Was ist an einem Sommersonnensonntagnachmittag nötig für eine schöne Tour an den Rand von Berlin? Ein Sommerhut, Sonnencreme und das richtige Buch für die Bahn. Dazu ein kleiner Regenschirm, denn die Meteorologen haben Wolken angesagt. Zwar keinen Regen, aber sicher ist sicher.
Dazu kommen dieses Mal auch eine Flasche Wasser und ein großes Brötchen, ganz dick belegt mit Käse und Schinken, mit Salat, Gurke und Tomate. Es soll ordentlich satt machen, denn das wird kein normaler Ausflug, es wird ein Experiment. Für die Sommerserie der Berliner Zeitung, sie heißt: Berlin für einen Zwanziger.
Genau 20 Euro in bar klimpern in meiner Tasche. Ich werde zwar unterwegs auch die Familie treffen, aber ich persönlich darf nicht mehr ausgeben. Im Rucksack habe ich auch keine Geldkarte versteckt für den Notfall und keinen Fünf-Euro-Schein in der Socke.

20 Euro. Das ist durchaus hart. Denn 20 Euro sind einerseits nicht viel: Wer im Berliner Adlon einen Espresso und eine Flasche stilles Acqua Panna bestellt, muss 18,80 Euro zahlen. Gleichzeitig gelten 20 Euro als richtig viel, denn wer Bürgergeld bezieht, das früher Hartz IV hieß, bekommt 502 Euro im Monat. Für den Komplex „Freizeit, Unterhaltung und Kultur“ sind 24,49 Euro vorgesehen – wohlgemerkt für einen halben Monat. Da stellt sich die Frage: Wie viel Spaß ist mit 20 Euro an einem Tag möglich?
Ich hoffe viel. Denn ich habe mir als Ziel extra Karls Erlebnis-Dorf in Elstal ausgesucht. Im größten Freizeitpark der Region, ganz kurz hinter der westlichen Grenze von Berlin, ist nämlich der Eintritt frei und einige der fünf Dutzend Attraktionen können kostenlos benutzt werden.
Eine Euro-Münze kann auch 2200 Euro wert sein
Da im 20-Euro-Experiment auch die öffentliche Anfahrt mit dabei sein soll, sind nach dem Ticketkauf schon mal acht Euro für Hin- und Rückweg weg. Familie und Freunde fahren mit dem Auto, ich aber steige in Friedrichshain in die Ringbahn. Eigentlich will ich lesen, schaue aber kurz aufs Geld und stelle fest, dass nur fünf der zehn Münzen einheimisch sind. Woher kommen die anderen? Ich suche im Internet und das Handy verrät: Die fliegenden Kraniche stammen aus Finnland. Seriöse Händler verkaufen bestimmte Prägungen dieser Ein-Euro-Münze für neun Euro. Ich suche weiter und staune nicht schlecht. Denn wie seriös ist es, dass bei Ebay für eine seltene Fehlprägung dieser Münze gleich 2200 Euro verlangt werden?

Die S-Bahn hält in Gesundbrunnen, ich muss in die Regionalbahn umsteigen, dann suche ich weiter: Ich habe noch König Juan Carlos aus Spanien, Berta von Suttner aus Österreich, das Trachtenmädchen Milda aus Lettland und ein Da-Vinci-Motiv aus Italien. Wenn das alles korrekte Münzen sind, liegt ihr Wert ganz normal bei acht Euro. Wenn sie aber richtiger Ausschuss sind, also seltene Fehlprägungen, könnten sie auch 16.198 Euro wert sein. Was für eine Vorstellung.
Darf ich dann trotzdem nur 20 Euro ausgeben? Bevor ich herausbekomme, ob meine Münzen viel oder wenig wert sind, fährt der Zug in Elstal ein. Weil ich so vertieft in die Münzen war, habe ich gar nicht aufs Wetter geachtet. Die Wolken aus der Wetterprognose haben sich in der Realität zu einem kleinen Sommergewitter zusammengebraut. Schön anzuschauen vom Zug aus, aber sehr nass, wenn der Bahnsteig kein Dach hat. Die Zugtüren öffnen sich und schon beginnt das große Gerenne. Im Bus sind alle nass. Hier drängen sich vor allem Großfamilien aller möglichen Hautfarben und Sprachen. Leute, die sparen müssen und trotzdem ein wenig Spaß wollen.
