Mobilität

Berlins lahmster Schnellzug: Nach Frankfurt (Oder) braucht er fast vier Stunden

Wegen Bauarbeiten sind nicht nur Pendler länger in die 80 Kilometer entfernte Oder-Stadt unterwegs. Fernreisende werden auf eine kuriose Umwegfahrt geschickt. 

Am Ende einer Fahrt durch die Nacht: Nightjet NJ 457 aus Berlin hält um 7 Uhr morgens in Wien.
Am Ende einer Fahrt durch die Nacht: Nightjet NJ 457 aus Berlin hält um 7 Uhr morgens in Wien.Peter Neumann

Bus statt Zug, umsteigen statt sitzen bleiben. Die Bauarbeiten zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) bescheren nicht nur Pendlern und anderen Kunden des Nahverkehrs längere Reisezeiten. Auch Fahrgäste zu ferneren Zielen müssen für den Abschnitt zwischen den Städten, die gerade mal rund 80 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt sind, mehr Zeit einplanen. In einem Fall sogar sehr viel mehr Zeit: Der Nachtzug von und nach Österreich braucht fast vier Stunden länger. Dafür können die Reisenden ostdeutsche Orte und Gegenden entdecken, die sie freiwillig sonst kaum kennenlernen würden.

Königs Wusterhausen, Lubolz und Lübben. Lübbenau, Raddusch und Vetschau. Cottbus, Guben und Finkenheerd. Diese und viele andere Bahnstationen ziehen auf der mehr als 200 Kilometer langen Umwegfahrt des Nachtzugs durch Brandenburg vorbei. Die Fahrgäste sehen die großen Nadelwälder südöstlich von Berlin, die 107 Meter hohe einstige Luftschiffhalle und das heutige Spaßbad Tropical Islands, die Ausläufer des Spreewalds. Später zuckeln sie durch die Lausitz, dann in Sichtweite des Barockklosters Neuzelle und des Stahlwerks Eisenhüttenstadt vorbei wieder nach Norden. 

Kein Zweifel: Die Nutzer des Nightjets NJ 456/457 zwischen Berlin, Wien und Graz mit durchlaufenden Wagen nach Budapest bekommen ohne Aufpreis mehr Eindrücke als sonst geboten. Bleibt nur zu hoffen, dass sie dafür auch offen sind. Denn für die unfreiwillige Promo-Tour durch den Osten Deutschlands müssen sie wegen der Umleitung bis 21. April deutlich mehr Fahrzeit einplanen.

Am 22. April soll die direkte Strecke wieder frei sein

Normalerweise beginnt die Reise durch die Nacht laut Fahrplan um 18.52 Uhr im Berliner Hauptbahnhof. Jetzt geht es schon um 15.18 Uhr im Bahnhof Gesundbrunnen los, der nächste Halt, Frankfurt (Oder), wird um 19.10 Uhr erreicht – nach fast vier Stunden. Auf der Fahrt nach Berlin geht es etwas schneller, doch richtig schnell auch nicht. Aktuell sieht der Fahrplan vor, dass der Nachtzug aus Österreich um 8.44 Uhr in Frankfurt (Oder) eintrifft und um 12.27 Uhr am Gesundbrunnen. So bleibt es bis zum kommenden Freitag. Am 22. April soll die direkte Strecke wieder frei sein.

Ein Zug der Ostdeutschen Eisenbahn nach Frankfurt (Oder) hält im Bahnhof Berlin Ostkreuz. Bis 21. April ist die Strecke ab Erkner unterbrochen. An diesem Wochenende beginnt der Schienenersatzverkehr schon am Ostkreuz. 
Ein Zug der Ostdeutschen Eisenbahn nach Frankfurt (Oder) hält im Bahnhof Berlin Ostkreuz. Bis 21. April ist die Strecke ab Erkner unterbrochen. An diesem Wochenende beginnt der Schienenersatzverkehr schon am Ostkreuz. Peter Neumann/Berliner Zeitung

Warum dauert die Umwegfahrt so lange? „Aufgrund fahrplantechnischer Zwänge war eine geringere Fahrzeit leider nicht realisierbar“, sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn (DB). Und warum spart man sich nicht einfach den Abschnitt zwischen Berlin und Frankfurt (Oder)? „Aus betrieblichen Gründen müssen wir den Nachtzug bis Berlin führen. Die Vorbereitung für die Rückfahrt ist in Frankfurt (Oder) leider nicht möglich“, erklärte Bernhard Rieder von den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB).

Züge mit Liege- und Schlafwagen erfordern einen höheren logistischen Aufwand. Bettwäsche muss ausgetauscht werden, der Reinigungsaufwand ist höher. Auch kann es vorkommen, dass Speisen und Getränke für den Bordverkauf aufgestockt werden müssen. All das ist nicht überall möglich.

