Argentinien steht vor einer Richtungsentscheidung. Denn bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag geht es in Buenos Aires auch um die wirtschaftliche Existenz des Landes. Allein beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist Argentinien mit 44 Milliarden US-Dollar verschuldet. Die Inflation in der zweitgrößten Volkswirtschaft Südamerikas galoppiert und liegt derzeit bei fast 130 Prozent. Die Lohnsteigerungen halten schon lange nicht mehr mit der Entwertung des Peso mit, das in US-Dollar umgerechnete monatliche Durchschnittseinkommen sinkt kontinuierlich.
China unterstützt Argentinien mit Milliardenkredit
Die Folge: Heute leben rund 40 Prozent der 46 Millionen Argentinier unterhalb der Armutsgrenze, Tendenz steigend. Vor diesem Hintergrund soll nun ein neuer Präsident gewählt werden. Während das Thema Verelendung großer Teile der Bevölkerung den Wahlkampf dominierte, geht es bei der ersten Wahlrunde am Sonntag jedoch auch um die künftige geopolitische Ausrichtung des Landes.
Nur wenige Tage vor dem Urnengang hat China dem südamerikanischen Staat unter die Arme gegriffen. „Wir haben mehr erreicht, als wir uns erhofft hatten“, zeigte sich der argentinische Präsident Alberto Fernández sichtlich zufrieden, als er am Mittwoch in Peking vor die Presse trat. Gerade hatte er bei einem Treffen am Rande des Forums zur Neuen Seidenstraße von seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping die Zusage bekommen, dass die Volksrepublik ihre Unterstützung für die Wirtschaft seines gebeutelten Landes ausweiten werde. Über einen Reserventausch der Zentralbanken beider Länder, ein sogenannter Swap, erhält Argentinien bis zu 47 Milliarden Yuan (rund sechs Milliarden Euro). Das entspricht einer Aufstockung bereits zuvor gemachter Zusagen um rund 1,4 Milliarden Euro.
Mit dem Swap kann Buenos Aires seine Importe aus China direkt in Yuan abwickeln und muss nicht auf seine knappen US-Dollar-Reserven zurückgreifen. Die internationalen Reserven des Landes sind in Folge der schwersten Wirtschaftskrise seit zwei Jahrzehnten auf ein gefährlich niedriges Niveau gesunken. Offiziell verfügt die Zentralbank laut einer am Dienstag veröffentlichten Bilanz derzeit über 24,99 Milliarden US-Dollar an Reserven. Experten schätzen jedoch, dass die Devisenreserven des Landes bei rund 7,6 Milliarden US-Dollar im negativen Bereich liegen.
Durch den Yuan-Kredit kann Argentinien seine Schulden beim IWF begleichen
In einer gemeinsamen Erklärung der Argentinischen und der Chinesischen Zentralbank heißt es, die nun freien Yuan könnten „für die Entwicklung des bilateralen Handels und die Stabilisierung der Finanzmärkte in Argentinien verwendet werden“. Der amtierende Wirtschaftsminister Sergio Massa erklärte am Mittwoch einem lokalen Radiosender, die jüngste Tranche könne argentinischen Unternehmen bei der Bezahlung von Importen helfen. Außerdem könnten durch sie Barmittel zur Stützung des immer weiter an Wert verlierenden Peso freigesetzt werden.
Zudem ergibt sich für Buenos Aires die Möglichkeit, wie schon im Juli Teile seiner Schulden beim IWF in Yuan zurückzuzahlen. Am Mittwoch erklärte Sergio Massa, amtierender Wirtschaftsminister des Landes und Präsidentschaftskandidat für das Regierungsbündnis, die in der kommenden Woche beim IWF fälligen Zinsen des Landes in Höhe von 2,6 Milliarden US-Dollar zahlen zu können. Dabei hob er die Rolle des Swaps mit China hervor, der „niemanden an der Fähigkeit Argentiniens zweifeln lässt, seine Fälligkeiten gegenüber dem IWF in den nächsten zwei Monaten zu begleichen“.
Seit der konservative Ex-Präsident Mauricio Macri im Jahr 2018 einen Rekordkredit in Höhe von 57 Milliarden US-Dollar beim IWF aufgenommen hat, läuft das Land einem gigantischen Schuldenberg hinterher. Im vergangenen Jahr handelte die noch amtierende Fernández-Regierung einen neuen Rückzahlungsplan mit dem IWF aus, mit dem sich das Land zumindest für kurze Zeit Luft verschaffen wollte. Statt bereits 2022, muss mit der Rückzahlung des Kredits demnach erst im Jahr 2026 begonnen werden. Bis dahin sind „nur“ die Zinszahlungen fällig, die allerdings bei rund acht Prozent im Jahr liegen.
Vorteil China: Yuan-Zinsen sind günstiger als US-Dollar-Kredite vom IWF
Besonders attraktiv ist der am Mittwoch geschlossene Deal für Argentinien, weil die Zinsen bei der Chinesischen Zentralbank mit weniger als der Hälfte deutlich unterhalb derer liegen, die beim IWF fällig werden. Das gefällt allerdings nicht allen: So veröffentlichte die Weltbank – wie der IWF eine Institution des sogenannten Bretton-Woods-Systems und von Washington dominiert – im März einen Bericht, der China vorwirft, die Swapgeschäfte mit Krisenländern gezielt einzusetzen, um Einfluss im internationalen Finanzsystem zu gewinnen. Das habe „Auswirkungen auf die internationale Finanz- und Währungsarchitektur, die immer multipolarer, weniger institutionalisiert und weniger transparent wird“.
Tatsächlich sehen Beobachter in chinesischen Swapgeschäften wie dem mit Argentinien Schritte in Richtung einer Dedollarisierung auf den globalen Finanzmärkten. Auch der Brics-Staatenbund (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) versucht im internen Zahlungsverkehr vermehrt, auf den US-Dollar zu verzichten. Ab Januar soll neben Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Äthiopien und Ägypten auch Argentinien zu der Brics-Gruppe gehören.
Es ist wahrscheinlich, dass Fernández mit dem Deal mit China auch Druck auf den IWF ausüben wollte. Im Sender Radio 10 erklärte der Präsident am Mittwoch: „Jedes Mal, wenn wir eine schwierige Zeit durchmachen, hat uns die Regierung von Xi Jinping unterstützt.“ Aussagen wie diese dürften sowohl an seine Landsleute wie auch an die Washingtoner Institution gerichtet sein, der signalisiert werden soll, dass Argentinien durchaus über Alternativen zum IWF verfügt. Bereits heute ist China nach Brasilien der zweitwichtigste Handelspartner des Landes. Im vergangenen Jahr betrug das Gesamthandelsvolumen mit der Volksrepublik 25,42 Milliarden US-Dollar. Die meisten argentinischen Importe kamen aus China, bei den Exporten stand das Land sogar an erster Stelle. Zudem finanziert Peking im Rahmen der Neuen Seidenstraße Investitionen in die argentinische Infrastruktur, fast 24 Milliarden US-Dollar sind bislang geflossen.
Präsidentschaftskandidat Javier Milei will Bündnis mit China beenden
Mit der engen Bindung an Peking könnte allerdings bald Schluss sein. Das weiß auch Fernández, der am Mittwoch im Radio erklärte: „Wir haben dieses Abkommen mit China geschlossen, während ein Verrückter hier vorschlägt, die Beziehungen zu diesem Land und anderen, die uns in diesen schwierigen Zeiten geholfen haben, abzubrechen.“ Bei dem „Verrückten“ handelt es sich um Javier Milei, dem in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl gute Chancen vorausgesagt werden. Meinungsforschungsinstitute gehen davon aus, dass Milei mindestens in eine mögliche Stichwahl am 15. November einziehen wird. Manche sehen ihn sogar als Sieger in der ersten Runde, wofür er mindestens 45 Prozent der Stimmen oder einen Abstand von mindestens zehn Punkten zum Zweitplatzierten bräuchte.
Milei inszeniert sich als Antipolitiker. Seine zerzausten Haare, seine Rockerkoteletten, sein aggressiver und vulgärer Stil: All das imponiert den vom traditionellen Politbetrieb enttäuschten Argentiniern. Bei Wahlkampfauftritten fuchtelt der 52-Jährige schon mal mit einer Kettensäge herum, mit der er „die politische Elite absägen“ will. Gegner oder Andersdenkende bezeichnet er als „Hurensöhne“ oder „Kommunisten“, zuletzt traf es unter anderem Papst Franziskus. Als sein Vorbild bezeichnet der selbsternannte Anarchokapitalist den amerikanischen Ökonomen Murray Rothbard (1926–1995).
Bei den landesweiten Vorwahlen am 13. August, einer Eigenheit des argentinischen Wahlsystems, hatte Milei mit seiner Koalition La Libertad avanza (Die Freiheit geht voran) 30 Prozent der Stimmen geholt. Damit lag er vor der Kandidatin der traditionellen Rechten, Patricia Bullrich vom konservativen Bündnis Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wandel), die 28 Prozent erhielt. Massa, der Kandidat der amtierenden Regierungskoalition, kam nur auf 27 Prozent. Neueste Umfragen deuten jedoch darauf hin, dass Massa in der ersten Runde auf den zweiten Platz kommen könnte.
Mileis Regierungsprogramm: US-Dollar stärken, Waffenbesitz erlauben, Schwangerschaftsabbrüche verbieten
Mileis Anti-Establishment-Attitüde verfängt, insbesondere bei der jüngeren Generation. Sein Programm steht für das Gegenteil des Kurses der aktuellen Mitte-links-Regierung von Fernández. Schwangerschaftsabbrüche will er verbieten – das Tragen von Waffen, den Organhandel und kommerzielle Leihmutterschaften hingegen erlauben. Wirtschaftspolitisch propagiert er einen radikalen Neoliberalismus: Die Zahl der Ministerien will er von 18 auf acht reduzieren, die öffentlichen Ausgaben um mindestens 15 Prozent kürzen, Subventionen streichen, Staatsunternehmen sowie das Bildungs- und Gesundheitssystem privatisieren.
Besonders die Ankündigungen, er wolle die Zentralbank „in die Luft jagen“ und die Wirtschaft des Landes dollarisieren, sorgten – auch international – für Aufsehen. Angesichts des extremen Wertverfalls der Nationalwährung trauen immer weniger Argentinier dem Peso, der US-Dollar gewinnt an Attraktivität. Milei plant, den Bürgern des Landes die freie Wahl zwischen Peso und US-Dollar zu geben, wie er in einem Interview mit dem Wirtschaftsdienst Bloomberg am 16. August erklärte. So käme es „ganz natürlich“ zu einer Dollarisierung. Allerdings warnte selbst der Direktor des IWF für die westliche Hemisphäre, Rodrigo Valdes, Ende vergangener Woche, eine Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft könne kein Ersatz für „eine solide Wirtschaftspolitik“ sein. Vor allem benötige die Zentralbank für einen derartigen Schritt große US-Dollar-Reserven. In Argentinien kann davon keine Rede sein.










