Serie „Ab wann bin ich arm?“

Berliner „Rote Rosen“-Star Ideal Kanal: „Abends zünde ich Kerzen an, um Strom zu sparen“

Wir wollen offen darüber reden: Wer ist arm und wer ist reich? Dazu gewähren Berliner Einblicke in ihre persönlichen Verhältnisse. Die Serie „Ab wann bin ich arm?“, Teil 6.

Ideal Kanal spielt in der ARD-Telenovela „<a href="https://www.berliner-zeitung.de/news/wegen-corona-produktionsstopp-bei-rote-rosen-li.153746">Rote Rosen</a>“ die Polizistin Dilay Kilic
Ideal Kanal spielt in der ARD-Telenovela „Rote Rosen“ die Polizistin Dilay KilicFoto: Emmanuele Contini für Berliner Zeitung. Grafik: Pajović/BLZ

Ideal Kanal trägt Gläser und Flaschen über den Hof, stellt sie auf einen Tresen neben eine Schale mit Zitronen und Gurken. Es ist Mittag, der Himmel bedeckt. Auf der Terrasse sitzen noch keine Gäste, nur drinnen arbeiten Menschen im Engelnest, einem Co-Working-Space in Schöneberg

„Ich habe hier etwa ein Jahr lang gejobbt, erst an der Bar und danach im Büro“, sagt Ideal Kanal, die Schauspielerin. Sie ist täglich als quirlige, aber gewissenhafte Polizistin Dilay Kilic in der ARD-Telenovela „Rote Rosen“ an der Seite von Renan Demirkan zu sehen. Gerade hat sie drehfrei, ist für zehn Tage in Spanien gewesen. Sie hat das Engelnest als Treffpunkt vorgeschlagen, setzt sich nun auf ein Sofa auf der Terrasse und nippt an ihrem Eistee.

Ideal Kanal ist Berlinerin. Sie ist 1991 in Neukölln geboren, aufgewachsen und lebt nach wie vor in dem Bezirk.  Dort hat sie die Grundschule besucht, später die Oberschule und machte dort den Realschulabschluss. 

„Es ist mein Kiez. Ich habe mich dort immer wohlgefühlt.“ Ihre Kindheit beschreibt sie als unbeschwert. Um sie herum waren Gleichgesinnte, arabische, türkische und albanische Einwanderer-Familien. Ihre Eltern waren aus der Türkei nach Deutschland gekommen. 

Ideal Kanal wuchs mit einem Gefühl von Gemeinschaft auf. Auch wenn man nicht so richtig Deutsch gesprochen habe, hätten sich alle verstanden und gegenseitig geholfen. Als in ihrer Kindheit drei Skinheads auf der Sonnenallee Hunde auf sie hetzten, hat sie sich Hilfe in einer türkischen Kneipe gesucht. Die Männer schlugen die Neonazis in die Flucht. Auch wenn sie irgendwann herauswollte, was anderes machen wollte: „Neukölln ist meine Heimat geblieben“, sagt sie.

Doch sie wusste früh, dass sie über den Bezirksrand schauen muss. „Ich war viel im Jugendzentrum Szenenwechsel, der einzigen Mädcheneinrichtung im Bezirk. Dort habe ich an Workshops teilgenommen und viel Unterstützung erfahren.“ So lernte sie, dass es andere Dinge im Leben gibt als nur die Sonnenallee, den Kiez, die Familie. Und lernte etwas, das sie auch allen in ihrem Umfeld gesagt hat: „Sprecht einfach Deutsch.“

Ideal Kanal (damals 28) beim Kellnern in einer Bar
Ideal Kanal (damals 28) beim Kellnern in einer BarArchiv Ideal Kanal

Sie räumt ein, dass sie anfangs scheu gewesen sei. „Ich war als Kind und Jugendliche sehr introvertiert und habe mich außerhalb meiner Familie nie so richtig getraut, irgendwas zu sagen. Es hing auch viel mit der Sprache zusammen.“ Ihr Glück sei es gewesen, dass viele sie ermunterten, einfach dranzubleiben. Das Abitur machte die Neuköllnerin dann in Kreuzberg. Danach studierte sie Turkologie, unter anderem in Istanbul. Da wusste sie schon, was sie vor allem eines werden wollte: Schauspielerin.

