Silvestereinsatz

Drei Monate bis Silvester: Berliner Polizisten geben Empfehlungen für das nächste Mal

Ein Dreivierteljahr ist die Krawallnacht her. In einem internen Bericht, der der Berliner Zeitung vorliegt, werden entsprechende Konsequenzen gezogen.

Polizeibeamte hinter explodierendem Feuerwerk in Berlin. Nach Angriffen auf Einsatzkräfte läuft die Diskussion um Konsequenzen.
Polizeibeamte hinter explodierendem Feuerwerk in Berlin. Nach Angriffen auf Einsatzkräfte läuft die Diskussion um Konsequenzen.Julius-Christian Schreiner/TNN/dpa

Drei Monate vor Silvester laufen die Vorbereitungen der Berliner Polizei. „Die Ereignisse im vergangenen Jahr fließen in die Vorbereitungen ein“, sagte ein Polizeisprecher. Diese seien allerdings noch in einem frühen Stadium.

Das bedeutet allerdings nicht, dass man sich innerhalb der Polizei keine Gedanken über den kommenden Jahreswechsel macht. Bereits kurz nach den Krawallen begann in einzelnen Polizeidienststellen die Nachbereitung der Einsätze – mit unterschiedlicher Intensität.

Erst knapp achteinhalb Monate danach laufen die Berichte zur Nachbereitung dieser verhängnisvollen Nacht ein: zum Beispiel ein Bericht der Silvester-Nachbereitungsgruppe der für den Südwesten Berlins zuständigen Direktion 4. Der 42 Seiten lange Bericht mit Fertigstellungsdatum 11. September, der der Berliner Zeitung vorliegt, enthält unter anderem Handlungsempfehlungen für das nächste Mal.

Gelfeuerlöscher und Flammenschutzkleidung empfohlen

Während des nächsten Jahreswechsels in Berlin will die Polizei unter anderem ihren sogenannten Raumschutz erhöhen – zu Deutsch: mehr Leute auf die Straßen bringen. In der zurückliegenden Silvesternacht seien Einsatzeinheiten, die für Einsatzlagen mit gewaltgeneigten Personengruppen ausgestattet, ausgebildet und vorgesehen sind, nicht oder nicht zeitnah verfügbar gewesen, wird in dem Bericht kritisiert.

In der fraglichen Nacht waren Polizisten und Feuerwehrleute über Stunden mit Pyrotechnik beschossen worden. Viele Beamte wurden dadurch verletzt. Deshalb empfiehlt der Bericht unter anderem eine verbesserte Schutzausstattung. „Insbesondere die Einsatzlage in der Silvesternacht, welche vermehrt zu Sofortmaßnahmen an Brandorten führte, zeigte dieses dauerhaft bestehende Defizit auf. Eine Ausstattung mit Flammenschutzkleidung, Impulsschall-Gehörschutz und Schutzbrille würde für die Aufgabenerfüllung (auch der kriminalpolizeilichen Sofortbearbeitung) einen erhöhten Schutz bieten.“ Ein Impulsschall-Gehörschutz, den es auch als Ohrstöpsel gibt, aktiviert sich nur bei einem Knall. Weil viele Polizisten nicht damit ausgestattet waren, erlitten sie entsprechende Knalltraumata, wenn neben ihrem Kopf ein Böller detonierte.

Ein wirksames Einsatzmittel gegen Pyrotechnik ist nach Angaben des Berichts außerdem der Gelfeuerlöscher. Das Löschspray für den Einsatz bei Entstehungsbränden kostet im Einzelhandel 42,99 Euro. Zwar sind die Einsatzeinheiten und die Abschnittshundertschaften damit ausgestattet, nicht aber die Funkwagenbesatzungen. Bei der starken Hitze, die bei der Zündung von Pyrotechnik entsteht, sind übliche Löschmittel unwirksam. Gelfeuerlöscher hingegen können den Brandherd ersticken. Mancher Beamte bezweifelt allerdings, ob man diese Ausrüstung in der Kürze der verbleibenden Zeit noch anschaffen kann.

Polizist erleidet an der Wutzkyallee schwere Verbrennungen

In der zurückliegenden Silvesternacht hatten sich im Bereich der Direktion 4 plötzlich zahlreiche Einsatzschwerpunkte aufgetan, an die die Polizei nicht schnell genug Einsatzeinheiten bringen konnte: etwa an der Wutzkyallee, wo ein Mob aus rund 100 Personen einen Dönerladen beschoss. Sechs Beamte erlitten dort unter anderem Verbrennungen und Knalltraumata. Ein Mitarbeiter des Abschnitts 48 erlitt schwere Brandverletzungen an Kopf, Hals und Oberkörper, als er von einer Rakete getroffen wurde.

Massiv und gezielt beschossen wurden Polizisten in der Hauptstraße oder auch im Bereich des Rotraut-Richter-Platzes sowie in der Oberlandstraße, wo ein BVG-Bus demoliert wurde. Einsatzschwerpunkt war wie in den Vorjahren der Nahariyakiez, wo ein Auto angezündet und ein Funkwagen mit einem E-Roller beworfen wurde sowie Beamte mit Pyrotechnik beschossen und Unterstützungskräfte gezielt in Hinterhalte gelockt wurden.

Empfehlungen gibt der Bericht der Direktion 4 auch für die Aus- und Fortbildung. Es könnten spezielle Szenarien trainiert werden, die unter Umständen keinen Einzug in das reguläre Einsatztraining finden. Dazu zählt aus Sicht der Experten etwa der Umgang mit Pyrotechnik und das gemeinsame taktische Vorgehen von Kräften des Funkwagen-Einsatzdienstes und der Einsatzeinheiten. Silvesterspezifische Fortbildungsmodule wären aus Sicht der Verfasser zielführend.

Deutsche Polizeigewerkschaft fordert zentrale Bearbeiterstraße wie am 1. Mai

Nicht nur die Nachbereitungsgruppe der Direktion 4, sondern auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) fordert einen besseren Schutz der Einsatzkräfte vor gewalttätigen Angriffen. Die Dienstkräfte im Funkwageneinsatzdienst sollten unverzüglich besser ausgestattet werden, fordert der Berliner DPolG-Landesvorsitzende Bodo Pfalzgraf – mit Brandschutzhauben, feuerhemmender Ober- und Unterbekleidung, Impulsschall-Gehörschutz sowie Gelfeuerlöschern für alle Funkstreifenwagen.

„Gefährliche Mittel wie Pyrotechnik werden gezielt gegen Menschen eingesetzt und die daraus teils erheblichen Verletzungen erfolgen teilweise sogar vorsätzlich“, sagt Pfalzgraf. Die Gewaltbereitschaft gegenüber Einsatzkräften sei hoch. Er hält es zudem für sinnvoll, eine zentrale Bearbeiterstraße einzurichten, bei der die Justiz einbezogen ist – „so wie es rund um den 1. Mai bereits erfolgreich praktiziert wird“. Eine Bearbeiterstraße, das sind nebeneinander angeordnete Arbeitsplätze, an denen Polizisten unter anderem die Personalien Festgenommener aufnehmen.

Drei Monate vor dem nächsten Jahreswechsel sind längst nicht alle Vorkommnisse und Einsätze aus der zurückliegenden Silvesternacht abschließend bewertet. In der Nacht führte die für den Norden der Stadt zuständige Direktion 1 stadtweit den Einsatz – und musste sich danach massive Kritik anhören. Ihr Bericht zur Einsatznachbereitung soll bis heute nicht vorliegen.