Noch haben Autos auf der Schönhauser Allee den meisten Platz. Aber das wird sich ändern, denn bald erhält ein Teilstück geschützte Radfahrstreifen. Dies wird viele Kraftfahrer ärgern – auch weil Parkplätze wegfallen. Doch jetzt zeigen Zahlen des Senats, dass Autonutzer dort ohnehin in der Minderzahl sind. „Heute schon ist die Mehrheit ohne Auto unterwegs“, sagt Oda Hassepaß von den Grünen.
Für Pendler, die fast täglich mit dem Rad auf der Schönhauser Allee unterwegs sind, sind sie ein zeitraubendes Ärgernis. Auf den Hochbordradwegen an der Hauptverkehrsstraße im Bezirk Pankow fühlen sie sich immer wieder ausgebremst. Für Gelegenheitsfahrer wiederum sind die zum Teil nur 1,60 Meter breiten Bereiche auf den Gehwegen nicht selten eine Angstpartie, weil ihnen andere Radler dort auf die Pelle rücken. So viel steht fest: Angesichts des Andrangs sind die Radwege an der Schönhauser Allee, die neben den rund neun Meter breiten Autofahrbahnen verlaufen, viel zu schmal.
Nicht selten kommt es zu gefährlichen Situationen – was sich in der Unfallstatistik spiegelt. Den offiziellen Daten zufolge kamen zwischen der Eberswalder und der Vinetastraße im vergangenen Jahr 60 Radfahrer zu Schaden. 53 wurden leicht, sieben schwer verletzt. Im Jahr 2021 verunglückten 21 Radler, im Jahr davor waren es 16. Die Zahl der verletzten Radfahrer ist also gestiegen. Damit nahmen über diesen Zeitraum auch die Unfallkosten im nicht motorisierten Verkehr zu: von 1,4 auf 2,1 Millionen Euro.
„Folgekosten und psychische Auswirkungen sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt“, erklärt Hassepaß. Die Abgeordnete aus Pankow hat die Zahlen vor kurzem vom Berliner Senat bekommen. Aus ihrer Sicht ist klar: Auch auf der Schönhauser Allee muss sich etwas ändern. „Die Schönhauser als Magistrale muss leistungsfähig sein für alle Menschen – zu Fuß, mit dem Fahrrad, in der Straßenbahn und im Auto“, fordert die Sprecherin der Grünen-Fraktion für den Rad- und Fußverkehr in Berlin.
Auf den Bürgersteigen wird Platz frei – für die Fußgänger
Im Senat sieht man das ähnlich. Wie berichtet hat die Senatsverkehrsverwaltung nach einer Überprüfung grünes Licht dafür gegeben, den Radverkehr südlich des Knotenpunkts Stargarder/Gleimstraße auf die Straße zu verlegen. Wo heute noch Autos abgestellt werden dürfen, entstehen auf 720 Metern 2,50 Meter breite Radfahrstreifen. Der Platz, der auf den Gehwegen frei wird, soll den Fußgängern zugeordnet werden. Wie heute werden dem fließenden Autoverkehr zwei Fahrstreifen pro Richtung zur Verfügung stehen – wie bisher mit Straßenbahngleisen und künftig auch mit Lieferzonen.
In der parlamentarischen Drucksache, die Hassepaß jüngst erhielt, bekräftigt die Staatssekretärin Britta Behrendt die Notwendigkeit des Umbaus. Die geplanten Radfahrstreifen schaffen „mehr Sicherheit für Radfahrende“, so die CDU-Politikerin. Sie könnten einander künftig mit genug Abstand überholen, Konflikte mit Fußgängern würden vermieden. Auch das Gewerbe profitiere, weil die Gehwege breiter werden und es bald angenehmer sei, sich dort aufzuhalten, stellte die Senatspolitikerin fest.

Die Baufirma Matthäi hat am 31. Mai den Auftrag bekommen. Die verkehrsrechtliche Anordnung liegt noch nicht vor. Die Prüfung des Projekts durch das neue Team in der jetzt von der CDU geführten Senatsverwaltung hat nach eigenen Angaben zehn Werktage in Anspruch genommen. Doch dort hofft man, dass die Arbeiten im August 2023 beginnen können, wie die Staatssekretärin bekräftigt. Die landeseigene GB Infravelo schätzt die Kosten auf 1,07 Millionen Euro. Die Planung hat 50.000 Euro gekostet.
Innerhalb von zwölf Stunden fast 10.000 Fahrräder gezählt
Klar ist allerdings: Das Verkehrsprojekt im Nordosten Berlins wird noch zu Ärger führen. Denn der Umbau hat zur Folge, dass auf diesem Teilstück der Schönhauser Allee Stellplätze für rund 150 Autos wegfallen. Doch die Bedeutung anderer Fortbewegungsarten wird häufig unterschätzt. Wie wichtig sie wirklich sind, zeigen die Daten in der parlamentarischen Drucksache, die von den Grünen ausgewertet wurden.
Da sind zum einen die Zahlen zum motorisierten Verkehr, die von 2019 stammen. Danach waren auf diesem Teil der Bundesstraße 96a in 24 Stunden zwischen 17.200 und 19.200 Kraftfahrzeuge unterwegs. Im bundesweiten Durchschnitt wird ein Auto von etwas mehr als 1,4 Menschen genutzt, die Berliner Grünen beziffern den Besetzungsgrad auf 1,1. Unterm Strich kommen zwischen knapp 20.000 und 25.000 Menschen pro Tag zusammen, die in der Schönhauser Allee in Kraftfahrzeugen unterwegs sind.

Auf der anderen Seite der Rechnung sind die Daten für den Umweltverbund aufzulisten, damit ist der nicht motorisierte Verkehr gemeint. Laut Senat wurden Ende Oktober 2020 in zwölf Stunden knapp 10.000 Fahrräder gezählt. Den Durchschnittswert der nächstgelegenen Zählstellen, die sich am Senefelderplatz und am Bahnhof Pankow befinden, beziffern die Grünen auf rund 6700 Fahrräder in 24 Stunden.
Wie sieht es mit den Fußgängern aus? Am Knotenpunkt Stargarder Straße/Gleimstraße querten bei der Zählung Ende Oktober 2020 innerhalb von zwölf Stunden rund 3600 Menschen die Schönhauser Allee. Wie viele Passanten es auf den Gehwegen gab, wurde nicht erfasst. Als das dänische Planungsbüro Gehl Architects 2015 die Schönhauser Allee untersuchte, wurden nördlich dieser Kreuzung 1800 Fußgänger pro Stunde ermittelt.
Wie viele Menschen die Straßenbahnen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nutzen, ist dagegen klar: Zwischen den Tramhaltestellen S- und U-Bahnhof Schönhauser Allee sowie Milastraße wurden nach Angaben aus dem vergangenen November in beiden Richtungen montags bis freitags jeweils insgesamt 11.255 Fahrgäste ermittelt. Doch dort verkehrt nicht nur die M1: Auf der Hochbahn sind Züge der U-Bahn-Linie U2 unterwegs. Sie werden derzeit weniger genutzt, seitdem der Betrieb wegen eines Wasserschadens unterm Alexanderplatz eingeschränkt werden musste. Selbst konservative Schätzungen müssten aber von einer Fahrgastzahl im (unteren) fünfstelligen Bereich ausgehen.






