Es ist eine Katastrophe, in ihrer dramatischen Dimension zu lange verkannt. In jedem Sommer sterben hierzulande Tausende Menschen an den Folgen extremer Temperaturen. 8173 waren es im vergangenen Jahr laut Statistik. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat am Freitag gesagt, er wolle die Zahl der Hitzetoten in diesem Jahr halbieren. Das Robert-Koch-Institut geht von 1500 Personen aus, die bereits von April bis Mitte Juli ums Leben kamen. Wie hoch die Dunkelziffer ausfällt, ist naturgemäß unklar.
Der Hitzetod ist ein stiller, einsamer Tod. Er trifft längst nicht nur Senioren oder chronisch Kranke, auch andere vulnerable Gruppen wie Schwangere geraten an die Grenzen der Belastbarkeit und tragischerweise manchmal darüber hinaus. Von allen Naturkatastrophen fordert Hitze europaweit mit einem Anteil von mehr als 90 Prozent die meisten Opfer.
Nur hartnäckige Ignoranten werden heutzutage noch die drastischen Folgen des Klimawandels für die Gesundheit und die daraus entstehenden Herausforderungen für das Gemeinwesen als ein griechisches, italienisches, spanisches Problem abtun: Auch in Deutschland nehmen Perioden mit Temperaturen jenseits der 30 Grad zu, der momentanen Wetterlage zum Trotz. Immer häufiger wird diese Marke geknackt, auch tropische Nächte nehmen zu.
Trotz der seit Jahren anhaltenden Tendenz hat es eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis ein nationaler Plan zum Schutz vor Hitze an den Start geht. Lauterbach orientiert sich nun am Beispiel Frankreichs. Deutschlands Nachbar verfügt seit 2004 über einen solchen Aktionsplan. Damals zogen die Franzosen ihre Lehren aus einer verheerenden Canicule ein Jahr zuvor, die rund 15.000 Opfer forderte.
Klimaschutz: Schlüsselrolle für Berlin?
In der Bundesrepublik starben seinerzeit etwa 7500 Menschen. Zu einem nachhaltigen Lerneffekt führte jener sogenannte Jahrhundertsommer nicht. Das ist für sich genommen bereits eine Katastrophe. Mehr als anderthalb Jahrzehnte vergingen, bis Hitze als lebensbedrohliche Gefahr nicht nur wahr-, sondern ernstgenommen wurde. Deutschland begreift langsam. Deutschland ist viel zu spät dran. Deutschland muss handeln.
Berlin kann dabei eine Schlüsselrolle übernehmen, die Stadt hat das zumindest vor. In dieser Woche wurde ein milliardenschweres Sondervermögen für den Klimaschutz beschlossen. In der Hauptstadt startete im vorigen Sommer zudem ein Pilotprojekt: Ein lernendes System soll entstehen, in das Städte und Gemeinden ihre Erfahrungen einspeisen, von denen im Idealfall wiederum alle profitieren.
Noch ist nicht einmal der Gesundheitssektor auf die extremen Temperaturen eingestellt. So ergab eine 2022 veröffentlichte Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts, dass 37 Prozent der Kliniken wenige und neun Prozent gar keine Maßnahmen zur Anpassung an Hitzeperioden umgesetzt haben. Klimaanlagen in Patientenzimmern sind weit davon entfernt, Standard zu sein. Die Defizite setzen sich in allen Lebensbereichen fort.
Oft sind es einfache Informationen, die besonders anfälligen Personen nicht zugänglich sind: Wie zum Beispiel Medikamente bei Hitze wirken, warum sie womöglich anders zu dosieren sind. Warum gerade ein empfindlicher Organismus neben ausreichend Wasser auch Elektrolyte braucht. Wo es klimatisierte Orte gibt, an denen man sich abkühlen kann. Simple, aber lebenswichtige Hilfestellungen. Der Hitzetod ist – wie gesagt – ein stiller Tod.
Alle involvierten Personen im Hitzeschutz miteinander zu verknüpfen, wird Zeit kosten. Kosten wird Hitzeschutz nicht zuletzt Geld, viel Geld. Wirkungsvolle Konzepte aber dürfen nicht an Sparzwängen scheitern. Kurzsichtige Kosten-Nutzen-Rechnungen führen zu einem langwierigen Prozedere und sind auch aus ökonomischer Perspektive schädlich. Längst ist klar, wohin Nichtstun führt.
Prognosen zufolge werden die Folgekosten des Klimawandels in Deutschland bis zum Jahr 2050 zwischen 290 und 900 Milliarden Euro betragen. Immer wieder verursachen Waldbrände erhebliche Schäden, besonders betroffen ist Brandenburg mit seinem Berliner Umland. Ernten fallen geringer aus, die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz geht zurück. Welches Unternehmen verfügt schon über einen Hitzeschutzplan?




