Die Lücke auf dem Liniennetzplan ist klein – um nicht zu sagen minimal. Die geplante Verlängerung der U-Bahn-Linie U3 im Südwesten von Berlin ist kein Riesenvorhaben. Doch es zeigt sich immer deutlicher, dass es dieses Infrastrukturprojekt in sich hat. So zeichnet sich ab, dass die Tunnelstrecke von der Krummen Lanke zum Mexikoplatz deutlich teurer wird als bislang kommuniziert - und es gibt noch weitere Fallstricke.
Das geht aus einer Analyse des Büros Interlink hervor, die an diesem Donnerstag von der Bürgerinitiative „Rettet den Mexikoplatz“ vorgestellt wurde. Dessen Bilanz: Eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung ist nötig, die bisherige sei „fehlerbehaftet“. Die Experten begründen, was Beobachter befürchtet haben: Die Verlängerung der U3 nutzt unterm Strich wenig, werde aber teurer als erwartet. Die Planer sehen dagegen keine Probleme.
Mit erwarteten Kosten von rund 300 Millionen Euro, die allein von Berlin zu tragen seien, drohe dem Land „finanzielles Harakiri“, unterstrich Thomas Herr von der Bürgerinitiative. „Wir fordern, die Planung sofort zu stoppen und das Projekt zu beerdigen.“ Die Anwohner hoffen, dass bei den Verantwortlichen „Vernunft einkehrt“. Andernfalls sei damit zu rechnen, dass Anwohner gegen den Planfeststellungsbeschluss klagen werden. Einige von ihnen würden bereits anwaltlich beraten, so Herr.

Es geht um ein Stück solides Berlin. Die Argentinische Allee und ihre Seitenstraßen gelten als gutbürgerliches Wohngebiet. Das Haus am Waldsee, Ausstellungsort für internationale Gegenwartskunst, gibt auf seinem weitläufigen Grundstück einen Eindruck davon, wie es sich hier lebt. Der kreisrunde Mexikoplatz, der 1907 fertig wurde, ist das elegant wirkende Zentrum der Villenkolonie Zehlendorf West. Er gilt als einer der schönsten Platzanlagen in Berlin. Die S-Bahn teilt ihn in zwei Hälften.
Es ist ein Teil von Berlin, der trotz des Verkehrs auf der Argentinischen und der Lindenthaler Allee Ruhe atmet. Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass ein Teil der Anwohnerschaft den zu erwartenden Veränderungen skeptisch bis ablehnend gegenüber steht. Denn dieser Teil des Bezirks Steglitz-Zehlendorf soll Großbaustelle werden.
Es geht um rund 1340 Meter Tunnel. Zunächst haben sich die Planer mit dem seit 1929 genutzten Tunnelstück jenseits des U-Bahnhofs Krumme Lanke befasst, das rund 90 Zentimeter unter dem Mittelstreifen der Argentinischen Allee an einer Ziegelwand endet. Dort können zwei U-Bahn-Züge mit 16 Wagen abgestellt werden. 2022 ergab eine Prüfung, dass Teile des 150 Meter langen Betonbauwerks bald nicht mehr standsicher sind. Darum sollen 115 Meter abgebrochen und neu gebaut werden, zum Teil etwas tiefer als heute. Ein Masse-Feder-System unter den Schienen soll Erschütterungen abfangen.
Stützen im Endbahnhof Mexikoplatz sollen an das X in Mexiko erinnern
Ein erster Termin ist in Sicht: Am 30. April soll mit Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) der erste Spatenstich für dieses Teilprojekt gefeiert werden. Während der Bauzeit bleibt auf der Allee übrigens mindestens ein Fahrstreifen pro Richtung erhalten, so die BVG Projekt GmbH. Ende 2026 soll das neue Tunnelstück fertig werden – so der Plan.
Als Nächstes sollen die beiden neuen Gleise auf rund 900 Meter verlängert werden – sofern das Planfeststellungsverfahren für die BVG positiv ausgeht. Das bedeutet, dass auch im weiteren Verlauf der Argentinischen Allee zwischen in den Boden gepressten Spundwänden eine Baugrube entsteht. Die Gleise der U3, die anderthalb bis zwei Meter unter dem Mittelstreifen verlaufen, werden zum Mexikoplatz führen. Dort taucht die U-Bahn-Strecke ab, unter der denkmalgeschützten Anlage muss deshalb im Grundwasser gebaut werden. In mehreren Abschnitten wird eine Baugrube ausgehoben, die einen Deckel bekommt. Diffizil wird es unter der S-Bahn-Brücke – sie muss unterfangen werden, damit die S1 in Betrieb bleiben kann. Wenn in diesem Bereich gebaut wird, können nur Fußgänger und Radfahrer die Brückendurchfahrt passieren, keine Autos.
