Seit März 2023 gibt es ein neues Mitglied in den Reihen der vielen internationalen Kulturhäuser und Institutionen in Berlin – und es ist gleichzeitig das erste seiner Art. Das Ukrainische Institut, das Aufmerksamkeit für die Ukraine und ihre Kultur im Ausland fördert, hat hier vor wenigen Wochen seine allererste Auslandsrepräsentanz eröffnet.
Direktorin des neuen Teams ist Dr. Kateryna Rietz-Rakul. Ihre Aufgabe wird es sein, die Wahrnehmung der ukrainischen Kultur in Deutschland etwa durch Ausstellungen, Konzerte und Auftritte bei Literatur-, Film- und Musikfestivals zu fördern. Auch Kurse und Prüfungen in der ukrainischen Sprache wird es geben – das Team warte nur noch auf eine Zertifizierung vom Bildungsministerium.
Wir trafen Kateryna Rietz-Rakul in den Räumen des Ukrainischen Instituts in Deutschland auf dem ACUD-Gelände in der Veteranenstraße. Im Interview erklärt sie, warum das erste Auslandsbüro des Instituts in Berlin liegt, wo Deutsche in ihren Vorstellungen über die Ukraine oft falsch liegen, und warum die Berliner Behörden gegen das Russische Haus vorgehen müssen.
Frau Rietz-Rakul, ein Zyniker würde vielleicht sagen, in Kriegszeiten sind es nur die Waffenlieferungen oder Gewinne auf dem Schlachtfeld, die wirklich einen Unterschied machen. Was kann die Kultur als Beitrag in diesen Zeiten leisten?
Für mich ist es das Wichtigste, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt – und ich sehe es auch so, dass der Krieg mit Waffen und nicht mit Kultur gewonnen wird. Aber die Kultur spielt schon eine zentrale Rolle im Leben der Menschen und im Verständnis zwischen Gesellschaften. Wenn wir also wollen, dass Deutschland der Ukraine Waffen liefert oder dass die EU sie aufnimmt, liegt es in unserem Interesse, dass Deutschland unsere Kultur kennenlernt – und dadurch uns kennenlernt. Wir sehen in Berlin so viele Schriften von „das ist nicht unser Krieg“. So was sagt man nur, wenn man den anderen nicht kennt oder nicht als gleichwertig anerkennt.

Wie hat sich der russische Angriffskrieg auf die ukrainische Kultur ausgewirkt? Können sich ukrainische Kulturschaffende überhaupt mit anderen Themen als dem Krieg befassen?
Nach dem großflächigen Angriff haben die Künstler und Künstlerinnen deren gewöhnliche Sprache verloren – sie konnten nicht mehr an Projekten arbeiten, die sie vorher gemacht hätten. Der Krieg lief schon seit 2014 und war schon ein fester Bestandteil von unserem Diskurs. Aber prozentual hat es nicht so viel Fläche in unserem Denken und Fühlen angenommen wie seit Februar 2022. Die neuen Arbeiten, die jetzt entstehen, haben sehr oft Bezug zum Krieg. In den ersten Monaten haben alle nur noch in Tagebuch-Form gearbeitet – sie schufen jeden Tag kleine Zeichnungen, Gedichte, Essays oder Videos zu dem, was sie an dem Tag beschäftigt hat. Viele suchen jetzt zunehmend andere Themen, arbeiten aber immer noch in diesem Format – wenn überhaupt. Viele Künstlerinnen und Künstler haben sich der Armee angeschlossen oder arbeiten als Freiwillige.
Ein weiterer Aspekt ist, dass Russland in diesem Krieg unser Kulturerbe zerstört. Viele wollen also das retten, was noch zu retten ist, oder greifen in ihrer zeitgenössischen Arbeit auf das zurück, was schon nicht mehr da ist. Viele kehren jetzt zu ihren Wurzeln zurück, weil das umso dringender geworden ist.
Nach der russischen Invasion wurde klar, unsere Arbeit konnte nicht mehr länger warten.
Wie kam es dazu, dass diese erste Auslandsrepräsentanz des Ukrainischen Instituts ausgerechnet in Berlin eröffnet worden ist?
Deutschland und Berlin waren immer zentrale Partner des Ukrainischen Instituts und auch der Ukraine. Deutschland spielt eine Schlüsselrolle in der EU und ist ein wichtiger politischer, wirtschaftlicher und kultureller Player. Deshalb ist es natürlich klar, dass wir unsere Beziehungen mit Deutschland in allen Bereichen aufbauen und stärken möchten. Es war auch klar nach der großflächigen Invasion Russlands, dass diese Aufgabe nicht mehr länger warten konnte. Wir mussten dann Wege suchen, damit wir unsere Arbeit hier so schnell wie möglich anfangen konnten – und das tun wir jetzt seit Ende März. Die Planung liegt also schon vor Februar 2022 zurück.
Sie sind als Teil des Ukrainischen Instituts dem ukrainischen Außenministerium angegliedert. Nimmt das Ministerium viel Einfluss auf Ihre Arbeit in Berlin?
Wir sind ja an das Außenministerium angegliedert, aber auf Armeslänge, so zu sagen. Unser Programm ist unabhängig und uns wird nicht diktiert, wir müssten das und das zeigen, die und die Narrative verbreiten. Wir öffnen unsere Bühnen für alle Künstler und Künstlerinnen aus der demokratischen Mitte, auch wenn sie nicht unserer Meinungen sind; wir wollen einen Dialog fördern. Wir sind keine politische Einrichtung und wir sind nicht dafür da, um für die Politik hier unterstützende Arbeit zu leisten. Das steht auch in der Satzung des Ukrainischen Instituts.

