuzberg.Zoe Spawton

Er weiß, dass sich Berlin verändert. Dabei hat er sich persönlich zum Ziel gesetzt, den ursprünglichen Charakter der Stadt zu verteidigen, als Berlin noch ein Anziehungspunkt für Kreative und Renitente war, für Menschen mit wenig Geld und vielen Ideen. Diesen Menschen will er einen Rückzugsort mit Ambiente und Service bieten. Zudem geht es um Geschichte. Tomasz Dorniak erinnert daran, dass Berlin in der Weimarer Republik durchaus über eine echte Weinkultur verfügte. Historische Fotos von alten Berliner Weinstuben in seinem Kreuzberger Weinverein erinnern daran. Damals war Wein ein Alltagsgetränk, kein Luxusgut. Die Qualität war vorausgesetzt.

„Nur mit dem Wein erwirtschafte ich Gewinne“

Während mir Dorniak die Abzocke-Methoden in der Weinbranche erklärt, und wie man Menschen mit Wein über den Tisch ziehen kann, kommen wir an der Genz-OHG-Fleischerei (Manfred-von-Richthofen-Straße 4) in Tempelhof vorbei, die auch auf Tierwohl achtet. Dorniak kennt die Mitarbeiter dort, grüßt freundlich und erzählt, dass es hier mitunter die beste Fleischwurst in der Stadt gibt. Hier besorgt der Gastronom seine Wurstwaren.

Die französischen Käsesorten, die man auf der Speisekarte findet, kommen wiederum aus dem Feinkostladen „Frischeparadies“, die Salamis importiert Florian Schneider vom „Le Flo“ aus dem Languedoc. Der Teig für die elsässischen Flammkuchen wird original von einem Slow-Food-Produzenten aus Karlsruhe geliefert, der Stremellachs aus einer kleinen Tempelhofer Räucherei besorgt, das köstliche französische Landbrot stammt vom Ausbildungsbetrieb „Bäcker Mann“ aus Friedenau. „Mit dem Essen verdiene ich kein Geld“, gesteht Tomasz Dorniak. „Doch ich will, dass alles gut schmeckt.“ Nur mit dem Ausschank von Wein erwirtschafte er Gewinne.

Der Wein vom Weingut Stallmann-Hiestand.
Der Wein vom Weingut Stallmann-Hiestand.Zoe Spawton

Eine besondere Gemütlichkeit und eine entspannte Atmosphäre

Als wir im Weinverein in Kreuzberg ankommen, begrüßt uns Dorniaks Mutter. Sie ist Schlesierin und mit ihrem Sohn in den 1980er-Jahren aus Gliwice (Gleiwitz) nach Deutschland gezogen. Heute hat sie sich bereit erklärt, mit ihrem Mann dem Sohn beim Winterputz zu helfen. Das Polnische hat den 37-Jährigen geprägt. Der Gastronom wuchs im Westen Deutschlands auf, beschäftigte sich erst als Teenager mit seinen polnischen Wurzeln. Dafür umso intensiver. Er lernte die Sprache, befasste sich mit der Kultur und entschloss sich nach seinem Umzug nach Berlin im Jahr 2005 zu einem Studium der Polonistik und Politik in Potsdam. Danach wechselte er ins Fach „Osteuropastudien“ an die Freien Universität Berlin. Den Weinverein gründete er 2015. Die erste Filiale eröffnete er in Schöneberg auf der Roten Insel, den „Weinverein am Berg“ in Kreuzberg im Jahr 2018.

Kellnerin Selma vom Weinverein Kreuzberg serviert Flammkuchen.
Kellnerin Selma vom Weinverein Kreuzberg serviert Flammkuchen.Zoe Spawton

Der Kreuzberger Ableger an der Ecke Fidicin- und Kopischstraße ist größer als der Laden in Schöneberg. Selbst besenrein und verschlossen strahlt er aber eine besondere Gemütlichkeit aus, eine Intimität, die etwas Magisch-Anziehendes hat. Alte Holztische stehen an roten Wänden. Kerzen beleuchten die Oberflächen. Man sieht Kunst aus der Gründerzeit und Zeichnungen von Dorniaks Frau Teresa Wiesehöfer. Am Ende des Raumes steht ein Regal mit vielen Flaschen vom Weingut Stallmann-Hiestand. Rechts daneben befindet sich ein weiterer Saal, der Platz bietet für größere Gruppen. „Wir organisieren auch Weihnachtsfeiern. Und es gibt noch freie Termine im Dezember“, sagt Dorniak.

Kunst von Teresa Wiesehöfer, der Frau von Tomasz Dorniak vom Weinverein Kreuzberg.
Kunst von Teresa Wiesehöfer, der Frau von Tomasz Dorniak vom Weinverein Kreuzberg.Zoe Spawton

Wenn der Wein fließt, kann es spät werden und emotional

Wenn er über den Alltag als Gastronom spricht, kommt der Pole schnell ins Schwärmen. Er liebt es, neue Menschen kennenzulernen, sich mit seinen Gästen zu unterhalten, Kiezgestalten zu treffen und übers Leben zu philosophieren. „Ich möchte, dass die Leute bei mir etwas erleben. Wenn es voll wird, setze ich neue Gäste an bereits belegte Tische. So kommen die Menschen miteinander ins Gespräch.“ In Mainz würde man dies in Weinstuben ebenso praktizieren. Die Strategie geht auf. Es seien schon Partnerschaften im Weinverein entstanden, intensive Freundschaften, ja sogar Ehen. Wenn der Wein fließt, kann es spät werden. Und eben auch emotional.

Tomasz Dorniak trinkt Wein.
Tomasz Dorniak trinkt Wein.Zoe Spawton

Die Speisekarte passt perfekt zur Atmosphäre und zum hervorragenden Wein. Ein Klassiker im Weinverein ist das „Gnadenbrot für zwei“: feinster Käse, Fleisch- und Leberwurst, Rohpolnische (eine luftgetrocknete Salami) und Bergschinken, serviert auf backfrischem Brot. Dazu kommen Obst, Avocado und Nüsse. Das Gnadenbrot sei eine Anspielung auf das sogenannte „Restaurationsbrot“, eine typisch-altberlinische Kneipenspeise.

Die anderen Gerichte – wie etwa die umwerfenden Flammkuchen – sind ebenso geschmacklich hervorragend. Die Karte ist einfach im Konzept, aber die Produkte von Spitzenqualität. Und so entsteht der Eindruck, man würde unter Freunden speisen, in einer Gastwirtschaft, wo die Zeiten im besten Sinne stehen geblieben sind. Man könnte es auch ein wenig verkitscht mit Goethe sagen, bekanntermaßen einem großen Freund des Weines, der täglich eine Flasche geköpft haben soll: Im Verein bin ich Mensch, im Verein darf ich’s sein.

Weinverein Rote Insel (Schöneberg), Leuthener Straße 5, 10829 Berlin, 030/64438252, täglich 17 bis 24 Uhr.

Weinverein am Berg (Kreuzberg), Fidicinstraße 38, 10965 Berlin, 030/28430494, wie oben, sonntags Ruhetag.

E-Mail: info@weinverein.berlin

Internet: https://weinverein.berlin/

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de