Die Wut, die Gerhard Schröder derzeit entgegenschlägt, ist verständlich. Schließlich herrscht Krieg, Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Da liegen die Nerven blank, vor allem in Deutschland, dem Land der Ohnmächtigen, Zögerlichen und Selbstgerechten, die mit dem Grauen vor ihrer Haustür am liebsten nichts zu tun hätten. Jedenfalls nicht allzu viel. Und so bietet sich Schröder an – als willkommene Ausflucht, es auch weiterhin so halten. Keine Frage, der Mann hat allen Ärger verdient, schließlich log er uns über Wladimir Putin bereits als Bundeskanzler die Hucke voll, indem er ihn als „lupenreinen Demokraten“ lobpreiste, und ist dem russischen Präsidenten und Männerfreund bis heute als Gas-Lobbyist gefällig. Das ergibt eine lückenlose Sünderkartei von über 20 Jahren, Schröders Kanzlerschaft ging von 1998 bis 2005, Putin herrscht seit 2000.
Putins Ziel: Die Einheit Europas zerstören
Moral kann eine sehr billige Währung sein, Empörung kostet nur selten etwas. Politisch aber kommt sie teuer zu stehen, wenn sie vom eigentlichen Thema ablenkt: Schröder ist, obwohl er sich jetzt sogar anschickt, russische Kriegsverbrechen zu verharmlosen, eher ein kleineres Problem und ansonsten vor allem ein Symptom. Denn wie viele andere auch hat sich unser Altkanzler nicht etwa nur in Putin getäuscht, wofür sich – noch so ein Ablenkungsmanöver – zu entschuldigen gerade en vogue ist, sondern von Putin in den politischen Dienst nehmen lassen. Der russische Diktator knüpfte in den letzten Jahrzehnten ein dichtes Netzwerk von gewogenen Politikern aller Couleur, bevorzugt aber rechtspopulistischen bis neofaschistischen Kräften. Der Zweck war und ist die Spaltung Europas. Die Unterwanderung der westlichen Demokratien.
Vielleicht sind hier nicht alle Akteure mit bösen Absichten unterwegs, auch wenn das bisweilen schwerfällt zu glauben. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ist so ein Zweifelsfall. In ihrem Land kommen die russischen Gasleitungen an, Nord Stream 1 und 2, sie hatte ein klares Interesse an guten Beziehungen zu Russland. Dass gerade die zweite Pipeline an allen Ostseeanrainerstaaten vorbei nur für Deutschland bestimmt war, das wirtschaftsmächtigste Land aus der Europäischen Union herauslösen und somit Europas stärkste Waffe brechen sollte: die wirtschaftliche Geschlossenheit – das hat Schwesig und mit ihr die CDU, die wie im Bund bis 2021 in der Regierung war, wohl nicht sehen wollen. Eine Gazprom-Dependance als Umwelt-Stiftung zu tarnen, lässt allerdings ein gewisses Unrechtsbewusstsein vermuten.
Im „deutschen Interesse“ gegen Deutschland
Doch Schröder und Schwesig und die SPD mal beiseite. Sie sind schließlich nur ein Teil des sehr viel größeren Netzwerks. Auch Politiker der Linken warben jahrelang um Verständnis für Putin. Sahra Wagenknecht wollte noch kurz vor Kriegsbeginn nicht an einen russischen Einmarsch glauben, ihre Fraktionskollegin Sevim Dagdelen war sich sogar sicher, die Invasionspläne seien eine Erfindung des US-Geheimdienstes, und der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko, der nach der Besetzung des Donbass durch „prorussische Milizen“ in die Ostukraine gereist war und sich mit den Separatistenführern der selbsternannten Volksrepublik Donezk fotografieren ließ, gibt heute der Nato die Mitschuld am Krieg und spricht vom „Scheitern eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems“. Nennen wir das mal einen lupenreinen Kreml-Narrativ.

Der findet sich übrigens auch bei der rechtsextremen AfD. Im März 2018 reiste Markus Frohnmaier anlässlich der Präsidentenwahl nach Russland, der Bundestagsabgeordnete sollte sich auf Einladung des Kremls mit weiteren Parlamentariern als Wahlbeobachter betätigen: „Wir machen uns ein Bild davon, dass alles fair und demokratisch abläuft, und sind vor Ort.“ Im selben Jahr diente sich das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Gunnar Lindemann als Wahlbeobachter im Donbass an und bestätigte den „ordnungsgemäßen“ Ablauf der manipulierten Wahlen. Und Parteichef Tino Chrupalla nahm Putin auch nach Kriegsbeginn in Schutz: „Es darf in diesen Tagen aber nicht unser Ziel sein, den einen Schuldigen auszumachen“, sagte er am 27. Februar im Bundestag. Man dürfe Russlands Beitrag für Deutschland nicht vergessen.
Auch hier will man Deutschland aus dem europäischen Verbund reißen, angeblich, um seine Interessen zu wahren. Um noch einmal auf die SPD zu kommen: Sie findet sich in schlechtester Gesellschaft wieder – was die Nervosität der Parteioberen erklären mag, die nun Schröders Rauswurf fordern. Und dabei haben wir noch gar nicht ins Ausland geschaut, etwa zu den österreichischen Rechtspopulisten der FPÖ und ihre langjährige Putin-Zuneigung. Oder zur französischen Rechtsextremen Marine Le Pen in Frankreich, deren Partei 2014 mit einem russischen Kredit vor dem Bankrott gerettet wurde und die auch nach dem Angriff auf die Ukraine noch Wahlkampf mit einem Bild machte, das sie händeschüttelnd mit Putin zeigt. Oder zu Silvio Berlusconi, Viktor Orban, Nigel Farage und wie die einschlägigen Europa-Spalter noch heißen mögen.
Putin muss glauben, dass er sich alles erlauben kann
Bei so vielen willigen Helfern muss Putin nicht bange werden. Eher mag er sich wundern, wie leicht sich Politiker für Gas oder Geld hergeben. Und er mag deswegen auch glauben, sich alles erlauben zu können. Er kann einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führen, Kriegsverbrechen begehen, morden, foltern und vergewaltigen lassen. Er kann auch in Deutschland unliebsame Gegner hinrichten lassen, also „Staatsterrorismus“ betreiben, wie ein Berliner Gericht jüngst die Tiergarten-Morde nannte, er kann seinen Militärgeheimdienst GRU mit Cyberangriffen immer wieder auf Abgeordnete des Bundestags losgehen lassen, wie die Bundesregierung zuletzt im September 2021 beklagte und von „Cyberakteuren des russischen Staates“ sprach, oder er kann hier seine Trollfabriken, Influencer oder sonstigen Agenten ihre Lügen verbreiten lassen …