Die Sache mit dem Sparen ist derzeit allgegenwärtig. Überall wird gejammert über die Inflation und dreiste Preissteigerungen. Im Bus checke ich, wie stabil die D-Mark war und wie es beim Euro aussieht. Die Bundesbank vermeldet überraschende Zahlen. Sie hat den Wertverfall über jeweils 20 Jahre betrachtet: Von 100 Mark im Jahr 1982 waren 2002 inflationsbedingt noch 63 Mark übrig. Von 100 Euro 2002 blieben nach zwanzig Jahren immerhin 73 Euro.
Genau zwölf dieser Euros habe ich noch, als ich den Erlebnishof erreiche. Familie und Freunde sind mit dem Auto auch gerade angekommen. Ich will zuerst zur Kartoffelsackrutsche – für die meisten die beste der kostenlosen Attraktionen hier. Eine lange hüglige Rutschbahn, zuerst geht es zu Fuß eine Treppe hinauf bis auf zehn Meter Höhe und dann auf einen Sack setzen und hinunterrutschen. Wunderbar. Doch die Rutsche gibt es nicht mehr. Leider.
Der Brand und die Schlagzeilen
Auch sie ist vor einem Monat den Flammen zum Opfer gefallen. Es sorgte bundesweit für reichlich Schlagzeilen, als in dem Imbisshaus daneben während des Publikumsbetriebs ein Feuer ausbrach und zehn Leute behandelt werden mussten, oft wegen Rauchgasvergiftung. Übrig ist nur eine Ruine, leere Fenster, vom Dach ragen verkohlte schwarze Balken in den Himmel. Auf den Schreck esse ich erst mal mein Brötchen auf. Die Kinder rennen los und suchen den Spaß.
Der Erlebnishof ist eine Mischung aus dem überdimensionierten Hofladen eines Erdbeerbauern und aus Restaurants, Karussells und gläsernen Manufakturen, in denen Bonbons oder Marmeladen gemacht werden – natürlich immer aus Erdbeeren. Hier sind überall Erdbeeren. Ihr Rot ist allgegenwärtig. Hier ist es auch laut und eng, und alle paar Meter ist eine neue Attraktion. Ein Paradies für Kinder. Hüpfburgen, Ponyreiten, ein Feuer für Stockbrot, eine Traktorbahn. Alles ist voller Leute, alles ist nah beieinander, manchmal auch übereinander: Die Achterbahn fliegt über den Spielplatz.

Kostenlos sind zum Beispiel die Riesenschaukel oder die verwinkelte mehretagige Kletterwelt in der Scheune, der hohe Kletterturm, das Labyrinth. Oder die „Verwunschene Villa“, ein Spielplatz mit einem wunderbar windschiefen Holzhaus mit geheimnisvollen unterirdischen Gängen. Nach Meinung mancher Kinder der beste Spielplatz in Berlin.
Das Problem ist aber: Es gibt zwar etliche kostenlose Dinge, doch die rücken immer weiter in den Hintergrund, weil hier ständig neue Attraktionen eröffnet werden, die Eintritt kosten und mächtig locken. Dort vorn die Berg- und Talbahn mit dem roten Riesenschirm, in dem 40 Kinder sitzen und vor Glück oder Angst ordentlich jauchzen. Preis: 4,50 Euro pro Fahrt. Und am 8. Juli wird die neue Wetterwelt eröffnet – mit drei neuen Fahrgeschäften.
Eltern mit wenig Geld brauchen hier Nerven wie Stahlseile. Gut zu beobachten bei den vielen Großfamilien, die hier unterwegs sind. Die Eltern müssen mit den Kindern harte Kämpfe ausfechten, damit die Kleinen sich auch am kostenlosen Kletterturm erfreuen und nicht ständig Geld fordern für den Autoscooter nebenan.
Die Verführungen lauern überall, vor allem in der riesigen Scheune. Dort wird nicht nur gegessen, sondern auch verkauft. Ich stelle mich zwischen die Regale und drehe mich einmal im Kreis. Fast alles ist hier mit Erdbeeren oder mit Karls Erdbeer-Logo: Socken, Schals, Luftballons, Pfeil und Bogen, Schwerter, Riesen-Seifenblasen, Erdbeeren aus Plüsch und eine Badewanne voller Erdbeerenten. Es gibt natürlich auch Erdbeerlikör, Erdbeerbrause, Erdbeercola. Und dort legt ein Mann eine Packung mit fünf eingeschweißten Erdbeerbratwürsten in seinen Korb.
