Wahl des Regierenden Bürgermeisters

So wurde die Wahl von Kai Wegner zum Politik-Krimi

Eigentlich sollte die Wahl Kai Wegners zum Regierenden Bürgermeister von Berlin locker über die Bühne gehen. Doch daraus wurde nichts. Der Wahlkrimi im Abgeordnetenhaus. 

Kai Wegner wirft seinen Stimmzettel in die Wahlurne. Da sah er noch zuversichtlich aus.
Kai Wegner wirft seinen Stimmzettel in die Wahlurne. Da sah er noch zuversichtlich aus.Hannes P. Albert/dpa

Als am Nachmittag eine Besuchertruppe unten im Foyer des Berliner Abgeordnetenhauses eintrudelt, erwartet sie Hektik. Abgeordnete rennen telefonierend vorbei.

Berlins ehemalige Regierende Franziska Giffey, die eben zurückgetreten ist in der Hoffnung, gleich Wirtschaftssenatorin zu werden, steht etwas ratlos und mit nachdenklicher Miene am Treppenaufgang. Ein Besucher, der noch ansteht, um ins Parlament zu kommen,  bemerkt: „Hier ist ja richtig was los.“ 

Die Besucher kommen zu einer Zeit, in der es im Berliner Abgeordnetenhaus hoch hergeht. CDU und SPD hocken in Krisensitzungen zusammen. Es geht um nichts weniger als um die geplante große Koalition, darum, ob es diese nun geben wird oder nicht. Szenarien werden durchgespielt – bis hin zu Neuwahlen. Schwarze Schafe werden gesucht, die die Koalition verhindern wollen. „Das ist Berlin“, sagt ein Abgeordneter, der zu diesem Zeitpunkt allerdings noch die Hoffnung hat, dass alles gut geht.

Da ist Kai Wegner bereits in zwei Wahldurchgängen gescheitert. Dass genau das im ersten Durchgang geschieht, haben viele erwartet. Dass es auch im zweiten passiert allerdings nicht. Das ist kein Traumstart. Ein Abgeordneter sagt: „Die Koalitionsverhandlungen liefen auf Augenhöhe, doch das hier erschwert den Start sehr. “


Bildstrecke

Berlins neuer Kultursenator Chialo (CDU) schießt Selfies

Das Desaster beginnt am Donnerstag um 12 Uhr. Kai Wegner sitzt unten im Plenarsaal bei seiner CDU-Fraktion. Er wirkt zuversichtlich. Gleich soll er zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt werden; danach sollen die neuen Senatoren im Roten Rathaus ernannt werden. Diese sitzen bereits auf der Gästetribüne im Abgeordnetenhaus.

Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo (CDU), er trägt einen blauen Anzug, dazu Sneakers, schießt lachend Selfies mit seinen zukünftigen Kolleginnen Cansel Kiziltepe (SPD, Arbeit/Soziales) und Felor Badenberg (parteilos für CDU, Justiz). Die bereits abgelösten Senatoren und Senatorinnen haben sich ebenso eingefunden. Auch Eberhard Diepgen sitzt auf der Tribüne. Er war vor 22 Jahren der letzte CDU-Bürgermeister Berlins. Gleich soll ihn Kai Wegner beerben, der mit seiner Partei bei der Wiederwahl im Februar dieses Jahres die Mehrheit geholt hat. 

Doch daraus wird vorerst nichts. Gleich im ersten Wahlgang scheitert Wegner, ihm fehlen neun Stimmen. Ein Raunen geht durch den Saal. Viele haben damit gerechnet, dass es am Anfang nicht klappt. Nur nicht damit, dass Wegner so viele Stimmen fehlen.

Es gibt eine halbstündige Pause. Die SPD trommelt alle aus der Fraktion zu einer Krisensitzung zusammen. Fraktionschef Raed Saleh fragt streng, wer die Abtrünnigen gewesen sind. 32 Abgeordnete schütteln mit dem Kopf, zwei geben zu, mit Nein gestimmt zu haben. Alle, außer den zweien, geloben, Wegner nun ihre Stimme zu geben.

Doch der zweite Wahlgang endet dann ebenso in einem Debakel. Diesmal fehlt dem CDU-Politiker aus Spandau eine Stimme, er hat 79, doch er braucht 80 für eine Mehrheit. Vor allem unter den CDU-Abgeordneten gibt es jetzt lange Gesichter. Die Partei beantragt eine Pause von anderthalb Stunden. Diepgen steht auf und sinniert: „Das ist die Demokratie, was soll man machen.“ Er geht nach unten ins Foyer. 

SPD und CDU stecken die Köpfe zusammen und beratschlagen: Kai Wegner (CDU, M.) mit Raed Saleh (2.v.r), Vorsitzender der SPD Berlin, und Stefan Evers (r.), Generalsekretär der CDU Berlin. 
SPD und CDU stecken die Köpfe zusammen und beratschlagen: Kai Wegner (CDU, M.) mit Raed Saleh (2.v.r), Vorsitzender der SPD Berlin, und Stefan Evers (r.), Generalsekretär der CDU Berlin. Christophe Gateau/dpa

Krimi im Abgeordnetenhaus: Schuldzuweisungen zwischen CDU und SPD

Es ist ein Krimi, den niemand so erwartet hatte. Bei vielen liegen die Nerven blank, andere reagieren sarkastisch oder betroffen. Der Wahltag legt den Zustand offen, der erst einmal die neue Koalition bestimmen wird. Im Abgeordnetenhaus geht es jetzt um die Suche nach den Schuldigen, denen, die gegen den neuen Regierenden gestimmt haben.

