Mein Fahrrad ist in diesem Winter aus dem Treppenhaus verschwunden. Vielleicht fehlt es auch schon seit letztem Herbst oder Sommer, wer weiß. Statt mich zu ärgern, war ich erleichtert und ein bisschen euphorisch. Allein über die Option nachzudenken, mich aufs Fahrrad zu schwingen, war ziemlich unangenehm: Entweder ich bin unzufrieden mit mir selbst, weil ich so faul bin. Oder ich trete ächzend in die Pedale und schwöre, mir das nie wieder anzutun.
Das ist wohl nicht das erste Mal, dass dieses Fahrrad geklaut wurde. Ein Mann mit zotteligem Haar und Hundeblick hat es mir für 60 Euro auf der Straße angeboten. Es war ein leichtes Fahrrad mit schmalen Reifen. Möglicherweise sogar ein Rennrad, mein Interesse an solchen technischen Details ist begrenzt. Etwas in mir sträubte sich schon damals, aber ich habe mir von meiner Begleitung einreden lassen, dass es am Fahrrad liegt, wenn das Fahren keinen Spaß macht. Nach etwa zehn Fahrten kann ich sagen: Diese Erfahrung teile ich nicht.
Aber hey, ich habe es wirklich nicht darauf angelegt. Nach ausgiebiger Recherche entschied ich mich für ein Bügelschloss und stellte das Rad ins Treppenhaus, weil ich vom Fahrradklau im Hof gehört habe. Es könnte sein, dass sich jemand daran gestört und es umgeparkt hat. Oder habe ich es jemandem geliehen? Ich weiß es nicht. Ich hoffe nur, dass es nicht wieder auftaucht.
Ach, wenn ich doch nur eine Fahrradfahrerin wär!
Fahrradfahren ist wirklich praktisch. Das denke ich zumindest oft, seit ich in Berlin lebe – wenn ich gerade nicht im Sattel sitze. Fußwege und Umwege entfallen. So könnte ich die Stadt besser kennenlernen, statt in der Bahn sitzend auf mein Smartphone zu starren. Doch sobald ich die ersten Meter fahre, bereue ich es. Diesen Fehler beging ich in den letzten Jahren immer unregelmäßiger. „Ich habe leider einen Platten“, war meine Ausrede. Die Gefahr dabei ist, dass Freunde sich erbarmen und das Fahrrad reparieren. Inzwischen sage ich einfach nur noch, „ich hasse Fahrradfahren“.
Das verstehen die meisten Menschen in meinem Umfeld dann nicht. Fahrradfahren ist klimafreundlich, sportlich und einfach cool. Es würde auch gut zu meinem Selbstbild passen, das gebe ich zu. Aber es frustriert mich so viel mehr, als die zehn Minuten von der S-Bahn-Station aus zu laufen. Wenn Google Maps 20 Minuten Fahrtzeit anzeigt, brauche ich 45 Minuten. Sogar Omas überholen mich. Außerdem verfahre ich mich gerne, trotz Navi. Zu spät kommen ist eigentlich nicht meine Art, aber es ist schwer, die Ankunftszeit einzuschätzen, wenn man von der eigenen Muskelkraft abhängig ist.
Als Fußgänger bin ich genervt von Fahrradfahrern. Besonders, wenn sie schnell fahren. Purer Neid wahrscheinlich. Es ist aber auch verdammt gefährlich. Gerade für die Fahrradfahrer selbst. Die Berliner Polizei twitterte, dass sie am Mittwochvormittag innerhalb von drei Stunden 33 Radfahrer aufgehalten hat, die am Alexanderplatz bei Rot über die Ampel gefahren sind. Neben den Radwegen stehen parkende Autos, die jederzeit die Tür öffnen könnten. Auf der Sonnenallee gibt es keinen Radweg und in den Nebenstraßen ist es so eng, dass die Autos den vorgeschriebenen Abstand gar nicht einhalten können. Wahrscheinlich ist es sowieso besser, mit dem Fahrradfahren zu warten, bis Berlin bessere Radwege gebaut hat. Mindestens.
Wenn man die 33 Radfahrenden, die heute Vormittag innerhalb von 3 Stunden nahe #Alexanderplatz bei Rot 🚦fuhren, hochrechnen würde ...
— Polizei Berlin (@polizeiberlin) April 4, 2023
Unser #A57 war dort heute im Einsatz.
^tsm pic.twitter.com/pzm3Pe6tNg
Wie ich zur Fahrradhasserin wurde
Die sichereren Optionen neben langen Straßen, wie der Frankfurter Allee, nenne ich Fahrradautobahn. Der Fahrradweg ist so schmal wie immer, allerdings kommt bei mir das Gefühl auf, dass er zweispurig ist. Auf meiner Spur fährt so gut wie niemand, während auf der linken Seite pausenlos Raser vorbeirauschen. Okay, eigentlich auch alle andern. Dadurch reaktivieren sie mein Fahrradtrauma – tut mir leid, mir fällt kein besserer Begriff ein. Was ich meine, ist, die negativen Gefühle kommen wieder auf.
Bei den Pfadfindern war ich immer das Schlusslicht. Wir fuhren auf Sommerfahrten täglich bis zu 60 Kilometer mit Gepäck. Das war einfach zu viel für mich. Einmal landete ich im Krankenhaus, weil ich mit einer Freundin um die Wette gefahren bin und in Ohnmacht fiel. Ein anderes Mal gab ich am Hang auf. Meine letzten Kräfte waren aufgebraucht, ich konnte einfach nicht mehr weiter. Die anderen nahmen mir einen Teil des Gepäcks ab. Von da an hielt ich plötzlich mit, es kam mir vor wie ein Wunder. Am nächsten Tag sogar wieder mit vollem Gewicht. Doch die Abneigung blieb.