Der U-Bahnhof Mexikoplatz soll unter der Lindenthaler Allee in einer leichten Kurve entstehen. Dass auch er tiefer liegt als der erste Abschnitt der Neubaustrecke, hat einen Grund: So wird es möglich, die Anlage bei einem Brand „natürlich“, also ohne viel Technik, zu entrauchen. Zwei Seitenbahnsteige sind vorgesehen.
Die Stützen zwischen den Gleisen sollen an das X in Mexiko erinnern. Auch die Farben der Fliesen werden etwas mit dem mittelamerikanischen Land zu tun haben – genauer gesagt mit der grün-weiß-roten Flagge. Über den Gleisen entsteht eine Verteilerebene. Die geplanten Lage eines südlichen Ausgangs wurde angepasst, damit eine Blutbuche stehen bleiben kann. Mehr als 170 Bäume werden jedoch gefällt, dafür 228 neu gepflanzt.
BVG wirbt für die U3: „Ein echtes Turboprojekt für Berlin“
An die Endstation schließt sich das nächste größere Teilprojekt an. Um einen dichten Betrieb auf der U3 anbieten zu können, werden drei statt zwei Zuggarnituren gebraucht. Das bedeutet, dass die neue Aufstellanlage größer ausfällt. Sie bietet Platz für vier U-Bahn-Züge und wird so geplant, dass eine weitere Streckenverlängerung möglich wäre.
„Bis zu 12.000 Fahrgäste werden diese neue Anbindung täglich nutzen und von einer verkürzten Reisezeit sowie weniger Umstiegen profitieren“, erwartet die BVG. Die Neubaustrecke „stärkt den Umweltverbund, reduziert den Straßenverkehr und setzt Standards für künftige Bauprojekte. Ein echtes Turboprojekt, das zeigt, mit welcher Geschwindigkeit wir Berlin nachhaltig voranbringen.“ Pendler aus Potsdam, Studenten der Freien Universität, neue Bewohner in Steglitz-Zehlendorf sowie viele andere Menschen werden profitieren. Ab Dezember 2030 soll die U3 von der Warschauer Straße zum Mexikoplatz fahren, wo die Fahrgäste in die S1 umsteigen können.
„Geringe Nachfragewirkung“ – aber „hohe Investitionen und Betriebskosten“
Doch es gibt nicht wenige Bewohner, die das U-Bahn-Projekt für überflüssig und viel zu teuer halten. Rund 800 Einwendungen trafen ein. Die Bürgerinitiative „Rettet den Mexikoplatz“ organisiert den Protest und sammelt Argumente. Am Donnerstag legte sie eine Analyse vor, in der die Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) für die U3-Verlängerung infrage gestellt wird. Der Bund beteiligt sich nur dann an den Kosten, wenn diese Wirtschaftlichkeitsprüfung einen Index von mindestens 1,0 ergibt. Nur dann wäre bewiesen, dass der errechnete Nutzen die erwarteten Kosten übersteigt. Zu Recht gilt die NKU als Dreh- und Angelpunkt. Kein Wunder also, dass die Bürger hier ansetzen.
Eine Anwaltskanzlei verschaffte dem Büro Interlink Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Schon in ihrer Ersteinschätzung kämen die NKU-Gutachter zu dem Ergebnis, dass das Vorhaben bei „hohen Investitionen und Betriebskosten“ nur eine „geringe Nachfragewirkung“ entfaltet, berichtete die Bürgerinitiative während eines Pressetermins am Donnerstag. Die geplante U3-Verlängerung werde dem öffentlichen Verkehr unterm Strich nur wenige Neukunden verschaffen.

„Die Hauptrechnung im NKU-Bericht ergibt einen Nutzen-Kosten-Index von 0,8 und weist somit keine Förderfähigkeit nach“, analysiert Interlink-Experte Robert Hänsch.
