Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat entschieden, dass die Bundestagswahl in Berlin in 455 von 2256 Wahlbezirken und zugehörigen Briefwahlbezirken wiederholt werden muss. Die Teilwiederholung muss nun innerhalb von 60 Tagen stattfinden.
Die Wiederholungswahl sei als Zweistimmenwahl durchzuführen, also mit Erst- und Zweitstimme, so die Vorsitzende Richterin, Doris König. Die Teilwiederholung der Bundestagswahl findet am 11. Februar statt. Das Datum nannte Landeswahlleiter Stephan Bröchler am Dienstag in Karlsruhe. Zur Wiederholungswahl dürfen nur die Kandidaten der Hauptwahl antreten, neue Wahlvorschläge werden nicht zugelassen. Wählen darf, wer derzeit in einem der genannten Wahlbezirke gemeldet und wahlberechtigt ist, auch wenn er erst nach der Wahl 2021 zugezogen oder volljährig geworden ist. Ehemalige Bewohner dürfen hingegen nicht noch einmal abstimmen.
Kai Wegner (CDU): Vorbereitungen für Neuwahlen wurden bereits getroffen
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte in einem Pressestatement, dass die notwendigen Vorbereitungen für die Wahlwiederholung bereits getroffen worden seien, um noch im Februar zu wählen: „Das Wahlchaos im September 2021 beschert unserer Stadt eine weitere Wahlwiederholung. Die Bundestagswahl muss teilweise wiederholt werden. Eine Wahl innerhalb von 55 Tagen abzuhalten, ist eine große Herausforderung und Kraftanstrengung zugleich – sowohl für die Parteien als auch und besonders für die Verwaltung.“ Und: „Alle Berlinerinnen und Berliner in den betroffenen Wahlbezirken rufe ich dazu auf, zur Wahl zu gehen und ihre Stimme abzugeben.“
Keine Auswirkungen auf Linkspartei und Bündnis Sahra Wagenknecht
Anlass war eine Wahlprüfungsbeschwerde der Unionsfraktion im Bundestag, da bei der Wahl in Berlin am 26. September 2021 zahlreiche Pannen passierten.
In Bundestagswahlkreisen Berlin-Lichtenberg (Wahlkreis 86) und Berlin-Treptow – Köpenick (Wahlkreis 84) wird es voraussichtlich in nur wenigen Urnenwahlbezirken eine Neuwahl geben. In Berlin-Lichtenberg hatte die Linke-Politikerin Gesine Lötzsch bei der Bundestagswahl 2021 mit 25,8 Prozent aller Erststimmen das Direktmandat errungen, in Berlin-Treptow – Köpenick gelang Gregor Gysi mit 35,4 Prozent der direkte Einzug in den Bundestag. Der Linkspartei gelang der Einzug in den Bundestag nur über ihre Direktmandate, deshalb hätte ein Mandatsverlust auch bedeutet, dass die Linkspartei insgesamt aus dem Bundestag ausscheidet.

Gesine Lötzsch (Linke): „Es ist ein guter Tag für die Linke und unser Land“
Gesine Lötzsch zeigte sich erleichtert vom Karlsruher Urteil: „Es ist ein guter Tag für die Linke und unser Land. In Anbetracht der Ampel-Politik ist linke Politik dringend nötig. Jetzt starten wir in einen kurzen, aber wirkungsvollen Wahlkampf. Wir werden jetzt die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl nutzen, um 2025 wieder als starke Fraktion in den Bundestag einzuziehen“, sagt Lötzsch der Berliner Zeitung.
Insbesondere bei der Berliner Linken herrscht nach der Verkündung aus Karlsruhe große Erleichterung. Eine Wahlwiederholung in größerem Umfang hätte die Partei auch finanziell vor enorme Herausforderungen gestellt. Es wäre außerdem nicht sicher gewesen, ob es bei einer kompletten Wahlwiederholung vier Bundestagsmandate für den Berliner Landesverband gegeben hätte. Neben den beiden Direktmandaten (Gesine Lötzsch und Gregor Gysi) gilt auch der Platz für Petra Pau (über die Landesliste) als sicher. Einzig Pascal Meiser, der nur über ein Ausgleichsmandat in den Bundestag eingezogen war, muss weiter bangen. Je schlechter das Berliner Linke-Ergebnis, desto größer die Gefahr für ihn. Denkbar, dass für Meiser eine Listenkandidatin der hessischen Linken nachrücken könnte. Das wollen die Berliner verhindern. „Wir kämpfen für unsere vier Mandate aus Berlin“, sagte die Co-Landesvorsitzende Franziska Brychzy am Dienstag.
Auch für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) fällt das Karlsruher Urteil somit positiv aus, die Mandate der BSW-Abgeordneten wurden ursprünglich über die Linkspartei errungen.

Pankow und Reinickendorf: Hier bleibt es spannend
Spannend wird es hingegen noch einmal in Pankow (Wahlkreis 76) und in Reinickendorf (Wahlkreis 77). Hier hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Wahlfehler auch eine Mandatsrelevanz haben könnten, weil die Differenz zwischen Wahlkreisgewinnern und Erstunterlegenen nur 26 und 16 Prozent betragen hat. Bei einer Neuwahl in Pankow und Reinickendorf müssten demnach die Abgeordneten Stefan Gelbhaar (Grüne) und Monika Grütters (CDU) erneut um ihr Mandat kämpfen. Während in Pankow besonders viele Wahlmängel aufgetreten sind, war in Reinickendorf der Abstand zwischen Grütters (2021: 27,2 Prozent der Erststimmen) und dem zweitplatzierten SPD-Kandidaten Torsten Einstmann (2021: 25,8 Prozent der Erststimmen) denkbar knapp.

Bundestagswahl und Marathon sorgten in Berlin für Chaos
Das höchste deutsche Gericht folgte mit seinem Urteil auch nicht eins zu eins einem Beschluss des Bundestages. Dieser hatte mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP entschieden, dass die Wahl teilweise wiederholt werden sollte. Betroffen wären demzufolge 327 der 2256 Wahlbezirke der Hauptstadt gewesen sowie 104 der 1507 Briefwahlbezirke. Aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion war der Beschluss aber rechtswidrig, unter anderem weil der Bundestag die Wahl in sechs vom Bundeswahlleiter angefochtenen Wahlkreisen nicht insgesamt für ungültig erklärt habe. Daher klagte sie in Karlsruhe.
Franziska Giffey verspricht kurzen, aber intensiven Wahlkampf
Die Berliner SPD-Co-Chefin Franziska Giffey sieht ihre Partei gut aufgestellt für eine Wahlwiederholung in Teilen der Stadt. Man habe den nun anstehenden Wahlkampf „in den vergangenen Wochen bereits vorbereitet“, teilte sie mit. Ab Januar werde man „einen kurzen, aber intensiven Wahlkampf führen“. Wichtig sei eine möglichst hohe Wahlbeteiligung, damit Berlin im Bundestag keine Stimmen verliert. Und auch wenn die Wahl nur in einigen Gebieten der Stadt wiederholt werden müsse, so gehe es „doch auch darum, ein Zeichen zu setzen, dass Berlin demokratisch und weltoffen ist und Rechtspopulisten und Rechtsradikale keine Chance haben“, so Giffey.

Grüne und FDP halten es hingegen für eine schwierige Aufgabe, möglichst viele Menschen zur Teilnahme zu bewegen. „Bei einer Wiederholung der Wahl mitten in der Legislaturperiode wird es für alle Parteien eine Herausforderung, die Wahlberechtigten zum Urnengang zu mobilisieren“, erklärten die Grünen-Landesvorsitzenden Nina Stahr und Philmon Ghirmai am Dienstag nach dem Urteil. „Aber gerade in Zeiten der sich zuspitzenden Krisen und wachsender Zustimmung für Rechtspopulismus gilt es, Haltung zu zeigen und wählen zu gehen.“
Sorgen um Wahlbeteiligung im Februar
Der FDP-Landesvorsitzende Christoph Meyer erklärte: „Es ist gut, dass jetzt Rechtsklarheit besteht, auch wenn die Wahlwiederholung 29 Monate nach der Bundestagswahl sicherlich zu Verzerrungen führen wird.“ Wichtig sei jetzt, dass alle politischen Akteure in Berlin für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung am voraussichtlichen Wahltermin im Februar werben.

Obwohl das Bundesverfassungsgericht dem Antrag auf Wahlwiederholung nur teilweise gefolgt ist, zeigte sich der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann (Steglitz-Zehlendorf) zufrieden mit dem Urteil aus Karlsruhe: „Es ist leider ein verdienter Denkzettel für die Wahlpannen des früheren Senats. Eine so missglückte Wahl darf nicht ohne Konsequenzen bleiben, auch wenn das für mich heißt, dass ich – wenn auch in begrenzten Umfängen – wieder wahlkämpfen muss“, sagt Heilmann der Berliner Zeitung. In Steglitz-Zehlendorf sind rund 9 Prozent der Wahlberechtigten erneut zur Stimmabgabe aufgerufen.
Die Berliner Grünen-Abgeordnete Canan Bayram war als Prozessbeteiligte bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe. „In Anbetracht der teilweise schweren Wahlfehler haben die Richter:innen eine kluge Entscheidung nach dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs getroffen“, sagte sie der Berliner Zeitung. Bayram zeigte sich zuversichtlich, ihren Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost weiterhin als direkt gewählte Abgeordnete vertreten zu dürfen. Es wäre ein Geschenk des Wählers: Das Datum der Wiederholungswahl fällt ausgerechnet auf ihren Geburtstag.
Der Berliner Verfassungsgerichtshof hatte die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen wegen „schwerer systemischer Mängel“ und zahlreicher Wahlfehler bereits zuvor für ungültig erklärt. Diese Wahl wurde am 12. Februar 2023 komplett wiederholt – mit dem Ergebnis, dass eine schwarz-rote Koalition das Dreierbündnis von SPD, Grünen und Linken ablöste, das seit 2016 regiert hatte.
Die Bundestagswahl 2021 fand parallel zu den Berliner Wahlen statt. Zudem lief durch die Innenstadt der Berlin-Marathon. Es bildeten sich lange Warteschlangen vor Wahllokalen. Es gab zu wenige Wahlkabinen. Manche Stimmen wurden nach dem eigentlichen Wahlende um 18 Uhr abgegeben. Stimmzettel waren falsch oder fehlten gleich ganz. Die Wahl wurde teils um mehr als 100 Minuten unterbrochen.
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