Sie haben bereits erste Projekte und Veranstaltungen für die nächsten Monate angekündigt – diese finden zwar nicht nur in Berlin statt, sondern in Städten in ganz Deutschland. Warum ist es Ihnen wichtig, nicht nur in Berlin zu arbeiten?
Ich sage immer gerne: Berlin ist nicht Deutschland. Das Gute an Deutschland ist das föderale System – die deutsche Kultur ist also in vielen Städten mit unterschiedlichen Schwerpunkten stark vertreten; die Leute, die uns interessieren, sind auch in unterschiedlichen Bundesländern und Städten verankert und wir wollen dahin gehen, wo sie sind. Auch in der Ukraine gibt es mehrere urbane Zentren; deshalb ist dieses System für uns sehr ansprechend und es ist uns klar, dass man nicht alles auf die Hauptstadt abzielen sollte.
Welche Wahrnehmungen in Deutschland über die Ukraine und das ukrainische Volk haben Sie in den 20 Jahren beobachtet, die Sie in Deutschland leben? Hat sich das in dieser Zeit irgendwie verändert?
Es ist immer wieder vorgekommen, dass man die Ukraine nicht als eigenständiges Subjekt sah, sondern als Teil der Einflusszone Russlands – oder als Teil Russlands selbst. Veränderungen sind immer wieder in Schüben gekommen: Es gab einen kleinen Schub 2004 nach der Orangen Revolution, ein größerer Schub kam 2014 bis 2015. Aber tatsächlich hat sich die breitere Masse, auch eine Mehrheit von professionellen Kultur- und Medienschaffenden, die Ukraine erst seit Beginn des großflächigen Angriffskrieg Russlands näher angeschaut. Einerseits sind wir froh, dass wir jetzt das Ohr und das Auge haben, dass es eine Bereitschaft gibt, uns zuzuhören – aber wir werden jetzt schon wieder mit etwas Negativem assoziiert. Ich höre jetzt nicht mehr so viel von Tschernobyl oder von der Korruption, dafür aber ständig vom Krieg.
Wir wollen also zeigen, dass unsere Kultur schon immer da war als Teil des europäischen Kontexts, und dass man sie genießen, lehren, studieren und anerkennen kann – nicht aus Mitleid wegen des Krieges, sondern weil es einfach eine tolle Kultur ist. Ein weiteres Problem ist, dass die ukrainischen Werke, die trotz russischer Kolonisierung im globalen Raum sichtbar wurden, dann Russland zugeschrieben wurden. Die ukrainische klassische Musik ist ein großes Feld mit wahnsinnigen Perlen, ist aber überhaupt nicht bekannt. Es gibt also zwei Aspekte: Werke, die man kennt, aber nicht weiß, dass sie ukrainisch sind, und Werke, die man nicht kennt, aber kennen sollte.
Berlin fehlt der politische Wille, das Problem des Russischen Hauses zu lösen.
Wie wollen Sie das korrigieren?
Nehmen wir wieder die Musik als Beispiel. Das Ukrainische Institut hat Anthologien der ukrainischen klassischen Musik hergestellt und wir werden diese jetzt an die Hochschulen und Musikschulen in Berlin verteilen. Ich will sie zum Beispiel einer Freundin und Kollegin von mir geben, die an der Hochschule für Musik arbeitet und daran interessiert ist, ein bisschen weiter zu schauen und nicht nur jedes Jahr die gleichen Lieder mit ihren Studenten zu singen. Anhand dieser Anthologie kann sie diese Musik in ihrer Praxis aufnehmen. So was kann nur schwer passieren, wenn die Notenblätter einfach nicht da sind. Ein weiteres Anliegen für uns ist ukrainische Studien als akademischer Bereich. Es gibt nicht viel Ukrainistik in Deutschland und nicht genug rege Zusammenarbeit und Austausch zwischen Studenten, Dozenten und Professoren. Das wollen wir auch ändern.

Es gibt viele andere ausländische Kulturhäuser und Institute in Berlin – und dann gibt es auch das Russische Haus in der Friedrichstraße. Wie ist Ihre Einstellung dazu?
Es ist mir ein Rätsel, wie das trotz Sanktionen, trotz allem, immer noch hier betrieben werden darf. Es ist unglaublich. Ich glaube, da fehlt der politische Wille, um dieses Problem zu lösen, weil juristisch steht den Behörden nichts mehr im Wege, soweit ich informiert bin. Was Rossotrudnitschestwo (die russische Staatsagentur, die das Russische Haus betreibt, Anm. d. Red.) da vermittelt, ist einfach nur Propaganda und Spionagearbeit. Ich würde mir wünschen, dass man sich hier politisch und juristisch mit diesem Phänomen befasst, damit die Sanktionen auch hier wirken können.
Einige Menschen werden sich vielleicht fragen, was Ihre Arbeit von der des Russischen Hauses unterscheidet, denn beide Einrichtungen sind schließlich staatlichen Organen in den jeweiligen Herkunftsländern angegliedert. Was sagen Sie dazu?
Man kann unsere Arbeit nicht mit der des Russischen Hauses vergleichen, erstens weil wir kein Land sind, das Kriege führt und die Kultur für Propagandazwecke und für politischen Einfluss instrumentalisiert. Russland führt Kriege seit vor 1991 im Rahmen der Sowjetunion, seit 1991 als Russland. Ich kann nur noch mal wiederholen, dass wir in unserem Programm von unserem Ministerium unabhängig sind. Wir haben auch einen Beirat, der zu drei Vierteln aus zivilgesellschaftlichen Akteuren besteht und unser Programm mitverabschieden muss. Solche Mechanismen sind eingebaut, um eben zu verhindern, dass wir Kultur zu Propaganda- oder Kriegszwecken instrumentalisieren.






