Mobilität

Wie in der Stralauer Allee plötzlich ein Stück altes Berlin ans Licht kam

Nach einem Wasserrohrbruch wird die Straße bis September neu gebaut. Ein Stück Verkehrsgeschichte kommt dabei zum Vorschein. Was ist dort gefahren?  

Relikte der Vergangenheit: In der Stralauer Allee in Berlin-Friedrichshain sind alte Straßenbahngleise vom Vorschein gekommen. Eine Recherche ergab, welche Linien dort bis wann verliefen.
Relikte der Vergangenheit: In der Stralauer Allee in Berlin-Friedrichshain sind alte Straßenbahngleise vom Vorschein gekommen. Eine Recherche ergab, welche Linien dort bis wann verliefen.Emmanuele Contini

Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Dieser Satz stammt von dem amerikanischen Schriftsteller und Nobelpreisträger William Faulkner. In einer Berliner Hauptverkehrsstraße im Berliner Osten, die seit Juli wegen eines Wasserrohrbruchs gesperrt ist, zeigt sich jetzt: Der Mann hat recht. In der Stralauer Allee in Friedrichshain sind bei Bauarbeiten Schienen ans Tageslicht gekommen. Sie erinnern daran, dass dort einmal Straßenbahnen unterwegs waren. Inzwischen zeichnet sich ab, dass es noch etwas länger als zuletzt angekündigt dauern wird, bis dort wieder Autos fahren dürfen.

Als Mitglied des Berliner Fahrgastverbands IGEB hat Christian Linow ein Faible für die Straßenbahn. Und so war er natürlich elektrisiert, als er auf einer Straße, auf der bislang nur Asphalt zu sehen war, plötzlich Schienen sah. „Auf der Stralauer Allee sind alte Straßenbahngleise aufgetaucht“, schrieb Linow der Berliner Zeitung und schickte einige Bilder. Sie zeigen die aufgegrabene Straße, in der eine lange gerade, wenn auch rostige Schienenstrecke zum Vorschein gekommen ist. Inzwischen wurden Gleise entfernt.

„Kopfsteine und Schienen – alles muss raus“, so formulierte es Stephan Natz, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe. „Wir bauen mit dem Straßen- und Grünflächenamt in diesem Bereich eine komplett neue Straße von Grund auf.“ Von Kraftfahrzeugen werden sie nicht gestört. Denn wie berichtet musste die Stralauer Allee am 10. Juli in beiden Richtungen für Kraftfahrzeuge gesperrt werden.

Das gebrochene Trinkwasserrohr hielt 119 Jahre durch, bis es brach

In Höhe der Hausnummer 39 war eine Trinkwasserleitung geborsten. Das 1904 verlegte Rohr unter der stadteinwärts führenden Fahrbahn besteht aus Grauguss – einem Eisenwerkstoff, der hart, aber auch spröde ist. Die Fahrbahn wurde unterspült. Der Schaden war groß: Die Fahrbahn war auf 130 Meter Länge zerstört, auch Geh- und Radwege waren in Mitleidenschaft gezogen. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Havarie zwei Mischwasserkanäle, fünf Kanaleinstiegsschächte sowie drei Gullys in Mitleidenschaft gezogen hatte, wuchs das Arbeitspensum weiter an.

Nach dem Wasserrohrbruch bekommt die Stralauer Allee eine neue Fahrbahn. Bei den Bauarbeiten wurden die alten Gleise entdeckt.
Nach dem Wasserrohrbruch bekommt die Stralauer Allee eine neue Fahrbahn. Bei den Bauarbeiten wurden die alten Gleise entdeckt.Christian Linow

Ziel der Wasserbetriebe ist es, zunächst die stadtauswärts führende Fahrbahnhälfte der Stralauer Allee so wiederherzustellen, dass dort wieder Autos fahren können – auf einem Fahrstreifen pro Richtung. Die Arbeiten würden vorangehen, berichtete Natz. „Die neuen Rohre sind alle in der Straße. Am Freitag war Druckprobe, an diesem Wochenende wird mit dem Ziel der Keimfreiheit gespült.“ Montag steht eine Laborprobe an, bei der das Wasser getestet wird. „Rundherum wird nach Kräften an der neuen Straße gewirbelt.“

Mit der 82E vom Ostbahnhof zum Stralauer Fischzug

Hieß es zuletzt, dass auf der wichtigen Straßenverbindung zwischen der Innenstadt und dem Südosten Berlins eventuell Ende August wieder Autos rollen könnten, baten die Wasserbetriebe jetzt noch um etwas Geduld. „Wir brauchen noch zwei Wochen für eine Teileröffnung“, teilte der Sprecher mit. Das wäre dann im September.