Schienenersatzverkehr zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) läuft nicht rund

Es gebe noch ein weiteres Argument, warum dieses Zugpaar zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) nicht durch Busverkehr ersetzt wird, sagte der DB-Sprecher. „Bei einem Nachtzug ist die unterbrechungsfreie Verbindung zur Zieldestination für viele Reisende wichtiger als die Fahrtzeit. Wer dennoch schneller ans Ziel kommen möchte, kann in Frankfurt (Oder) vom Nachtzug auf den schnelleren Busersatzverkehr wechseln“, erklärte er. „Die Fahrpläne der Busse sind an die Ankunftszeit des Nachtzugs angepasst. So erreicht der NJ 456 Frankfurt (Oder) um 8.44 Uhr. Der Ersatzbus 40456 fährt um 9.04 Uhr ab und erreicht den Berlin Hauptbahnhof um 11.04 Uhr.“

Reisende zwischen Berlin und Polen werden von der Bahn in jedem Fall auf Busse verwiesen. In früheren Jahren kam es bei solchen Gelegenheiten immer wieder zu Beschwerden, weil die Kapazität zuweilen nicht ausreichte. Auch diesmal zeigt sich, wie knapp Fahrzeuge und Fahrpersonal sind. Berichtet wird, dass nicht nur Reisebusse, sondern auch Busse für den Stadtverkehr auf die laut Fahrplan zweistündige Reise über die Autobahn A12 geschickt werden.

Der Schienenersatzverkehr (SEV) für die Fahrgäste, die zwischen Erkner und Frankfurt (Oder) unterwegs sind, läuft ebenfalls nicht rund. Reisende geben zu Protokoll, dass immer wieder Busse ausfallen – was meist bedeutet, dass sich die Reisezeiten verlängern und die Fahrt unangenehm sein kann, weil die Wagen überfüllt sind.

Nachtzug trotzdem gut gebucht

An diesem Wochenende wird die Lage dadurch verschärft, dass auch die S3 nach Erkner wegen Bauarbeiten unterbrochen wird. Weil der SEV nach Frankfurt (Oder) an diesem Sonnabend und Sonntag deshalb bereits am Ostkreuz beginnt, müssen Fahrgäste in die Oder-Stadt sogar knapp zweieinhalb Stunden pro Weg einplanen – sonst sind es vom Hauptbahnhof 68 Minuten. Die Ostdeutsche Eisenbahn, die normalerweise die Regionalexpresszüge betreibt, hat sich bei DB Netz ebenso beschwert wie Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU).

„Wir wollen uns bei allen Reisenden für die Unannehmlichkeiten entschuldigen. Wir investieren so viel wie nie zuvor in die Schieneninfrastruktur, um die Verkehrswende gelingen zu lassen“, sagte der Bahnsprecher. Vom 22. April an sollen die Züge zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) wieder fahren. Allerdings sind in den kommenden Monaten und Jahren weitere Unterbrechungen zu erwarten. Die Frankfurter Bahn wird erneuert und ausgebaut, in Köpenick entsteht ein Regionalbahnhof.

Über Horka ginge es schneller von Berlin nach Oberschlesien

Allerdings gäbe es für den Nachtzug nach Wien und Budapest wie überhaupt für alle Züge zwischen Berlin und Wrocław (Breslau) eine Route, die eine bis zu frühere Ankunft in Legnics ermöglichen würde. Darauf hat Jürgen Murach, Vizepräsident des Verbands Deutscher Eisenbahningenieure (VDEI), am Wochenende hingewiesen.

„Es ist die Führung über Lübbenau - Calau - Hoyerswerda - Horka - Legnica. Die Strecke ist durchgehend elektrifiziert. Die Abschnitte Berlin - Lübbenau und Hoyerswerda - Horka - Breslau sind fast durchgehend für 160 Kilometer pro Stunde ausgebaut“, so  Murach. „Die wenigen Reisenden aus Frankfurt (Oder) könnten mit regulären Regionalexpresszügen nach Calau anreisen. So würde man auch den Engpass Lübbenau - Cottbus umfahren.“

Angeblich scheue die DB diesen Laufweg aufgrund der hohen deutschen Trassenpreise, so Murach. „Die Mehrkosten sollten aber von DB Netz erlassen werden, die für das Desaster verantwortlich ist.“ Die Fahrzeit zwischen Berlin und Breslau würde auf rund dreieinhalb Stunden verkürzt, und man hätte sogar eine Fahrzeitreserve.

Dennoch gut gebucht

Während Pendler aufs Auto umgestiegen sind, scheint der Nachtzug der ÖBB trotzdem weiterhin gut genutzt zu sein. Wer die Reise an diesem Freitag im Liegen absolvieren will, geht leer aus. Liege- und Schlafwagen sind ausverkauft. Auch eine andere Nachtverbindung ab Berlin wird gut genutzt – trotz anfänglicher Schwierigkeiten. Der Euronight EN 346 von Berlin nach Stockholm ist an diesem Freitag in allen Kategorien ausgebucht.