Im festgefahrenen Streit um höhere Löhne und Gehälter für die rund 16.600 Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wollen die Kontrahenten einen neuen Weg beschreiten. Die Gewerkschaft Verdi und das Landesunternehmen haben beschlossen, in die Schlichtung zu gehen. Das teilten beide Seiten am Donnerstag mit.
Der frühere Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) habe zugesagt, für die Arbeitgeberseite den Part des unabhängigen Schlichters wahrzunehmen, hieß es. Die Arbeitnehmerseite hat den Linken-Politiker Bodo Ramelow, zuletzt Regierungschef im Freistaat Thüringen und jetzt Vizepräsident des Bundestags, benannt. Auch er nahm an, so die Gewerkschaft. Bis zum 10. April gibt es eine Friedenspflicht. Das heißt, dass so lange keine weiteren Warnstreiks zulässig sind. Während der Schlichtung gilt zudem der Grundsatz der Verschwiegenheit. Oder, anders formuliert: Schlichten und Schweigen.
Donnerstag, 27. März: Der fünfte Warnstreik während des seit Januar schwelenden Tarifkonflikts legt U-Bahnen, Straßenbahnen und die meisten Linienbusse in Berlin lahm. Am Vormittag kommen Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt, BVG-Personalvorständin Jenny Zeller-Grothe und andere Beteiligte zusammen.

Sie treffen sich an einem ungewöhnlichen Ort, um die Bedingungen einer Schlichtung auszuloten: in einem Hostel in Mitte, in dem Schulklassen und andere Touristen für wenig Geld logieren können. Es sollte ein neutraler Ort sein, heißt es. Zudem waren kurzfristig nicht viele Konferenzräume in der Nähe der BVG verfügbar.
13 Uhr: Die Pressekonferenz findet nicht im Tagungsraum Alexanderplatz statt, wo Verdi und BVG zusammengekommen sind. Sondern in einen Kellerraum, die Treppe hinunter hinter dem Tischkicker. Dort verkünden Arndt und Zeller-Grothe die Nachricht – eine gute Nachricht für die Berliner, die der Tarifstreit und die Streiks zunehmend nerven.
Jeremy Arndt von Verdi: „Wenn es der Sache dient“
„Die Schlichtung ermöglicht einen nüchternen Blick auf die Interessen der Verhandlungsparteien. Es ist gut, dass wir mit Unterstützung der Schlichter jetzt versuchen, eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln, was die Arbeit der BVG-Beschäftigten heute wert sein sollte“, sagt Jeremy Arndt. „Wenn es der Sache dient, dass unabhängige Dritte mit am Tisch sitzen, sollte man dem eine Chance geben.“
„Wir gehen in die Schlichtung. Jetzt gilt es gemeinsam mit den erfahrenen Schlichtern eine Lösung zu finden, die alle Perspektiven im Blick hat: faire Löhne für die gute Arbeit unserer Mitarbeitenden, die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens und ein verlässliches Angebot für die Fahrgäste“, so Jenny Zeller-Grothe. Sie demonstrierte Optimismus – wie schon mehrmals während des Tarifstreits beim größten Berliner Landesunternehmen. „Ich persönlich glaube, dass die Schlichtung gut ausgeht.“
Eine Garantie gibt es dafür aber natürlich nicht. Eine Schlichtungskommission, der die beiden Schlichter und jeweils vier Vertreter beider Seiten angehören, wird sich nun bis zum 10. April mehrmals treffen. Ihre Aufgabe ist es, eine Schlichtungsempfehlung zu erarbeiten. Stimmen ihr die Kontrahenten zu, kann die Tarifverhandlung zum vereinbarten Zeitpunkt am 10. April fortgesetzt werden. Sagt die Gewerkschaft oder der BVG-Vorstand dagegen Nein zur Schlichtungsempfehlung, wird die Schlichtung für gescheitert erklärt. Dann würden die Tarifverhandlungen im Prinzip von vorn losgehen, heißt es.