Und woher kommen die Straßenbahngleise in der Stralauer Allee? Eine Recherche in zwei Standardwerken der Berliner Verkehrsgeschichte brachte die Antwort. Da ist zum einen „Straßenbahn für ganz Berlin“ von Holger Orb und Tilo Schütz, zum anderen „Die Straßenbahn der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG-Ost/BVB) 1949–1991“. Danach war dort die 82 gefahren. Die Trasse in der Stralauer Allee, die auf den Markgrafendamm zum Ostkreuz abbog, war lange Teil einer Direktverbindung zwischen der Innenstadt und dem Südosten oder Osten von Berlin. Von 1956 bis 1959 fuhr dort auch die 82E. Wenn das Volksfest Stralauer Fischzug stattfand, verband sie den Ostbahnhof mit Alt-Stralau.

Von 1951 bis 1953 führte die 82 zum Beispiel von der Breiten Straße in Mitte zur Parkstraße in Oberschöneweide beziehungsweise zur Karlshorster Rennbahn. Ab 1953 war der Dönhoffplatz am Rande der Leipziger Straße der westliche Anfangspunkt, im Osten endete sie an der Köpenicker Hirtestraße. Von 1954 an gab es immer wieder Änderungen. Der Startpunkt wechselte zum Alexanderplatz, dann zum Ostbahnhof und schließlich zum Walter-Ulbricht-Stadion in Mitte, das später Stadion der Weltjugend hieß und inzwischen Standort des Bundesnachrichtendienstes ist. Als östliche Endstation setzte sich die Haltestelle Mahlsdorf-Süd, Hubertus, durch.

In der Stralauer Allee hat sich eine lange Straßenbahntrasse erhalten. Bis 1967 fuhr hier die 82.
In der Stralauer Allee hat sich eine lange Straßenbahntrasse erhalten. Bis 1967 fuhr hier die 82.Emmanuele Contini

1967 war auch in der Stralauer Allee Schluss. Der Umbau der östlichen Innenstadt erreichte weitere Etappe. Die Straßenbahn, die damals noch mit einem alten Wagenpark unterwegs war, passte nicht in das Bild vom modernen Berlin, Hauptstadt der DDR. Auch in der DDR gehörte es zu den Leitbildern, die Infrastruktur auf das Auto auszurichten. Folge waren weitreichende Änderungen im Innenstadt-Netz – und Stilllegungen. So endete Anfang Januar 1967 der Straßenbahnverkehr auf dem Alexanderplatz.

Die neue Elsenbrücke wird anders als die alte für die Straßenbahn ausgelegt

Vom 12. Dezember 1967 an fuhren dann auch in der Stralauer Allee keine Bahnen mehr. Die 82 nach Mahlsdorf-Süd wurde gekürzt: Vom 16. Dezember 1967 an begann sie am S-Bahnhof Ostkreuz – bis sie bei der großen Umstrukturierung 1993 eingestellt wurde.

Die Stralauer Allee wurde zu DDR-Zeiten erneuert und ausgebaut. Die Schienen blieben zum Teil erhalten. Nun kommen sie endlich auf den Schrott. Als der Senat Varianten für die Verlängerung der M10 von der Warschauer Straße zum Hermannplatz in Neukölln untersuchen ließ, fiel die mögliche Trasse über die Stralauer Allee und die Elsenbrücke durch – nicht zuletzt, weil das ein großer Umweg wäre. Zwar wird die neue stählerne Elsenbrücke, die bis 2028 anstelle der alten, inzwischen abgerissenen Spreequerung entsteht, für die Straßenbahn ausgelegt. Doch konkrete Pläne gibt es derzeit nicht.