Aus der SPD heißt es: Wir sind es nicht gewesen. Wegner solle in seinen eigenen Reihen suchen. Da hätten manche bestimmt noch eine Rechnung mit ihm offen. In der Partei wird dies zurückgewiesen. Es gehe um die politische Zukunft Berlins und darum, nach 22 Jahren endlich wieder als stärkste Partei regieren zu können. 

Die Schuldzuweisungen werden auch offen ausgetragen. „In der SPD gibt es offensichtlich viele, die die Wahl des Regierenden Bürgermeisters nutzen, um mit Franziska Giffey und Raed Saleh abzurechnen“, sagt der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak dem RND. „Das ist staatspolitisch unverantwortlich.“ Die SPD verliere so weiter an Glaubwürdigkeit. 

Der Berliner SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir hält dagegen, sagt: „Ich bin sehr sicher, dass es aus den Reihen der CDU ist. Die müssen ihre Reihen jetzt schließen. Ich hoffe jetzt, dass Herr Wegner seine Leute auf Reihe kriegt.“ Das sei nötig, um eine erneute Abgeordnetenhauswahl in Berlin zu verhindern. Bei der SPD seien zwei „Gegenakteure“ bekannt, die gegen Wegner stimmen wollten. Aber mehr seien es nicht.

Nichts scheint an diesem Tag geblieben von der „Vernunftehe“, wie Wegner vorher gesagt hatte, bei der es keine Eifersüchteleien geben dürfte. 

Und es werden Szenarien durchgespielt, was danach kommen könnte. Dass der bisherige Senat wieder kommissarisch seine Arbeit aufnehmen muss, wenn Wegner erneut im dritten Wahlgang scheitert. Der bisherige Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, kam auf SPD-Ticket) zuckt mit den Schultern: „Ich hatte die nächsten Tage eigentlich anders verplant, aber wenn es so sein sollte.“ Dann müsse er halt wieder in sein eben geräumtes Büro zurückziehen. 

Auch die Spekulationen um Neuwahlen, die nach Auflösung des Parlaments acht Wochen später stattfinden könnten, machen die Runde. Das passe doch zu Berlin, ätzt ein Abgeordneter von den Grünen, von denen sich einige gerade hinter verschlossenen Türen die Hände reiben dürften. Manche spekulieren darauf, dass Wegner nun doch mit der Ökopartei koaliert. Oder dass sich Fraktionschefin Bettina Jarasch selbst als Kandidatin aufstellen lasse.

Um 16.20 Uhr startet der dritte Urnengang, nachdem der Ältestenrat getagt und der Antrag der Grünen abgelehnt worden ist, die Wahl zu vertagen. Landtagspräsidentin Cornelia Seibeld muss zum dritten Mal alle Namen der Abgeordneten vorlesen, die inzwischen deutlich bedrückter in die Kabinen gehen und ihre Stimme abgeben.

Wegner hat sich kurz neben Torsten Schneider von der SPD gesetzt, plaudert mit dem parlamentarischen Geschäftsführer. Der Kandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters sieht nervös aus, während er sein Jackett zurechtzieht. Auch auf der Tribüne ist die Stimmung angespannt. Diepgen ist gar nicht mehr da. 

Hoffnung keimt bei der CDU auf. Jetzt ist es einfacher für Wegner, gewählt zu werden, weil die Hürde laut Landesverfassung niedriger ist: Im dritten Wahlgang ist gewählt, wer die meisten Stimmen erhält, unabhängig davon, ob er die absolute Mehrheit erreicht.

Mitglieder der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus beraten sich vor dem dritten Wahlgang. Sie teilen wenig später mit, Wegner gewählt zu haben. 
Mitglieder der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus beraten sich vor dem dritten Wahlgang. Sie teilen wenig später mit, Wegner gewählt zu haben. Christophe Gateau/dpa

Die AfD hat 17 Stimmen: Sind sie die Königsmacher?

Dann verkündet die AfD in einer Mitteilung, Wegner gewählt zu haben. Die Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker sagt: Man habe sich entschlossen, „Kai Wegner zur erforderlichen Mehrheit zu verhelfen“. Die Partei hat 17 Stimmen. Linke und Grüne stecken empört die Köpfe zusammen. Es ist jetzt schon klar, dass das für weitere Diskussionen sorgen wird. War die AfD Königsmacherin?

Am Schluss wird Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Er hat 86 Stimmen erhalten. Der 50-Jährige sagt, kaum hörbar, dass er die Wahl annehme. Ein Traumstart sieht anders aus. Und die frisch geschlossene Vernunftehe ist schwer angeschlagen.