Urabstimmung über Erzwingungsstreik hat Mittwoch begonnen
Nicht ausgeschlossen, dass Verdi dann die nächste Karte zieht und wie angedroht zum unbefristeten Streik aufruft, sofern der Arbeitgeber bei seinem jüngsten, dem vierten Angebot nicht nachlegt. Die Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik hat wie angekündigt am Mittwoch begonnen. Sie läuft bis zum 4. April, bekräftigt Arndt.
Damit ist ein unbefristeter Stillstand weiterhin nicht ausgeschlossen. Doch offenbar sind sich beide Seiten darin einig in der Erkenntnis, dass der Tarifstreit festgefahren ist. Auch in der sechsten Verhandlungsrunde sei keine Annäherung in Sicht gewesen, so die Gewerkschaft. Deshalb erklärte Verdi die Tarifverhandlung am 21. März für gescheitert und kündigte einen weiteren zweitägigen Warnstreik an, der an diesem Freitag um 3 Uhr früh endet.
Bisher keine Bewegung: Verdi verlangt weiterhin 750 Euro mehr für alle
Bisher sind sich die Kontrahenten im Wesentlichen nur beim Thema Laufzeit entgegengekommen. Der neue Entgelt-Tarifvertrag soll nun zwei Jahre gelten – bis Ende 2026. Doch was die Erhöhung der Grundvergütung anbelangt, sieht der Arbeitgeber keine Bewegung. Verdi halte seit Oktober an der Forderung fest, dass alle BVG-Beschäftigten 750 Euro mehr pro Monat bekommen sollen, kritisiert Zeller-Grothe. Eine Erhöhung des Personalaufwands um 30 Prozent sei nicht verkraftbar, so die BVG.
Verdi-Verhandlungsführer Arndt zeigte sich am Donnerstag verhandlungsbereit. Auf die Frage, ob es für die Gewerkschaft während der Schlichtungsverhandlungen rote Linien gibt, antwortete er ausweichend. Beobachter sehen das als gutes Zeichen. Aber auch das Verdi-Team steht unter Druck. BVG-Beschäftigte fordern einen kräftigen „Schluck aus der Pulle“, und sie wären einem unbefristeten Streik gegenüber nicht abgeneigt.
Der harte Kurs hat der Gewerkschaft viele neue Mitglieder beschert
Auf dem Infokanal zum Tarifvertrag Nahverkehr zeigt sich Verdi selbstbewusst. Bodo Ramelow sei ein erfahrener Schlichter, natürlich selber Gewerkschaftsmitglied, heißt es dort. Er habe „vor einem Jahr auch die Schlichtung für die Kolleg:innen der Lufthansa mit geführt, ein Riesen-Erfolg!“ Die Schlichtung werde nur einen Vorschlag produzieren, der dann, wie immer, durch die Verdi-Tarifkommission weiter bearbeitet, grundsätzlich nachverhandelt wird und zu der es eine Rückkopplung mit euch geben wird. „Erst dann entscheidet sich die Annahme oder Ablehnung“, so die Gewerkschaft.

„Jetzt gilt: Weitermachen mit dem, was ihr ohnehin geplant habt. Ihr seid krass erfolgreich in eurem Vorgehen. Ihr gebt den Takt vor. Nutzt die Urabstimmung, um nochmals stärker zu werden. Nicht abwarten, nicht zuschauen, vorwärts ins Gespräch mit den Kolleg:innen. Wer jetzt rückwirkend beitritt, kann direkt mit abstimmen.“
Eines hat der harte Kurs der Gewerkschaft auf jeden Fall gebracht: viele neue Mitglieder.
BVG-Mitarbeiter berichten, dass sich Gewerkschafter aus dem Ausland solidarisch zeigen. Aus Südkorea, Indonesien, den Philippinen und Indien trafen Solidaritätsadressen in Berlin ein. John Costa, International President der Amalgamated Transit Union (ATU) in den USA, grüßt die „streikenden Brüder und Schwestern in Berlin“. Auf der ganzen Welt dürften arbeitende Menschen nicht still bleiben.






