Kolumne

Wie soll Berlin 2030 klimaneutral werden, wenn die Stadt nicht mal ein Museum fix sanieren kann?

Der Klimaentscheid ist an der Wahlurne durchgefallen. Und die, die mit Nein gestimmt haben, trifft die Härte der Moral. Eine Kolumne.

Hinter blühenden Kirschbäumen in Berlin-Prenzlauer Berg ragt der Fernsehturm empor. 
Hinter blühenden Kirschbäumen in Berlin-Prenzlauer Berg ragt der Fernsehturm empor. Monika Skolimowska/dpa

Ob er eine Einladung in den Briefkasten werfen dürfe? Die Stimme aus dem Wechselsprecher ist leise und zittrig. Ein Zeuge Jehovas. Das Faltblatt „in Erinnerung an Jesu Tod“ fragt: „Was macht sein Tod für Sie möglich?“ – Das lange Osterwochenende, klar doch. Ohne Christi Martyrium wären auch die frühlingsferienfreundlichen Folgefeste Himmelfahrt und Pfingsten obsolet. All die Brückentage. Stattdessen würde das Land etwas wie Baerbocks Annalenenerscheinung feiern und hoffen, dass deren Datum nicht auf einen Sonntag fällt. Danke, Heiland.

Was noch auf dem Zettel steht, klingt nun wirklich spinnert bis jenseitig: „Wir können zuversichtlich in die Zukunft schauen!“ Das sagt ja nicht mal mehr Hansi Flick. Nur eine Sekte kommt auf solch ungeheuerliche, unapokalyptische Ideen. Zeitgemäße Missionsarbeit geht anders.

Bestrafung durch Moral

Da darfst du kein Softie sein, da musst du zupacken wie der ZDF-Wettermoderator Özden Terli nach dem Berliner Volksentscheid via Twitter: „Wer mit ‚nein‘ gestimmt hat, hat mit ‚ja‘ zu Extremwettern jeglicher Art zugestimmt. Bitte, dann nicht beschweren wenn es übel wird. Glückwunsch ganz toll gaaaaanz toll gemacht!“ Nein, niemand sollte darauf vertrauen, dass Petrus nicht sofort extrem mitspielt. Notfalls wird Terli die Falsch- und Nicht-abgestimmt-Habenden eben selbst zur Verantwortung ziehen und ihnen kraft seines Amtes wöchentlich eine Sintflut vorhersagen, zumindest außerhalb des S-Bahn-Rings.

Diese „I want you to panic“-Didaktik ist bewährt. Seit Jahrtausenden motivieren Prediger glaubenslabile Personen mit einer – sich meist in Witterungsunbilden manifestierenden – Bestrafung durch höhere Mächte. Dank mannigfaltiger Opfergaben wurden bisher Hagelkörner von der Größe des Saarlands vermieden oder in geeignetere Nachbarschaften umgeleitet.

Auf den Klimaentscheidungsscheinen stand doch mehr oder weniger deutlich, dass nach einem Fehlvotum alle Saaten verdorren und Wildwetterfrösche in Sturzbächen vom Himmel fallen. Aber das wollten die Ignoranten ja nicht wahrhaben. Sie glaubten stattdessen, dass es noch andere wichtige Themen gäbe.

Diese Narren meinten, sich den Luxus einer Kosten-Nutzen-Kalkulation leisten können. Sie hielten es für unmöglich, dass eine Stadt mit bald vier Millionen Einwohnern binnen sieben Jahren netto kein Kohlendioxid mehr produziert. Dabei hätte man nur aufs Pergamonmuseum blicken müssen. Dessen Sanierung, eine im Vergleich zur Erdtemperaturkorrektur epochale Aufgabe, läuft erst seit zehn Jahren und soll bereits 2037 beendet sein – kurz nachdem sich voraussichtlich herausgestellt haben wird, dass sein Inventar in aller Herren Länder zusammengeklaut wurde und an die Nachfahren von Sumerern und Babyloniern zurückzugeben ist.

Nun wird es übel. Des Weltgeists Bannstrahl wendet sich gegen jene, die unter Luisa Neubauers Befund fallen: „Es gibt Kräfte in dieser Stadt, die geben alles dafür, noch den letzten Funken Klimazerstörung rauszuholen.“ Tja. Schweizer Grünen-Parlamentarier fordern schon, „Klimaleugnung“ und „Verbreitung von klimaskeptischen Ansichten“ unter Strafe zu stellen. Liebe Gemeinde, lasset uns dafür beten, dass Drohungen mit Gottes und Justitias Zorn zum Ziele führen. Falls nicht, wird man mehr Kerker brauchen, aus nachhaltigem Holz und stabil genug für Extremwetter jeglicher Art. Scheiterhaufen sind nicht klimaneutral.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de