Ich habe immer gejobbt, seitdem ich 13 war.

Ideal Kanal

Allmählich kommt die Sonne hinter den Wolken hervor. Ideal Kanal erzählt weiter. „Du kannst in diesem Land alles verwirklichen, aber du darfst dich nicht verkriechen und abgrenzen“, sagt sie. Es bringt ihrer Meinung nach auch nichts, dass andere mit dem Finger beispielsweise auf den Problemkiez Neukölln zu zeigen. Sie frage sich dann, was denn wirklich dafür getan werde, um die Kinder besser auszubilden, sie zu integrieren und ihnen mehr Chancen zu gewähren. Heraus komme man aus dem Kreislauf nur, wenn man sich selbst helfe. „Trotzdem braucht jeder Unterstützung.“

Sie lehnt sich auf dem Engelnest-Sofa zurück. „Ich habe immer gejobbt, seitdem ich 13 war.“ Nach der Schule half sie der Mutter in der Bäckerei, später stand sie ab vier Uhr morgens auf dem Wochenmarkt, wo sie Hülsenfrüchte, Käse, Oliven und getrocknete Früchte verkaufte. Die Familie musste immer aufs Geld schauen, eingekauft wurde dort, wo es günstig war. „Teure Läden konnten sich meine Eltern nicht leisten, wir waren zu sechst zu Hause. Wir waren nicht reich, aber es hat uns auch an nichts gefehlt. Dafür bin ich meinen Eltern auch dankbar! Trotzdem wollte ich irgendwann unabhängig sein, und dafür musste ich mein eigenes Geld verdienen. So ticke ich bis heute.“ Sie lächelt, es wirkt kämpferisch.

Die Serie „Ab wann bin ich arm?“
Deutschland streitet über die Frage, wer arm und wer reich ist. Was ist ein gutes Einkommen? Darüber wurde kürzlich wegen der geplanten Elterngeldreform debattiert. Die 150.000 Euro zu versteuerndes Einkommen, bei denen der Bezug künftig gedeckelt werden soll, seien gar nicht so viel, argumentierten Betroffene. Doch die allermeisten Deutschen haben laut Statistik geringere Einkommen. Und viele haben seit Corona, dem Krieg in der Ukraine und den dadurch gestiegenen Lebenshaltungskosten noch weniger Geld zur Verfügung. Wir haben daher nachgefragt, wie Berliner und Berlinerinnen ihre finanzielle Lage sehen. Und was es für sie bedeutet, arm zu sein. Einige bleiben auf Wunsch anonym.
Wenn auch Sie uns Ihre Lage schildern möchten, schreiben Sie uns: Leser-blz@berlinerverlag.com

Die Schauspielerin hat zwei Schwestern und einen 30-jährigen Bruder, der Polizist ist. Als Ideal für „Rote Rosen“ engagiert wurde, fanden beide es lustig, dass sie ausgerechnet die Rolle der Polizistin Dilay Kilic spielen sollte. Und das als Deutsch-Türkin.

Ihre Familie, die sonst eher mit dem Kopf geschüttelt hatte über ihre Berufswahl, könne seitdem ihren Stolz kaum verbergen, sagt Ideal Kanal. „Meine Eltern hatten immer die Sorge, dass ich in dem Beruf nichts verdiene. Und es gibt ja auch Durststrecken.“ Doch aus allen Kindern in der Familie sei etwas geworden. 

Die Schauspielerin Ideal Kanal im Co-Working-Space Engelnest
Die Schauspielerin Ideal Kanal im Co-Working-Space EngelnestEmmanuele Contini

Am Set von „Rote Rosen“ in Lüneburg arbeitet sie seit dem Jahr 2022. Es ist inzwischen die 21. Staffel der Serie, die täglich montags bis freitags um 14.10 Uhr zu sehen ist, bald beginnt Staffel 22. Das Format gehört zu den meistgeschauten Telenovelas im deutschen Fernsehen, hat rund 1,5 Millionen Zuschauer. 2006 ging die Serie, in der es um Liebe, Intrigen und Macht geht, an den Start, Schauspieler und Schauspielerinnen kamen, blieben oder verließen die Serie wieder. Eine Produktion wie „Rote Rosen“ ist ein Garant dafür, wenigstens eine Zeit lang verlässlich Geld zu verdienen.