Zwar ließ sich der Wert später über 1,0 bringen – aber nur ein bisschen. Eine Sensitivitätsbetrachtung, bei der die Gutachter ein verändertes Busangebot zugrundelegten, ergab 1,14. Andere Rechnungen zeigen aber, dass dieses Resultat auf schwankendem Boden steht. Denn als bei einer weiteren Berechnung Kosten einer Verteilerebene im Endbahnhof einbezogen werden (so etwas ist geplant), sank der Index auf 0,58. Zwischenergebnis: Schon die bisherigen Kalkulationen ließen nicht in jedem Fall eine Förderfähigkeit erwarten.
Die Experten von Interlink kritisieren, dass die NKU in vielerlei Hinsicht „inkorrekt“ ist. Ein Thema sei die Abgrenzung des Vorhabens. Es wäre „nicht korrekt“, die Abstellanlage außer Acht zu lassen und so zu tun, als würde die U3 in einem einfachen U-Bahnhof ohne Verteilerebene enden. Schließlich wäre der Abstellbereich betrieblich notwendig, so die BVG. Sie wider besseres Wissens nicht zu berücksichtigen wäre genauso fehlerhaft, wie den Endbahnhof Mexikoplatz kleinzurechnen, obwohl er eine Verteilerebene bekommt.
Gutachter: Kostenschätzung der BVG ist „nicht belastbar“
Um die Aufwendungen berechnen zu können, müssten auch Kostenansätze für U-Bahn-Fahrzeuge korrekt berücksichtigt werden, mahnen die Fachleute. Diese Posten in der Rechnung würden mit 3,4 Millionen Euro pro Vier-Wagen-Zug zu niedrig angesetzt, kritisieren die Interlink-Leute. Der Fahrzeugbedarf wäre ebenfalls höher.
Schließlich nehmen die Interlink-Experten die Ansätze der BVG-Kostenschätzung ins Visier. Sie seien „in ihrer Höhe kritisch zu bewerten und stellen eine unzulässige wesentliche Kostenreduktion im Bewertungsansatz dar“, bemängeln sie. Auch hier wurde wider besseres Wissens nicht korrekt gerechnet. Folge sei, dass die „Kostenschätzung in der vorliegenden Form nicht belastbar“ sei. Zu den Regularien der Nutzen-Kosten-Untersuchung gehört, dass die Kosten auf dem Stand des Jahres 2016 berechnet werden. Das soll sie vergleichbar machen. Bislang bezifferte die BVG die Aufwendungen für das Projekt mit 104 Millionen Euro – auf dem Stand von 2016.
Kosten könnten sich in Richtung 300 Millionen Euro bewegen
Bei der U3 ergab eine Hochrechnung dagegen Vergleichskosten von rund 170 Millionen Euro, hieß es am Donnerstag. Real lägen sie noch höher: Auf dem Stand von 2023 würden 260 Millionen Euro fällig. Bis zur Abrechnung des Projekts nach 2030, dem Jahr der geplanten Fertigstellung, würden sich die Kosten weiter in Richtung 300 Millionen Euro erhöhen. Das hätte Folgen für den alles entscheidenden Nutzen-Kosten-Index: Er dürfte am Ende bei 0,5 liegen – weit unter dem geforderten Wert von 1,0, so Interlink.
Die Planer der BVG Projekt GmbH äußerten sich nicht. Von Insidern war zu hören, dass man die Kritik „sehr gelassen“ sieht. Alle Daten und Berechnungen seien belastbar. Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, denn die Planungen dauern an. Optimierungen werden dazu führen, dass sich der Nutzen-Kosten-Index weiter verbessert.
Senat: Das U-Bahn-Projekt ist wirtschaftlich
Die Senatsverwaltung für Verkehr äußerte sich zu den Vorwürfen der Bürgerinitiative. „Die 2024 abgeschlossene Erstbewertung der NKU wurde nach dem Verfahren der Standardisierten Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs durchgeführt“, sagte Michael Herden, Sprecher von Senatorin Ute Bonde (CDU). „Hierbei konnte die Wirtschaftlichkeit und somit die Förderfähigkeit der Maßnahme nachgewiesen werden. Die Durchführung der NKU entspricht den Kenntnissen und Anforderungen, die zum Zeitpunkt der Erarbeitung vorlagen und ist damit nicht als dem Grunde nach falsch einzustufen.“






