Gesundheitssystem

Elektronische Patientenakte: Ärzteschaft warnt vor drohender „Bruchlandung“

Nur ein kleiner Teil der Versicherten nutzt die elektronische Patientenakte. Kritik gibt es an der Informationskampagne, Datenschutz und Zugangsproblemen.

Elektronische Patientenakte: Die Krankenversicherungen informieren über den Nutzen.
Elektronische Patientenakte: Die Krankenversicherungen informieren über den Nutzen.Jens Kalaene/dpa

Die Ärzteverbände haben vor dem Scheitern der elektronischen Patientenakte (ePA) gewarnt. „Der elektronischen Patientenakte für alle droht eine Bruchlandung“, sagte der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes, Markus Beier, der „Rheinischen Post“ vom Dienstag. Grund dafür seien die geringen Nutzerzahlen, hieß es. Grundsätzliche Kritik an dem Projekt kam aus den Reihen der Zahnärztinnen und Zahnärzte.

Der Hausärzteverband drang auf eine bessere Aufklärung der Patientinnen und Patienten durch die Krankenkassen. Sonst werde „eines der wichtigsten versorgungspolitischen Projekte der letzten Jahre langsam, aber sicher scheitern“, warnte Beier. Für Patienten wäre das eine schlechte Nachricht, „denn eine gut umgesetzte elektronische Patientenakte hätte zweifellos das Potenzial, die Versorgung spürbar zu verbessern und zu vereinfachen“.

Statt einer „großen und koordinierten Informationskampagne“ hätten sich die Krankenkassen jedoch „darauf beschränkt, vereinzelt Briefe mit allgemeinen Informationen zu versenden“, kritisierte Beier. Zudem sei die Patientenakte in ihrer aktuellen Form „schlichtweg nicht alltagstauglich“. Er verwies auf den komplizierten Registrierungsprozess und störanfällige Technik. Vielfach hätten Praxen Probleme mit dem Zugriff auf die Patientenakte.

Krankenkassen: Akzeptanz für elektronische Patientenakten soll erhöht werden

Die Krankenkassen wiesen Kritik an ihrem Vorgehen zurück. Vielmehr hätten sie „erstklassige Arbeit geleistet“, indem in kurzer Zeit „über 70 Millionen elektronische Patientenakten angelegt und die Versicherten darüber informiert“ wurden, erklärte Martin Krasney, Vorstandsmitglied beim GKV-Spitzenverband. „Jetzt geht es darum, die Akzeptanz und den praktischen Nutzen der ePA weiter zu erhöhen, damit sie tatsächlich in der Breite der Versorgung ankommt“, fügte er hinzu.

Der GKV-Spitzenverband verwies auch auf die Verantwortung der Ärzteschaft. „Der nächste große Schritt wird zum 1. Oktober passieren, denn ab dann sind alle Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, neue Diagnosen und Befunde in der elektronischen Patientenakte abzulegen“, betonte Krasney. Dies werde „einen weiteren wichtigen Schub“ für die ePA bedeuten, verwies er indirekt auf eine bisher teilweise zögerliche Mitwirkung von Medizinerinnen und Medizinern.

„Wir alle sollten partnerschaftlich daran arbeiten, dass die Chancen der ePA genutzt werden“, betonte Krasney weiter. „Das unberechtigte Schlechtreden der ePA ist sicher kein konstruktiver Beitrag zur notwendigen Digitalisierung“, kritisierte er Äußerungen aus dem Kreis der Ärzteschaft.

Bayerische Landeszahnärztekammer: „elektronischen Schuhkarton voller Zettel“

Nachbesserungen forderte auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD). Er verwies auf Mitteilungen von Bürgerinnen und Bürgern, „die Probleme bei der Einrichtung der ePA beklagen, sei es etwa durch ein dafür ungeeignetes Smartphone oder andere Zugangsprobleme“, sagte Schwartze der Gruppe Ippen.Media. „Die ePA muss anwendungs- und patientenorientierter werden - für jede Altersgruppe“, forderte auch er.

Die Bayerische Landeszahnärztekammer bezeichnete das Angebot in der jetzigen Form als „nutzlos“. Bisher gebe es weder einheitliche Kategorien zur Befüllung der Akte, etwa „Befund“, „Bericht“ oder „Arztbrief“, noch eine Volltextsuche, erklärte Kammer-Präsident Frank Wohl. Damit gleiche die elektronische Patientenakte einem „elektronischen Schuhkarton voller Zettel“.

Ärztinnen und Ärzte könnten sich außerdem nicht auf eine Vollständigkeit der Daten verlassen. Das Verhältnis zwischen Nutzen und Risiko der Akte sei angesichts von Datenschutzlücken zudem derzeit „denkbar ungünstig“, kritisierte Wohl.

Die Linke: Kritik von Datenschützern wurde ignoriert

Von einem „Scheitern mit Ansage“ sprach der Linken-Gesundheitsexperte Ates Gürpinar. Er warf der Bundesregierung vor, sie habe „alle Kritik von Datenschützer:innen ignoriert, um Pharmakonzernen die Verwertung der Patient:innendaten zu ermöglichen“. Es sei daher bei der ePA „ein grundsätzliches Umdenken in der Ausrichtung nötig, um sie zu retten.“

Nach jahrelangen Vorbereitungen und freiwilligen Angeboten seit 2021 war die elektronische Patientenakte Ende April bundesweit eingeführt worden. In der Akte kann die gesamte Kranken- und Behandlungsgeschichte von Patientinnen und Patienten elektronisch gespeichert werden - um unter anderem Diagnosen zu erleichtern und Therapien besser aufeinander abzustimmen.

Patientinnen und Patienten können der Einrichtung ihrer elektronischen Krankenakte widersprechen. Zwar taten dies bislang nur wenige, jedoch ließ auch nur ein Bruchteil der Versicherten die Akte bisher für den Zugriff freischalten.