„Das Gehalt eines Schauspielers ist nur selten regelmäßig“, sagt Ideal Kanal. Es schwankt – zwischen sehr hohen Gehältern und einem eher kläglichen Lohn. Grundsätzlich erhalten Darsteller am Theater laut Tarifvertrag eine Gage von mindestens 2000 Euro brutto monatlich. Für Film- und Fernsehproduktionen liegt die Untergrenze der Gage laut Bundesverband Schauspiel bei 850 Euro pro Drehtag.

Allerdings: Nicht jeder Tag ist auch ein Drehtag. Gagen von 100.000 Euro brutto jährlich sowie feste Engagements sind eher Ausnahmefälle. Ungefähr 70 Prozent der Schauspielerinnen und Schauspieler in Deutschland verdienen unter 30.000 Euro im Jahr, 60 Prozent sogar unter 20.000. Nur vier Prozent würden mehr als 100.000 Euro verdienen, so der Bundesverband Schauspiel. Für Darsteller in Serien gibt es ein festes Gehalt, das kann auch schon mal fünfstellig sein, je nach Größe der Rolle. Wenn eine Produktion beendet ist oder pausiert, müssen sich die Darsteller arbeitslos melden. Von den insgesamt 16.000 Schauspielerinnen und Schauspielern in Deutschland arbeitet daher etwa nur die Hälfte regelmäßig in dem Job.

Schauspieler verdienen mal mehr, mal weniger

Ideal Kanal verdient mal mehr, mal weniger. Vor ihrer Zeit bei den „Rosen“ waren es mal 1000 Euro im Monat, mal aber auch das Dreifache. 1800 Euro braucht sie mindestens zum Leben, rechnet sie vor. Momentan muss sie keine Nebenjobs annehmen, sie ist in Lüneburg den ganzen Tag im Studio. Doch bevor sie das Engagement bekam, hat sie in Bars und Clubs gekellnert. Oder sie heuerte als Komparsin an, übernahm Rollen in Low-Budget-Produktionen.

Ideal Kanal (r.) als Polizistin Dilay in der ARD-Telenovela „Rote Rosen“ – gemeinsam mit den Serienfiguren Tammos (Tim Valerian Alberti, l.), Ben (Hakim Michael Meziani, 2.v.l), Werner (Dirk Hartkopf, M.) und Polizist (Henning Juhre)
Ideal Kanal (r.) als Polizistin Dilay in der ARD-Telenovela „Rote Rosen“ – gemeinsam mit den Serienfiguren Tammos (Tim Valerian Alberti, l.), Ben (Hakim Michael Meziani, 2.v.l), Werner (Dirk Hartkopf, M.) und Polizist (Henning Juhre)Nicole Manthey/ARD

Und sie besuchte Weiterbildungen, um vielleicht ins Kulturmanagement einzusteigen, organisierte Partys und Feste, lernte alles über Social Media, arbeitete gleichzeitig zweimal die Woche bei einem türkischen Radiosender. „Manchmal habe ich nur drei Stunden Schlaf bekommen. Aber ich habe mir immer ein zweites Standbein erhalten und falle daher nicht in ein Loch, wenn es mit dem Schauspiel nicht mehr weitergeht. Was ich natürlich sehr bedauern würde“, sagt sie.

In der Corona-Zeit, als für viele Darsteller gar nichts mehr ging, jobbte sie wie viele andere Schauspieler oder Beschäftigte aus der Gastronomie in Testzentren und im Impfzentrum Treptow-Köpenick. „Ich habe in der Zeit sehr viele Kolleginnen und Kollegen kennengelernt“, erzählt sie.

