Immer in den Sommerferien kam der Tag, an dem Oma Lina sagte: Heute geht’s in die Blaubeeren. Das bedeutete einen Tag im Wald mit tiefblau gefärbten Fingern, Mund und Zähnen. Fahrräder raus, Wassereimer an die Lenkstange und ab in die Dübener Heide. Nach Hause ging es erst, wenn der Eimer voll war. Wer schon einmal Wildheidelbeeren gepflückt hat, der weiß, dass das dauert.
Trotzdem verbinden sich Heidelbeeren mit den schönsten Erinnerungen. Als die Frage aufkam, wie ein erholsamer, entspannender Tag in Berlin oder Umgebung für 20 Euro zu verbringen sei, war das die Idee: Heidelbeeren selbst pflücken! Es gibt rund um Berlin Dutzende Obsthöfe, die Leute auf ihre Felder lassen. Frischeste Früchte mit eigenen Händen ernten, für wenig Geld allererste Qualität – da meldet sich das Stammhirn mit dem Sammlertrieb. Und es ist Heidelbeersaison.
Ein Kilo Heidelbeere 6,50 Euro
Nach Elisenau zur Pomona Gartenbau GmbH zwischen Bernau und Blumberg komme ich schnell mit U- und S-Bahn, dann noch ein kurzes Stück mit dem Bus. Das kostet schon mal nichts, denn ich habe ein 49-Euro-Ticket. Im Rucksack stecken Wasserflaschen, Stullen, breitkrempiger Hut, Sonnenschutz. Weil Pflückgefäße mitzubringen sind, habe ich einen roten Eimer dabei.
500 Meter von der Bushaltestelle laufen, da steht schon das rote Häuschen am Heidelbeerfeld, ein junger Mann packt meinen Eimer auf die Waage, auf einem Zettel wird dessen Gewicht vermerkt. Ein Kilo selbstgepflückte Heidelbeeren kostet 6,50 Euro; wer mehr als drei Kilo sammelt, zahlt für jedes nur 5,90 Euro. Mit meinen 20 Euro kann ich mir also zweieinhalb Kilo Beeren gönnen und habe noch vier Euro übrig, um auf das Himbeerfeld etwa 300 Meter weiter hinten zu gehen. Ein Pfund könnte ich mir davon leisten; Himbeeren und Brombeeren sind mit 7,90 Euro die teuersten Früchte, die man jetzt hier pflücken kann.

Der Parkplatz ist mit vielleicht 20 Autos, zwei Drittel mit Berliner Kennzeichen, dünn besetzt, und die meisten Leute ziehen mit ihren Körben und Schalen in die Erdbeer-Ecke und kommen mit tiefroten prächtigen Exemplaren (Kilo vier Euro) zurück. Stachel- und Johannisbeeren kosten 3,70 Euro.
Alles sehr verlockend. Aber ich will vor allem Heidelbeeren. Übrigens: Heidel- und Blaubeeren sind im Prinzip dasselbe – die Leute nennen es je nach Region so oder so. Zu unterscheiden sind allerdings Kultur- und Wildheidelbeere. Letztere ist die blaue, die aus dem Wald. Sie hat mehr von den sehr gesunden Antioxidantien, Unmengen von Vitaminen und wichtigen Nährstoffen.
Aber die auf pflückfreundliche Höhe und Menge gezüchtete Kulturheidelbeere ist auch nicht ohne. Zwar findet sich hier die wertvollen Phenole nur in der blauen Schale, aber die Liste der positiven Wirkungen beeindruckt: Heidelbeeren gehören zu den Früchten mit der höchsten stressmindernden Wirkung, sie senken das Krebsrisiko, stabilisieren das Immunsystem, beugen Herzkreislauferkrankungen und Schlaganfällen vor.
Schon dieses Wissen fördert meine Entspannung. Meine Finanzplanung ist schlicht, darüber muss ich mir keine Gedanken mehr machen. Es weht bei etwa 28 Grad ein frisches Lüftchen, die breite Hutkrempe spendet Schatten, in den Nachbarreihen laufen fröhliche Kinder umher, die naschen dürfen, was die Bäuche fassen. Man hört viel Russisch und Ukrainisch. Wahrscheinlich werden die Leute ähnlich leckere Gerichte aus den Früchten herstellen – russische Zapekanka, ein Blaubeerkuchen oder ukrainische Wareniki, gefüllt mit Blaubeeren, ein Nationalgericht.
Von der Hand in den Mund
Ich spaziere unauffällig an den erfahrenen Pflückerinnen vorbei und spioniere Techniken aus. Bald habe ich einen Blick für die besten Beeren: murmelgroß, sattblaue Schale, dicht an dicht in einer Traube hängend. Man hält den Eimer drunter und streift mit den Fingern sacht über die Früchtegruppe; die reifen Kullern rollen fast von allein in das Gefäß, die unreifen bleiben am Zweig. Anfangs füllt sich der Eimer nur langsam, denn fast die die Hälfte wandert in den Mund. Leckerst.
Die Konzentration auf diesen einen, einfachen Pflückvorgang hat etwas Meditatives. Zeit spielt keine Rolle mehr, was am Morgen noch wichtig erschien, rückt in die Abteilung Nebensachen. Nach eineinhalb Stunden ist der Eimer dann doch voll.
Ich mache Siesta unter einem der zwei auf der Pflanzung verbliebenen Sanddornbüsche. Alle anderen sind dem großen Sanddornsterben zum Opfer gefallen. Hinter dem Maschendrahtzaun wogt goldgelb das reife Getreide, dazwischen Mohnblumen, Kornblumen, wilde Margeriten. Brandenburgischer Sommer, wie ich ihn liebe.

An der Waage stellt sich heraus, dass ich gut geschätzt habe: etwa zweieinhalb Kilo, 16 Euro glatt. Also noch in die Himbeeren. Das Geld ist nun alle – wobei, was heißt alle? Ich habe 20 Euro günstig gegen eine Ware getauscht, die auf meinem Markt deutlich teurer ist. Das Geld hat sich also theoretisch sogar vermehrt und bloß eine andere Form angenommen.




