Die Zeit der Billigflieger ist vorbei, doch auch der Urlaub in Deutschland ist längst nicht mehr zwingend günstiger als eine Woche Mittelmeer. Alle Reisenden nehmen die steigenden Kosten wahr, doch einigen Menschen ist der Urlaub durch die hohen Kosten nicht nur verdorben worden – sie können es sich schlicht nicht leisten.
Bernd Schabbing ist Professor für Tourismus und Eventmanagement. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung bewertet er die aktuellen Entwicklungen im Urlaubsverhalten der Deutschen und erklärt, wie er sich die Zukunft des Tourismus vorstelle. Eines ist für ihn sicher: Hoffnung auf „Schnäppchen-Eldorados“ muss sich keiner mehr machen.
Herr Schabbing, laut einer Reiseanalyse 2023 der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen sagen aktuell deutlich weniger Menschen von sich, dass sie genug Geld für Urlaubsreisen haben. Auch die eigene wirtschaftliche Lage wird deutlich schlechter eingeschätzt. Wie wirkt sich das auf das Reiseverhalten aus?
Die Menschen glauben vor allem, dass die allgemeine wirtschaftliche Lage sich verschlechtert. Für die persönliche Situation denken immerhin fast 60 Prozent, ihre wirtschaftliche Lage bleibt gleich, im Vergleich zu den 30, die mit einer Verschlechterung rechnen. Das ist natürlich ein bisschen komisch, man glaubt kollektiv daran, dass die wirtschaftliche Lage schlechter wird, aber nicht bei mir.
Können sich einige Menschen ihren Urlaub nicht mehr leisten?
Relativ gesehen ist die Zahl an Menschen, die keinen Urlaub macht, schon gering, wenn man sich die Situation vor Augen hält: Ukraine-Krieg, Mieten steigen, Nebenkosten steigen, Lebenshaltungskosten steigen, die steigenden Zinsniveaus belasten auch die Eigenheimbesitzer, die das Haus über einen Kredit finanziert haben, und für Hausbesitzer stehen jetzt auch möglicherweise Zusatzbelastungen an. Da sind wir ja eigentlich von großartigen Voraussetzungen für den Tourismus weit entfernt. Was wir allerdings trotzdem sehen: Die unteren Einkommensgruppen fallen nach und nach aus der Fähigkeit, überhaupt Urlaub zu machen, raus. Es gibt immer mehr Leute, die sich gar keinen Urlaub mehr leisten können.

Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder?
Man muss sagen, von den Umsätzen her ist der Tourismus wieder auf dem Niveau von 2019, das heißt die Branche hat die Talsohle durchschritten. Gemessen am Welttourismus sind wir hier nach wie vor wieder weit vorn. Der Welttourismus braucht im Vergleich deutlich länger, um noch auf die alten Größen zu kommen. Aber trotzdem gibt es in Deutschland weniger Menschen, die sich einen Urlaub leisten, aber nicht deutlich weniger. Es gibt also keine Veränderung von 50 auf 20 Millionen, aber ein paar Millionen hat man verloren.
Was sind die Ursachen für erhebliche Preiserhöhungen im Tourismus?
Denn der Sommerurlaub wird jetzt auch wieder im Januar gebucht. Das ist ganz früh. Eigentlich hatte sich das Buchen jedes Jahr weiter Richtung Sommer verschoben, viel kurzfristiger als jetzt, sodass die Reiseveranstalter immer denken mussten: Werde ich alles los? Muss ich noch mal mit den Preisen runtergehen? Und da gab es dann viele Schnäppchenangebote. Aber letztes Jahr und dieses Jahr haben die Veranstalter gesagt: Ich weiß genau, ihr wollt, und ihr müsst zahlen. Die Leute haben das geschluckt.
Die Menschen fahren also trotz der gestiegenen Preise genauso in den Urlaub wie bisher?
Eigentlich beschreibt das, wie wichtig Urlaub für die Menschen hier ist. Also für manche im Berufsleben ist das die einzige Insel des Glücks, der Freude und auch dessen, wo man jemand anderes ist als zu Hause – für diese zwei, drei Wochen im Jahr. Im Freundeskreis habe ich von einem jungen Pärchen gehört, die waren vor kurzem auf den Seychellen und haben in zehn Tagen 4000 Euro ausgegeben. Und ich meinte, das sei ja recht viel. Bekam ich zur Antwort: Ja, pro Person! Das fand ich schon krass. Daran sieht man, dass auch jüngere Leute viel Geld bezahlen, um sich auf Instagram am Strand, am Pool, an der Cocktailbar zu zeigen.
Stehen die gestiegenen Preise in einem Verhältnis zu den Kosten oder sieht man im Tourismus auch das Phänomen einer Profit-Preisspirale wie beispielsweise bei Lebensmitteln?
Ich kann das nicht grundsätzlich ausschließen, aber für mein Bauchgefühl ist die Steigung der Preise nachvollziehbar in der Relation. Aber trotzdem, es wird hier und da schwarze Schafe geben, die da versuchen, extra etwas aufzuschlagen.
Wie geht es dann Menschen, die sich den Urlaub nicht mehr leisten können? Kann man auch beim Urlaub von einer sozialen Schere sprechen?
Ja, die war auch eigentlich schon immer da. Vielleicht hat man früher noch sehr billige Angebote machen können, die sind jetzt nur noch in Grenzen verfügbar. Ein Problem ist, alles, was früher so unter Billigurlaub lief, also zum Beispiel Kroatien, die vermeintlichen Schnäppchen-Eldorados, die haben auch alle angezogen. Die ganzen Länder des ehemaligen Ostblocks galten eine Zeit lang als Geheimtipp. Da konnte man für kleines Geld an der Ostsee oder dem Schwarzen Meer Urlaub machen. Das ist auch nicht mehr so. Und dann ist irgendwann für eine Familie einfach kein Urlaub mehr drin. Die Gruppen, die sich das nicht mehr leisten können, werden stetig mehr. Denn für Urlaub gibt es ja keine Unterstützung von Staatsseite.
Sehen Sie hier eine mögliche Lösung?
Die soziale Schere geht nicht vom Tourismus aus, das ist ein soziales Problem, das auch sozial gelöst werden muss. Die gestiegenen Kosten im Tourismus werden in großen Teilen bleiben, das ist kein kurzfristiges Phänomen. Unsere wirtschaftlichen Probleme in Deutschland genauso. Und ich sehe in der Politik auch nicht viel Motivation für Förderung des Tourismus, das war schon in der Pandemiezeit schwierig. Also ich denke nicht, dass ärmere Haushalte plötzlich eine Urlaubszulage kriegen. Insofern befürchte ich, dass man diese Leute alleinlässt.
Werden mehr und mehr Menschen in Zukunft auf Urlaubskredite angewiesen sein?
Ja, das wurde und wird ja auch wachsend in Anspruch genommen. Und das passt eben zu dieser grundsätzlichen Konsumhaltung, dass man sagt: Urlaub muss sein, ich kann nicht nicht in den Urlaub fahren. Früher ging es darum, nach der Sommerpause etwas erzählen zu können, jetzt geht es darum, den Urlaub auch in den sozialen Medien teilen zu können.