Manche hätten nach der Pandemie den Beruf ganz aufgegeben. „Ich bin sehr dankbar, gerade ein Fest-Engagement zu haben. Wie viele Schauspieler sind schon froh, wenn sie wenigstens ein paar Drehtage im Jahr haben? Ich kann derzeit jeden Tag von Montag bis Freitag drehen.“ Sie fährt fort: „In unserem Beruf darf man nicht sensibel sein, man muss damit leben, dass es immer wieder Krisen gibt, und man sollte auch gewappnet sein.“ Sie selbst sei zäh.

Vor zwei Jahren mietete sie eine eigene Wohnung, bis dahin hat sie bei ihren Eltern gelebt, weil sie es sich nicht leisten konnte auszuziehen. Es ist ein Zimmer in Neukölln, sie zahlt um die 550 Euro Miete im Monat für 34 Quadratmeter. Im Schnitt kosten Apartments wie dieses in Berlin 640 Euro. „Ich hatte Glück.“ Für Lebensmittel gibt sie derzeit weniger aus, weil es eine Kantine am Set von „Rote Rosen“ gibt. Wenn sie am Wochenende daheim ist, zahlt sie schätzungsweise 100 Euro für Essen und andere Kleinigkeiten.

Vor meiner Tür erwischte ich vor kurzem eine Gang von Jungs, die Drogen verticken wollte. Ich habe sie verscheucht.

Ideal Kanal über ihren Bezirk Neukölln

„Ins Restaurant gehe ich inzwischen ganz selten, das ist viel zu teuer geworden.“ Außerdem koche sie sowieso am liebsten zu Hause. „Ich haushalte eben, ich weiß nicht, was in ein paar Jahren ist, muss daher auch in die Zukunft blicken“, sagt sie. Und sie spare an Strom- und Heizkosten. „Abends mache ich mir Kerzen an, um Strom zu sparen. Im Winter hülle ich mich in dicke Pullover. “

Sie sieht die wachsende Armut in der Stadt, gerade auch in Neukölln – die vielen Obdachlosen, die in den vergangenen Jahren dazugekommen sind, die Jugendlichen ohne Perspektive, viele wollen schnelles Geld machen, sei es mit Drogen oder anderen illegalen Geschäften. „Vor meiner Tür erwischte ich vor kurzem eine Gang von Jungs, die Drogen verticken wollte. Ich habe sie verscheucht. Und dann denke ich mir so: Wie krass das ist, auch im Vergleich zu anderen Städten.“ Sie nennt Lüneburg als Beispiel, wo „Rote Rosen“ gedreht wird. Eine Stadt im Wohlstand.

Und dann gebe es nach der letzten Silvesternacht, in der es in Neukölln die heftigen Krawalle gegeben hatte, solch einen Aufschrei. „Dabei geht das seit Jahren so, es ist nur immer totgeschwiegen worden. Und obwohl das Problem bekannt ist, haben sich die Zuständigen nie um Lösungen bemüht.“

Schauspielerin Ideal Kanal sagt, was für sie Luxus ist

Das Thema Armut und die Gefahr, am Existenzminimum leben zu müssen, beschäftigen sie. Ideal Kanal sagt, dass es heute eine schwierige Entscheidung sei, ob man eine Familie gründet – vor allem, wenn der Job so unsicher ist. „Ich für mich weiß, dass ich mit wenig klarkommen kann, das habe ich zu Hause gelernt, so bin ich erzogen. Doch viele sind nur noch in dem Teufelskreis gefangen, nichts zu haben.“

Sie sei demütig. „Ich kann mir zurzeit Dinge leisten, die ich mir früher nicht immer leisten konnte. Ich muss nicht nach einem Billigflug in den Urlaub suchen, sondern kann immerhin mal Linie buchen. Ich kann mir mal einen teureren Käse leisten.“ Oder ihre Familie besuchen und die Nichten und Neffen beschenken.

Außerdem unterstützt sie Kinder in der Türkei, die aus ärmlichen Familien kommen und sich die Bildungskosten nicht leisten können. Denn Bildung sei der einzige Weg aus der Armut, sagt Ideal Kanal. Sie ist froh, dass sie wenigstens ein klein wenig helfen kann. „Das ist für mich Luxus, mehr will ich gar nicht.“