Bei unserer Familie ist der Vorteil, dass heute nur ich sparsam sein muss. Nicht der Sohn. Er hat beim letzten Besuch eine Jahreskarte für 35 Euro bekommen und kann nun die Bezahl-Attraktionen ohne Eintritt nutzen. Er bekommt zum Beispiel einen sehr dicken blauen Poncho, damit er in der Eiswelt voller Eisskulpturen nicht friert. Würde sonst 9 Euro kosten. Das Kind fährt Achterbahn, Karussells und all die anderen Dinge, die Kinder glücklich machen. Mich macht es glücklich, den Kindern beim Spaß-Haben zuzuschauen.
Der ganze schöne Plan ist dahin
Doch nach ein paar Stunden kommt der Hunger. Mein Plan war simpel. Ich wollte zum Schluss frische Erdbeeren mitnehmen. Damit das Geld reicht, war vorher nur eine Bratwurst geplant. Hier gibt es die zweite Scheibe Brot kostenlos dazu. Besser gesagt: Es gäbe sie. Denn an diesem Tag gibt es keine Bratwurst. Ein junger Mann putzt gerade den Grill und sagt: „Wegen des Regens vorhin sollen wir nicht mehr grillen.“
Wir gehen ins Restaurant und laden uns am Büfett die Teller voll. Das Essen wird nach Gewicht bezahlt. Das Essen und die üblichen kleinen Einkäufe summieren sich bei Frau und Kind schließlich auf knapp 50 Euro – trotz der Jahreskarte des Sohns. Ich nehme Salat, der ist nicht so schwer. Kostet aber mit 7,09 Euro knapp doppelt so viel wie die Bratwurst. Damit ist der Traum von frischen Erdbeeren für zu Hause ausgeträumt. Wie heißt es so schräg: „Geld allein macht auch nicht unglücklich.“ Aber jetzt hätte ich gern Geld und ein paar Beeren für die Rückfahrt. Das wäre ein kleines Glück.
Solch ein 20-Euro-Experiment zeigt auch schnell jene Grenzen auf, mit denen viele im Alltag zu kämpfen haben. Und das nicht nur, wenn sie einmal pro Jahr für die Klassenfahrt der Kinder sparen müssen. Umgeben von einem solchen Überangebot an Möglichkeiten wie hier, ist spürbar, wie hart Verzicht ist und wie schnell sich Leute sozial ausgeschlossen fühlen können.

Aber glücklicherweise gibt es hier eben auch die kleinen kostenlosen Freuden. Dafür haben Kinder ein untrügliches Auge. Vor der Scheune schießen auf einem Platz fünf dünne Wasserfontänen in die Höhe. Sie gehen an und aus, werden so zu fliegenden Wasserbögen, die platschend zu Boden fallen. Ein kleiner Junge reißt sich das Shirt vom Leib und spielt mit den Fontänen: „Ihr trefft mich nicht.“
Ich schaue auf die Uhr und erinnere mich an die Worte des Busfahrers bei der Hinfahrt: „Benutzen Sie abends bitte nicht den letzten oder vorletzten Bus. Die sind meist überfüllt.“ Ich eile los. Vom letzten Geld kaufe ich am Ausgang schnell Marmelade. Der Bus fährt nur einmal pro Stunde. Ich renne los, doch er ist schon weg. Mist. Aber noch steht er bei Rot an der nächsten Kreuzung. Ich winke wild, und der Fahrer nickt tatsächlich. Ich springe in den Bus und zähle mein Restgeld: 0,41 Euro. Experiment gelungen.
Durch das Fenster sehe ich ein Schild, das auf die andere große Attraktion an dieser Abfahrt an der B5 hinweist: die Döberitzer Heide, ein Naturschutzgebiet der Sielmann-Stiftung. Ich denke, das wäre ein gutes Ziel für ein Zehn-Euro-Experiment. Denn dann brauche ich nur acht Euro für die Bahn und den Bus. Sonst nichts. Die Schönheit der Natur kann ich kostenlos bestaunen: die Wisente und Wildpferde, die weite Heidelandschaft und der noch weitere Himmel.
Empfehlungen aus dem BLZ-Ticketshop:











