Energiewende

Wärmepumpe: Ein Klinikbett verbraucht so viel Energie wie vier Einfamilienhäuser

Krankenhäuser setzen auf Solar, Wind und Wasserstoff. Aber können sie Habecks Energiewende schaffen? Ein Besuch im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin-Wilmersdorf.

Michael Weidt, Bereichsleiter im Servicecenter für Bau- und Energie-Management, sitzt neben dem Blockheizkraftwerk des Martin-Luther-Krankenhauses in Berlin-Wilmersdorf.
Michael Weidt, Bereichsleiter im Servicecenter für Bau- und Energie-Management, sitzt neben dem Blockheizkraftwerk des Martin-Luther-Krankenhauses in Berlin-Wilmersdorf.Maximilian Gödecke für Berliner Zeitung am Wochenende

Hier schlägt das Herz, neun Meter tief unter der Erde. Es pumpt Energie in das Martin-Luther-Krankenhaus und Wärme. Es ist nicht zu überhören. Schon auf den Treppen hinab in den Keller empfängt es den Besucher mit einem immer lauter werdenden Brummen, dieses Blockheizkraftwerk, kurz BHKW, das Herz. „Ein gutes Geräusch“, sagt Michael Weidt. „Es signalisiert uns, dass die Anlage reibungslos läuft.“

Weidt ist für das Bau-und Energie-Management bei der Johannesstift-Diakonie verantwortlich, die das Krankenhaus im Berliner Ortsteil Schmargendorf betreibt. Und dass er an diesem heißen Nachmittag den Besuch in die noch heißere unterirdische Halle zum BHKW führt, hat mit Robert Habeck zu tun. Der Bundesminister für Wirtschaft und Umwelt von den Grünen will eine Energiewende in Deutschland, will sie rasch, weil der Ukraine-Krieg und der deutsche Boykott von russischem Gas und Öl das Tempo vorgeben. Und weil der Klimawandel nach schnellen, nachhaltigen Lösungen verlangt.

Habecks Ministerium hat Gesetze auf den Weg gebracht. Ein Heizungsgesetz zum Beispiel mit Konsequenzen für die Bürger in den kommenden Jahren. Auch diejenigen, die hier im Martin-Luther-Krankenhaus mit seinen 260 Betten behandelt werden. Die jährlich etwa 15.000 Patienten sollen von den Auswirkungen nichts merken; das ist die Aufgabe von Weidt und seinem Team.

Die begrünte Fassade des Martin-Luther-Krankenhauses.
Die begrünte Fassade des Martin-Luther-Krankenhauses.Maximilian Gödecke für Berliner Zeitung am Wochenende

Im Martin-Luther-Krankenhaus darf das BHKW vorerst weiter mit Gas betrieben werden. Ein Verbot plant Habeck nur für neu installierte Anlagen. Doch begleiten staatliche Förderprogramme die Gesetze. Eine sogenannte Energiepreisbremse soll zudem die finanzielle Belastung durch die Reform erträglich machen. „Deshalb haben wir momentan gute Voraussetzungen für eine Dekarbonisierung“, sagt Weidt. Für einen Betrieb also mit möglichst wenig Gas und Kohle.

HEIZUNGSSERIE: SIND DIE DEUTSCHEN BEREIT FÜR HABECKS WÄRMEWENDE?
Die Ampel-Regierung will mit einem neuen Gebäudeenergiegesetz ab 2024 Öl- und Gasheizungen allmählich – mit Ausnahmen – verbieten. Das Gesetz wird noch vor der Sommerpause verabschiedet werden, heißt es. Für viele Haushalte in Deutschland mit alten fossilen Heizungen wird das schon bald einen Umstieg auf Wärmepumpen, Fernwärme oder andere alternative Technologien bedeuten. Wie gut sind sie dafür gerüstet? Kritisch und verbraucherorientiert: Die Berliner Zeitung baut im Bereich der erneuerbaren Energien eine Expertise auf und spricht mit Hauseigentümern und anderen Betroffenen über die Heizungspläne der Bundesregierung, deren Auswirkungen auf die Haushalte und originelle Lösungen.

Bei der Johannesstift-Diakonie denken sie schon seit einiger Zeit darüber nach, wie sie Energie und Wärme ohne fossile Brennstoffe produzieren können. Inzwischen aber hat sich hoher wirtschaftlicher Druck aufgebaut. Die Kosten haben sich seit Kriegsausbruch verdreifacht, zwischenzeitlich sogar verfünffacht. Bei den 60 Einrichtungen, die das konfessionelle, evangelisch geprägte Unternehmen mit seinen mehr als 10.000 Mitarbeitern betreibt, schlägt sich das deutlich nieder.

Acht Krankenhäuser unterhält die Johannesstift-Diakonie allein in Berlin, dazu je eines in Wittenberg und Waren an der Müritz. Pflegeheime und Hospize gehören zum Portfolio, dazu Aktivitäten in der Behinderten-, der Jugend- und Familienhilfe, außerdem Ausbildungsschulen.

Das Blockheizkraftwerk des Martin-Luther-Krankenhauses im Detail.
Das Blockheizkraftwerk des Martin-Luther-Krankenhauses im Detail.Maximilian Gödecke für Berliner Zeitung am Wochenende

Insgesamt etwa 115 Gigawatt verschlingt der Betrieb in jedem Jahr an Strom, Gas und Fernwärme. Ein einziges Krankenhausbett, das besagt eine Faustregel, verbraucht durchschnittlich ungefähr so viel an Strom und Heizung wie vier Einfamilienhäuser. Nicht das Bett selbst natürlich, sondern die Versorgung der Patienten, die diese Betten belegen und deren Behandlung mal mehr, mal weniger Ressourcen erfordert. So gesehen entspricht der Hunger des Martin-Luther-Krankenhauses nach Energie dem eines ganzen Dorfes. Und diese goldgelbe Maschine in neun Metern Tiefe, die aussieht wie ein Schiffsdiesel, kann ihn stillen.

Das geschieht nach einem klassischen Prinzip: Gas treibt einen Motor an, der wiederum einen Generator antreibt. Wegen der Geräuschkulisse erklärt Weidt das mit Gesten, von seinem Mund kann man Wörter ablesen: „Gas.“ – „Leitungen.“ – „Heizkessel.“ Dass vor der Halle ein Spender mit gelbweißen Oropax hängt, hat seinen Grund. Dirk Nielsen jedenfalls besteht darauf, dass sich der Besuch Stöpsel in die Ohren steckt. Der Betriebsleiter Elektrotechnik des Krankenhauses begleitet den Rundgang, er sagt: „Sonst nimmt das Gehör Schaden.“

Dirk Nielsen, Betriebsleiter Elektrotechnik, prüft einige Rohre des Blockheizkraftwerks im Martin-Luther-Krankenhaus.
Dirk Nielsen, Betriebsleiter Elektrotechnik, prüft einige Rohre des Blockheizkraftwerks im Martin-Luther-Krankenhaus.Maximilian Gödecke für Berliner Zeitung am Wochenende

Bevor die Stöpsel den Lärm in ein Summen verwandeln, erklärt Nielsen draußen vor dem Eingang noch kurz die wichtigsten Fakten zur Maschine: Sie hat acht Zylinder, 17,5 Liter Hubraum. „400 Kilowatt erzeugt der Generator an elektrischer Leistung“, sagt Nielsen. Die Wärme der Abgase und des Kühlwassers speisen die Heizung der Klinik. „Der Wärmespeicher fasst 80.000 Liter, um Schwankungen im Bedarfsfall aufzufangen.“

Nielsen deutet auf Schautafeln, die im Gang zum BHKW hängen. Fotos zeigen das Aggregat im Jahr 1990, als es in Betrieb ging; dann 2006 und 2016, als es modernisiert wurde. Auf einer Tafel steht: „Es werden gegenüber getrennter Versorgung Wärme/Elektroenergie 912.000 kg/a CO₂-Imission vermieden.“ Kg/a steht für „Kohlendioxyd-Äquivalent“ – eine Größe, die beim Emissionshandel wichtig ist.

Bald werden die Zertifikate teurer

Ein Unternehmen, das Klimagase ausstößt, erhält von einer zentralen EU-Behörde Zertifikate. Übertrifft es die zugeteilte Menge, muss es solche Bescheinigungen zukaufen. Wer die Umwelt schont, spart. Das ist die Idee, die dahintersteckt. Die Johannesstift-Diakonie erwirbt pro Jahr insgesamt 147.000 dieser CO₂-Zertifikate. „Unser Ziel ist es“, sagt Michael Weidt, als er in einem ruhigen Büro der Klinik angekommen ist, „dieses Kapital herauszulösen, um unsere Investitionen in klimaneutrale Heizungsanlagen und in eine ökologisch verträgliche Herstellung von Energie voranzubringen.“ 2027 werden die Zertifikate teurer.

Die Johannesstift-Diakonie senkt also weiter ihren Verbrauch. Der ist bereits um etwa 30 Prozent innerhalb der zurückliegenden drei Jahrzehnte geschrumpft, die Weidt nun schon für das Unternehmen arbeitet. „Und das, obwohl wir heutzutage deutlich mehr Geräte zur Diagnostik und viel mehr Operationssäle betreiben, die Strom und Kühlung benötigen“, sagt er.

Wie alle deutschen Krankenhäuser finanziert die Schmargendorfer Klinik ihren Betrieb vor allem aus zwei Quellen. Das Geld, das die Krankenkassen über Fallpauschalen für die Behandlung der Patienten zahlen, soll auch ausschließlich dafür verwendet werden. Die Investitionen in Gebäude, Geräte, Ausstattung, die laut Gesetz das Land Berlin zu tragen hat, fallen im Vergleich zu der hohen Inflation und den drastisch gestiegenen Kosten spärlich aus. Es muss gehaushaltet werden. Auf eine Art, die nicht zulasten der Patienten geht. Weidt sagt: „Wir haben schließlich einen Versorgungsauftrag.“ Sie haben ihn 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr.

So lange ackert der Generator, tief unten in der Erde verborgen. Gut sichtbar sind die Sonnenkollektoren auf dem Dach der zentralen Küche der Johannesstift-Diakonie in Berlin. „Diese Photovoltaikanlage produziert so viel Energie, dass schon jetzt jede siebte der täglich 13.700 Mahlzeiten CO₂-neutral zubereitet werden kann“, sagt Weidt. Wenn sie demnächst die Kapelle des Martin-Luther-Krankenhauses sanieren, werden sie gleich alle angrenzenden Gebäude neu isolieren. Auch hierfür gibt es staatliche Fördermittel.

Anrufe wegen Wärmepumpen

Ein eigener Energieberater hilft dabei und bei all den anderen Vorhaben. „Wir wollen langfristige Lösungen und nicht irgendwelchen kurzlebigen Trends hinterherlaufen“, sagt Weidt. Sie sparen auch nicht um jeden Preis. „Da sind einem Krankenhaus klare Grenzen gesetzt. Patienten bei 19 Grad Zimmertemperatur zum Beispiel – das geht nicht.“

Andere Zwänge ergeben sich aus dem Dauerbetrieb einer Klinik. Weil Sonnenkollektoren nichts nützen, wenn keine Sonne scheint, müssen große Mengen der gewonnenen Energie gespeichert werden können. Weidt und Kollegen sondieren den Markt nach leistungsfähigen Batterien. Er sagt: „Wir prüfen insgesamt viele verschiedene Maßnahmen, die dazu beitragen, dass wir klimaneutral werden, möglichst vor der Frist, die sich das Land Berlin gesetzt hat.“ Das ist 2045.

Michael Weidt lehnt im Kellergang zum Blockheizkraftwerk.
Michael Weidt lehnt im Kellergang zum Blockheizkraftwerk.Maximilian Gödecke für Berliner Zeitung Wochenende

Vielleicht wird die Johannesstift-Diakonie dann das BHKW in ihrer Schmargendorfer Klinik mit grünem Wasserstoff betreiben. Ob es sich dafür umrüsten ließe, gehört zu den Fragen, auf die Weidt und seine Mitarbeiter Antworten suchen werden. Auch für das Evangelische Waldkrankenhaus Spandau denken sie über passende Lösungen nach. Es gehört ebenfalls zur Johannesstift-Diakonie und erhält demnächst einen Schulneubau, in dem künftiges Pflegepersonal unterrichtet werden soll. „Eine riesige Photovoltaikanlage wird Energie liefern“, sagt Weidt, „vielleicht installieren wir eine Wärmepumpe.“ An anderen Standorten kommen womöglich auch Windkraftanlagen in Betracht.

Seit über Habecks Heizungsgesetz diskutiert wird, rufen regelmäßig Handelsvertreter bei Weidt an, die Wärmepumpen zum Verkauf anbieten. Allerdings reagiert der Energieexperte zurückhaltend. „Wie sich die gesetzlichen Regelungen auswirken, ist ja noch gar nicht im Detail abzusehen“, sagt er.

Martin-Luther Krankenhaus von außen.
Martin-Luther Krankenhaus von außen.Maximilian Gödecke für Berliner Zeitung Wochenende

Kliniktür öffnet und schließt sich 5000 Mal am Tag

Fest steht: 65 Prozent der verbrauchten Energie muss aus erneuerbaren Quellen stammen, wenn eine Anlage ausgetauscht wird. Das BHKW des Martin-Luther-Krankenhauses ist noch nicht einmal steuerlich abgeschrieben, aus betriebswirtschaftlicher Sicht daher so gut wie neu. Es läuft und läuft und läuft.

Auch jetzt, als Michael Weidt den Besuch zum Ausgang begleitet. Eine automatische Schiebetür aus Glas öffnet sich. Er rechnet hoch, addiert Mitarbeiter und Patienten, die rein- und rausgehen, schätzt ab und kommt auf etwa 5000 Bewegungen der Tür – an jedem der 365 Tage im Jahr. „Eigentlich ein gutes Beispiel dafür, was ein Krankenhaus besonders macht.“ Auch bei Robert Habecks Energiewende. Dabei vor allem.